Schweiz
Justiz

Gustav G. hat seinen vierjährigen Sohn Florian getötet. Vor Obergericht zögert er das Urteil gegen ihn heraus – mit der Behauptung, autistisch und deshalb therapierbar zu sein

Gustav G. vor dem Winterthurer Bezirksgericht. Heute wird das verhängte Strafmass von 18 Jahren neu verhandelt.
Gustav G. vor dem Winterthurer Bezirksgericht. Heute wird das verhängte Strafmass von 18 Jahren neu verhandelt.Bild: KEYSTONE

Gustav G. hat seinen vierjährigen Sohn Florian getötet. Vor Obergericht zögert er das Urteil gegen ihn heraus – mit der Behauptung, autistisch und deshalb therapierbar zu sein

Heute wird der Fall Bonstetten am Zürcher Obergericht verhandelt. Das Urteil gegen den Angeklagten Gustav G., der 2010 seinen vierjährigen Sohn Florian getötet hat, lässt auf sich warten. Ein neues Gutachten bescheinigt dem 65-Jährigen Therapierbarkeit. 
24.03.2015, 08:1724.03.2015, 15:59
Mehr «Schweiz»
Update: Noch kein Urteil 
Gustav G. kämpft mit allen Mitteln gegen seine Verfahrung und zögert damit das Urteil gegen ihn heraus. Vor dem Zürcher Obergericht sagte der 65-Jährige, er leide unter dem Asperger Syndrom, einer autistischen Störung. Im Privatgutachten eines Autismus-Spezialisten, das dem Gericht seit einigen Tagen vorliegt, heisst es, G. leide zwar nicht unter dem Asperger-Syndrom, habe aber gewisse autistische Auffälligkeiten. Der Gutachter empfahl genauere Abklärungen. Die Störung sei therapierbar. Damit widerlegte er ein zentrales Argument der Anklage für eine Verwahrung. 

Bei der Befragung machte der Beschuldigte einen zwiespältigen Eindruck: Er wisse zwar, dass er verantwortlich für den Tod des Jungen sei, könne sich aber nicht erinnern, «etwas unternommen zu haben, dass er erstickt ist». Ausserdem sei in erster Linie seine Ex-Partnerin und Mutter des Kindes Schuld an der Tragödie. 
sda

Er gilt als einer der fatalsten Fehlentscheide der früheren Vormundschaftsbehörde, der «Fall Bonstetten», der 2010 in einer Tragödie endete und heute vor Obergericht neu aufgerollt wird. Die Staatsanwaltschaft will eine Verwahrung des Angeklagten erreichen, die Verteidigung eine mildere Strafe. Das Bezirksgericht Winterthur verurteilte G. 2013 zu 18 Jahren Haft.

Der Tathergang ist unbestritten: An einem Freitagabend im März verabreicht der mittlerweile 65-jährige Gustav G. in einem Winterthurer Hotel seinem vierjährigen Sohn eine Dosis Schlafmittel und erstickt ihn mit einem Kissen. G. ist geständig. 

Tatort Hotel Krone, Winterthur.
Tatort Hotel Krone, Winterthur.Bild: KEYSTONE

Nur wenige Tage später bringen Recherchen ausführliche Details über G. ans Licht: Der Treuhänder wollte im Jahr 1990 bereits seinen Erstgeborenen töten. Der damals 13-Jährige überlebte, behindert, G. sass seine 8-jährige Freiheitsstrafe ab, lernte Florians Mutter kennen, eine Prostituierte aus Brasilien, und wurde 2005 zum zweiten Mal Vater.

«Geringeres Risiko» als die Mutter

Ab 2007 beschäftigt der Sorgerechtsstreit der Eltern die Bonstetter Vormundschaftsbehörden. Florian lebt damals bei seinem Vater. Als 2008 publik wird, dass G. vorbestraft ist, platziert die Gemeinde den Dreijährigen bei einer Pflegefamilie. Ein Jahr später wohnt der Knabe bereits wieder bei G. 

Der Grund für den Sinneswandel: Gustav G. wird von seiner Therapeutin in einem Bericht als «nicht gefährdend» eingestuft, begleitende Massnahmen werden nicht empfohlen. In einem späteren Gutachten des Forensischen Instituts heisst es, die Behörde sei dem Vater kritiklos zu nahe gestanden. Er sei als das geringere Risiko als Florians Mutter wahrgenommen worden. 

Von der Laien- zur Profibehörden

An jenem Freitag im März 2010 nimmt der schwelende Streit um Florian ein tragisches Ende, und die massive Kritik an den Vormundschaftsbehörden so richtig Fahrt auf. Weder wurde G. das Sorgerecht entzogen, als die Vorstrafe publik wurde, noch als sich der Halbbruder Florians mit einem Brief an die Gemeinde Bonstetten wandte, um vor seinem Vater zu warnen.

Der damalige Gemeindepräsident von Bonstetten, Charles Höhn, im Februar 2011 an einer Pressekonferenz.
Der damalige Gemeindepräsident von Bonstetten, Charles Höhn, im Februar 2011 an einer Pressekonferenz.Bild: KEYSTONE

Deshalb war auch das Verdikt rasch geschrieben: «Das Versagen der Behörden im Fall Florian», titelte 20 Minuten Online, «Die Gemeinde hat alles falsch gemacht» der «Blick». Die entsprechende Klage der Mutter gegen zwei Gemeindeangestellte und die Therapeutin wurde jedoch durch alle Instanzen hindurch zurückgewiesen. Trotz der Vorgeschichte könne den Behörden keine Schuld zugewiesen werden, so das Urteil.

Konsequenzen hatte der Fall Bonstetten für die Behörden auf politischer Ebene: 2012 debattierte das Parlament über die Professionalisierung der Vormundschaftsbehörde, nicht nur, aber auch unter dem Einfluss des Falls. Die Kommission für Staat und Gemeinden stellte sich einstimmig hinter den Systemwechsel, 2013 wurden die KESB eingeführt.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
0 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Wunder wiederholen sich selten: Die Prämieninitiative wird es schwer haben
Mit der Prämienentlastungs-Initiative könnte der Linken am 9. Juni ein weiterer Coup gelingen. Der Weg zu einem Ja ist jedoch steiniger als bei der 13. AHV-Rente.

Viele Bürgerliche und Wirtschaftsvertreter erlebten am 3. März ihr blaues – oder rotes – Wunder. Erstmals überhaupt wurde eine von links lancierte Volksinitiative für einen Ausbau des Sozialstaats angenommen. Manche «Verlierer» haben das Ja zur 13. AHV-Rente bis heute nicht verdaut. Und am 9. Juni droht bereits der nächste sozialpolitische Hammer.

Zur Story