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Urteil des Zürcher Obergerichts im Fall Brian aufgehoben

Urteil des Zürcher Obergerichts im Fall Brian aufgehoben

08.12.2021, 12:0008.12.2021, 11:39
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ARCHIVBILD ZUM URTEIL DES ZUERCHER OBERGERICHTS IM FALL CARLOS, AM MITTWOCH, 16. JUNI 2021 - Portraitzeichnung des Haeftlings Brian (bekannt als Carlos). Die Anwaelte von Carlos, der mittlerweile auch ...
Gibt immer noch zu reden: Der Fall Carlos/Brian.Bild: keystone

Das Bundesgericht hat das Urteil des Zürcher Obergerichts im Fall Brian aufgehoben. Dieses muss sich nochmals mit der Frage auseinandersetzen, ob Brian die ihm vorgeworfenen Delikte aufgrund der Haftbedingungen aus einer Notstandssituation heraus begangen hat. Die vom Obergericht gemachten Abklärungen sind unzureichend.

Das Obergericht Zürich begründete seine Verneinung der Notstandslage im Urteil vom Mai dieses Jahres vor allem mit einem Urteil des Bundesgerichts zu einem Verlegungsgesuch von Brian.

In diesem Verlegungsentscheid kam das Bundesgericht im März zum Schluss, dass sich die Haftbedingungen von Brian in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies ZH wegen der besonderen Umstände noch rechtfertigen liessen.

Dieser Entscheid des Bundesgerichts bezog sich aber nur auf die Zeit ab dem 17. August 2018, als Brian in das Gefängnis Pöschwies verlegt wurde. Die vom Obergericht zu beurteilenden Taten fallen jedoch in den Januar, April und Juni 2017, den März und April 2018 und in die Zeitphase zwischen August bis Oktober 2018, wie das Bundesgericht in seinem aktuellen, am Mittwoch veröffentlichten Urteil festhält.

Nicht geprüft hat das Obergericht die Haftbedingungen vor dem 17. August 2018. Damit hat die Vorinstanz laut Bundesgericht einen für die Beurteilung der Notstandslage relevanten Zeitraum unbeachtet gelassen.

Privates Gutachten berücksichtigen

Das Obergericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, obwohl der Angeklagte wiederholt darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er seit seinem 10. Lebensjahr von Behörden und Staat wiederholt unmenschlich und erniedrigend behandelt worden sei.

Das Obergericht muss den Sachverhalt nun vervollständigen. Dabei hat es auf Geheiss des Bundesgerichts auch die als Beweismittel abgelehnten Privatgutachten und die Tagebucheinträge von Brian zu berücksichtigen.

Diese haben gemäss Bundesgericht nicht den gleichen Stellenwert wie ein von der Behörde in Auftrag gegebenes Gutachten. Die Informationen könnten jedoch Zweifel an der Schlüssigkeit eines Gerichtsgutachtens begründen oder die Notwendigkeit aufzeigen, ein zusätzliches Gutachten erstellen zu lassen.

Kein Kontakt zu anderen Insassen

Brian wurde vom Zürcher Obergericht im Mai zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten sowie einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu 10 Franken verurteilt. Von einer Massnahme oder einer Verwahrung - wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte - sah das Obergericht ab.

Die vorgeworfenen Delikte, die von Sachbeschädigung über Drohung, Beschimpfung bis zu versuchter schwerer Körperverletzung reichen, ereigneten sich alle während eines Freiheitsentzugs in verschiedenen Gefängnissen.

Der Angeklagte befindet sich seit seiner Verlegung in das Gefängnis Pöschwies in Einzelhaft in der Sicherheitsabteilung. 23 Stunden pro Tag verbringt er alleine in seiner Zelle. Beim einstündigen Spaziergang hat er lediglich zu den Gefängnisangestellten Kontakt. Die Haftbedingungen wurden im Sommer vom Uno-Sonderberichterstatter für Folter kritisiert. (Urteil 6B_882/2021 vom 12.11.2021) (aeg/sda)

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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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El_Chorche
08.12.2021 15:13registriert März 2021
Wer Brian freilässt, sei es auch nur des Gesetzes wegen, wird bei der nächsten Straftat die er begeht, geteert und gefedert.

Da Brian anscheinend eine extrem kurze Zündschnur besitzt, wäre das dann nur eine Frage der Zeit.

Mir gefällt allerdings die Vorstellung, dass sich das Künstlerkollektiv, welches sich für ihn einsetzt, sich nach seiner Freilassung um ihn kümmert.
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Butschina
08.12.2021 12:28registriert August 2015
Ich bin sicher, Brian hatte eine schlimme
traumatische Kinder und Jugendzeit. Das ist natürlich keine entschuldigung für seine Taten. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Isolationshaft die Problematik noch verschlechtert. Ich sehe nur leider keine Alternative. Die anderen Innsassen müssen ja auch geschützt werden. Ich kenne mich nicht gut aus in Haftanstaltsunterbringungsmöglichkeiten.
Gäbe es alternativen? Kennt sich jemand damit aus?
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Enibasnehl
08.12.2021 16:41registriert Dezember 2020
Können wir vielleicht einmal einen Artikel haben über Menschen, welche zu denen Opfern wurden oder wie jene sich fühlen, die seine wutanfälle aushalten müssen? Was macht das mit ihnen, wie geht es ihnen im Moment und kommen sie darüber hinweg und wie? Fände ich viel spannender.
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