Schweiz
Justiz

So begründet das Gericht das Urteil gegen Pierin Vincenz

So begründet das Gericht das Urteil gegen Pierin Vincenz

Das schriftliche Urteil des Zürcher Bezirksgerichts im Prozess gegen den ehemaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz und weitere Mitangeklagte liegt vor. Die Richter sprechen von «arbeitsteiliger Zusammenarbeit» bei der Bereicherung - und rügen die Bank.
11.01.2023, 20:28
Daniel Zulauf / ch media
Mehr «Schweiz»

«Ich bin mir bewusst, dass ich Fehler gemacht und übertrieben habe. Aber nie habe ich mit dem Vorsatz gehandelt, Raiffeisen oder Aduno zu schädigen»: Die versöhnlich klingenden Worte, mit denen sich Pierin Vincenz, Hauptbeschuldigter im Raiffeisen-Prozess, Ende März des vergangenen Jahres von der Verhandlung am Zürcher Bezirksgericht verabschiedet hatte, waren für die Richter kein Beleg von Einsichtigkeit.

Der ehemalige Raiffeisenchef Pierin Vincenz, links, verlaesst mit Anwalt Lorenz Erni die Urteilseroeffnung des Raiffeisen-Prozesses des Zuercher Bezirksgerichts, am Mittwoch, 13. April 2022 vor dem Vo ...
Der ehemalige Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz am 13. April 2022 vor der Verhandlung im Volkshaus in Zürich.Bild: keystone

Der frühere Chef der Genossenschaftsbank habe zwar punktuell Zugeständnisse in Bezug auf einige Fakten gemacht. Diese hätten ihm aufgrund der Aktenlage aber ohnehin nachgewiesen werden können. «Am grundsätzlichen Befund der Uneinsichtigkeit des Beschuldigten» ändere sich deshalb nichts, heisst in der schriftlichen Begründung des erstinstanzlichen Urteils, das im April 2022 gegen Vincenz, dessen langjährigen Geschäftspartner Beat Stocker und vier weitere Beschuldigte ergangen war.

Das Urteil, das CH Media vorliegt, umfasst 1200 Seiten, mehr als das doppelte des Umfanges, den das Gericht bei der Urteilseröffnung vorausgesagt hatte. Die Verteidigung wird das Dokument in den nächsten Tagen in all seine Einzelteile zerlegen, um festzustellen, wo die argumentativen Schwachstellen liegen. Es ist so gut wie sicher, dass alle Beschuldigten in Berufung gehen werden, um vom Obergericht eine Neubeurteilung des Falles zu verlangen.

Investnet-Vorwürfe wiegen schwer

Die Staatsanwaltschaft hatte für Vincenz eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren sowie die Abschöpfung von Vermögenswerten in Höhe von fast neun Millionen Franken verlangt. Auch für Stocker beantragten die Kläger sechs Jahre Freiheitsstrafe und die Rückerstattung von deliktisch erworbenen Vermögenswerten in Höhe von über 16 Millionen Franken. Das Gericht verurteilte die beiden für den Tatbestand der qualifizierten ungetreuen Geschäftsführung und andere Delikte zu je viereinhalb Jahren Gefängnis mit unterschiedlich grossen Abzügen, welche die Beschuldigten im Urteil der Richter als Entschädigung für eine einseitige mediale Berichterstattung im Vorfeld des Prozesses zu gut hätten.

Die schriftliche Begründung dieser Strafzumessung lässt erkennen, wie das Gericht zu dem im Urteil vieler fachkundiger Prozessbeobachter harten Urteil gelangt ist.

Am schwersten wiegen in dem Urteil die Delikte rund um die Übernahme der KMU-Finanzierungsgesellschaft Investnet durch Raiffeisen. Vincenz und Stocker hatten sich im Vorfeld der Übernahme an Investnet beteiligt und die Bank darüber in Unkenntnis gelassen.

Für die beiden resultierte ein Gewinn in Höhe von zwölf Millionen Franken, der ihnen ab 2015 zugeflossen war. Die in diesem Zusammenhang erste Geldüberweisung von 2.9 Millionen Franken war 2016 auf verschlungenen Wegen publik geworden und hatte die Untersuchungen gegen den ehemals beliebtesten Banker der Schweiz und seine Mitbeschuldigten ins Rollen gebracht.

