Der Vierfachmord von Rupperswil erschütterte die Schweiz. So sehr, dass auf politischer Ebene bis heute Nachwirkungen der grausamen Tat zu beobachten sind: Kommenden Montag wird der Ständerat darüber debattieren, ob die lebenslängliche Freiheitsstrafe verschärft werden soll. Auslöser war nicht zuletzt der Rupperswiler Prozess 2018.
Als Thomas N. vor Gericht stand, diskutierte die Schweiz über das mögliche Urteil, mutmasste über lebenslänglich und über Verwahrung. Dabei verspürte FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR) ein Unbehagen. Etwas geht hier nicht auf, dachte sich der Jurist. Wenn eine Strafe lebenslänglich ist, warum muss dann, wie bei Thomas N., zusätzlich noch die Verwahrung ausgesprochen werden?
Ebenso irritierte ihn, einmal mehr, der Begriff lebenslang. Denn tatsächlich bedeutet die lebenslange Freiheitsstrafe fast nie «lebenslang». Wer keine Gefahr mehr für die Gesellschaft darstellt, der kann auch bei lebenslänglich nach 15 Jahren entlassen werden. Die Strafe darf nur länger dauern, wenn der Täter noch rückfallgefährdet ist.
«Die lebenslängliche Strafe ist heute eine Art Etikettenschwindel», sagt Caroni. Er befürwortet deshalb eine Verschärfung. «Die lebenslängliche Freiheitsstrafe ist unsere härteste Strafe. Sie muss daher das allerschwerste Verschulden abdecken können.» Caroni denkt dabei als Extremfall an einen nicht rückfallgefährdeten Völkermörder. «Soll dieser zwingend schon nach 15 Jahren entlassen werden?»
Für Caroni ist zudem die Differenz zur nächsthöheren Strafe zu gering. Wer zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wird, kann theoretisch nach 13.3 Jahren bedingt entlassen werden – nur 1.7 Jahre früher als mit «lebenslänglich». «Andere Länder in Europa sind strenger», sagt Caroni. Gemeinsam mit Natalie Rickli, der früheren SVP-Nationalrätin und heutigen Zürcher Regierungsrätin, wurde er deshalb im Sommer 2018 aktiv. Und jetzt muss das Parlament über die Länge der lebenslangen Freiheitsstrafe diskutieren.
Der Bundesrat unterstützt die Diskussion um eine Reform. In einem Bericht zeigt sich die Verwaltung aber eher skeptisch. Sie kam zum Schluss, dass Anpassungen zwar möglich, aber nicht dringend sind. Eine mögliche Verschärfung sei vor allem die Folge einer politisch-gesellschaftlichen Debatte nach grausamen Taten. Inhaltlich ergebe eine Verschärfung zudem nicht unbedingt Sinn. Im Bericht heisst es:
Allgemein gelte: Weder sorgen härtere und längere Strafen für mehr Abschreckung, noch fördern sie die spätere Wiedereingliederung der Täter in die Gesellschaft. Im Gegenteil.
Klar ist aber: In Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention darf zwar niemand ohne Aussicht auf Entlassung eingesperrt werden. Es wäre aber möglich, dass eine bedingte Entlassung nicht schon nach 15, sondern erstmals erst nach 25 Jahren geprüft wird.
Allerdings kommen nicht alle Täter bereits nach 15 Jahren frei, wie Zahlen zeigen. 32 Personen sassen 2018 eine lebenslängliche Strafe ab. Mehr als 50 Prozent waren länger als 15 Jahre im Vollzug. Die längste Dauer betrug 33 Jahre. Von den 91 Personen, die seit 1982 zu lebenslänglich verurteilt worden waren, wurden 41 bedingt entlassen. Fünf von ihnen waren bei der Entlassung länger als 20 Jahre in Haft, 28 zwischen 15 und 20 Jahren (im Schnitt 16 Jahre). Rückfällig wurde keiner der entlassenen Täter, abgesehen von zwei Verurteilungen wegen Strassenverkehrsdelikten.
Gegen die Änderung ist Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (BS). «Das heutige System hat sich bewährt. Darum besteht keine Notwendigkeit, es zu ändern», sagt sie. Wer gefährlich oder uneinsichtig sei, müsse auch nach 15 Jahren weiterhin im Gefängnis bleiben – theoretisch lebenslang.
Es sei bezeichnend, dass der Anstoss zur Reform nicht aus der Justiz, sondern aus der Politik komme, sagt Arslan. Sie vermutet dahinter eine zwar verständliche, aber populistische Aktion, mit der die Politik nach schrecklichen Taten wie Rupperswil Härte demonstrieren könne. Dies entspreche einem allgemeinen Trend hin zu Verschärfungen, so Arslan.
Arslan weiter: «Wir verabschieden uns damit immer mehr von einer liberalen Rechtsordnung.»
Die Schreckenstat von Rupperswil hatte zuerst zu noch drastischeren Reaktionen einzelner Parlamentarier geführt – aus der Aargauer SVP. Die Nationalräte Luzi Stamm und Andreas Glarner forderten damals, dass lebenslänglich mindestens 60 Jahre bzw. lebenslang bedeuten soll. Sie blieben chancenlos.
«Lebenslang» bedeutet in der Schweiz schon lange «15 Jahre plus»; nämlich seit das eidgenössische Strafgesetzbuch 1937 kantonale Regeln ablöste. Mehrere Versuche, die Frist zu verlängern, scheiterten. Inzwischen allerdings ist die Lebenserwartung gestiegen. (aargauerzeitung.ch)
An vielen deutschen Unis werden werden Jura-Studenten gefragt, welche Strafen sie für angemessen halten. Die Strafvorstellungen für verschiedene Taten haben in den letzten 20 Jahren zum Teil um über 50% zugenommen, obwohl das Konzept der Resozialisierung eigentlich ein Erfolgsrezept ist.
Höhere Strafen machen ein Land nicht sicherer, siehe etwa USA.