Kein Bonus für Charisma

Das vorliegende Urteil, das das Bezirksgericht in dieser Woche den Parteien überstellte, konstatierte eine «durchdachte Vorgehensweise» der Beschuldigten und eine «arbeitsteilige Zusammenarbeit» zwischen Stocker und Vincenz. Nach dem Befund der Richter hatten die beiden ihre jeweilige Stellung als CEO und Berater ausgenutzt, um einen möglichst hohen Verkaufserlös zu erzielen und sich so auf Kosten der Bank zu bereichern. Das Gesetz sieht für diese Art von qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren vor. Die Beschuldigten kamen aber deutlich günstiger weg. Für den Investnet-Fall allein erachtet das Gericht eine Strafe von 27 Monaten für gerechtfertigt.

Den Beschuldigten wird mitunter zu gut gehalten, dass es Raiffeisen unterlassen habe, härter nachzufragen und die genauen Hintergründe und Umstände der Transaktion zu durchleuchten. Die Deliktsumme ist zwar hoch, für eine Grossbank wie Raiffeisen aber eigentlich leicht verkraftbar. Zwar stellt das Gericht fest, dass Vincenz seine Vertrauensstellung als CEO von Raiffeisen «fraglos» ausgenutzt habe.

Doch die ungenügenden Strukturen der Bank zur Durchsetzung von Regeln des guten Geschäftsgebarens hätten die Sache für Vincenz und Stocker auch besonders leicht gemacht. Dem früheren Raiffeisen-Verwaltungsratspräsidenten Johannes Rüegg-Stürm dürfte diese Bemerkung wie eine Ohrfeige vorkommen. Vincenz' charismatische Persönlichkeit liess das Gericht als Ausrede für die nachlässige Raiffeisen-Führung nicht gelten.

Ermässigung wegen Medienkampagne

Dass das Gericht am Ende doch bei einer Freiheitsstrafe für die beiden Hauptbeschuldigten von je 54 Monaten landete, hat mit dem Umstand zu tun, dass die Richter diesen eine Reihe weiterer Transaktionen zu Last legten, die ebenfalls einen unrechtmässigen Bereicherungsaspekt zum Inhalt hatten.

Eine erhebliche Strafermässigung auf diese 54 Monate erhalten die beiden Hauptbeschuldigten indessen als Entschädigung für die «ausgiebige Medienkampagne», die sie im Vorfeld des Prozesses über sich ergehen lassen mussten. Während das Gericht in der Erläuterung einer neunmonatigen Haftermässigung für Vincenz ziemlich in die Einzelheiten geht, bleibt es in der Erklärung der sechsmonatigen Haftermässigung für Stocker auffallend vage. Über die Gründe dieser Differenz darf spekuliert werden. Vermutlich kommt Vincenz der Umstand zu Gute, dass er aufgrund seiner grösseren Bekanntheit letztlich doch stärker im medialen Fokus stand als Stocker. (bzbasel.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Köpferollen bei Raiffeisen – die Rücktritte im Überblick
1 / 15
Köpferollen bei Raiffeisen – die Rücktritte im Überblick
Raiffeisen-CEO Patrik Gisel hat am 18. Juli bekannt gegeben, dass er per Ende Jahr zurücktritt. Er wolle «die öffentliche Debatte um seine Person beenden und die Reputation der Bank schützen». Gisels Abgang ist der jüngste in einer ganzen Reihe von Rücktritten bei der krisengeschüttelten Raiffeisen.
quelle: keystone / walter bieri
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das war Tag 1 des Vincenz-Prozesses
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
21 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Cash
11.01.2023 20:51registriert April 2016
Das heisst bei guter Führung sind die innert 2.5 Jahren wieder frei, und da das Urteil relativ lange hatte also schon bereits in einem Jahr oder so 🤷‍♂️ als ob das ein Zeichen ist gegen unlautere Geschäftsführung und Bevorteilung sei...
738
Melden
Zum Kommentar
avatar
Citizen321
11.01.2023 21:37registriert Juli 2018
Wirklich schön auch die Ohrfeige an Herrn Rüegg-Sturm, den hoch dekorierten Professor für "Corporate Governance" 😂
450
Melden
Zum Kommentar
21
Schwerer Unfall auf der A1: Fünf Personen verletzt – stundenlange Sperrung

Bei einem Verkehrsunfall mit vier beteiligten Autos sind am Donnerstagmittag auf der A1 bei Bertschikon (Gemeinde Wiesendangen) vier Personen leicht bis mittelschwer und eine Person schwer verletzt worden. Die stundenlange Sperrung der Autobahn in Richtung St. Gallen sorgte für Stau.

Zur Story