Schweiz
Justiz

Fall Walker: Verteidiger fordert sofortigen Freispruch

Verteidiger Linus Jaeggi.
Verteidiger Linus Jaeggi.
Bild: KEYSTONE

«Vollkommener Quatsch» – «Akten sind vergiftet» – «Sofortiger vollumfänglicher Freispruch»: Walkers Verteidiger Linus Jaeggi spricht Klartext

Walkers Verteidiger spricht Klartext: Mit der Verheimlichung des Kronzeugen habe die Staatsanwaltschaft eine rote Linie zu überschritten. Damit seien sämtliche Akten vergiftet. 
28.10.2015, 16:3228.10.2015, 16:44
carmen epp
Mehr «Schweiz»

Der Fall Walker – ein Überblick:

  • Der Erstfelder Cabaretbetreiber Ignaz Walker soll im November 2010 einen Killer beauftragt haben, um seine damalige Ehefrau umzubringen.
  • Mit der Waffe, mit welcher der Auftragskiller geschossen haben soll, soll Walker selber im Januar 2010 auch auf einen holländischen Gast, Johannes Peeters, geschossen haben.
  • Das Urner Landgericht verurteilte Walker 2012 für die beiden Taten zu zehn Jahren Haft, ein Jahr später erhöhte das Obergericht die Strafe auf 15 Jahre.
  • Das Bundesgericht hob das Urteil gegen Walker im Dezember 2014 auf.
  • Recherchen der «Rundschau» hatten bereits Zweifel an der Schuld Walkers gesät. Diese wurden im Laufe des Prozesses der Berufungsverhandlung bestätigt.
  • Die Staatsanwaltschaft ist mit dem Vorwurf konfrontiert, sie soll den Aufenthaltsort des Kronzeugen, Johannes Peeters, verheimlicht haben.

Am Montag hat Oberstaatsanwalt Imholz bestätigt, dass man Rechtshilfe in Sachen Peeters geleistet habe. Es sei jedoch nicht die Aufgabe der Staatsanwaltschaft gewesen, den Kronzeugen zu finden.

Walkers Verteidiger Linus Jaeggi.
Walkers Verteidiger Linus Jaeggi.
Bild: KEYSTONE

Diese Äusserungen, hielt nun Verteidiger Linus Jaeggi am Mittwoch vor dem Gericht fest, habe sein Weltbild für immer verändert. Imholz habe damit nämlich bestätigt, was sich als dringender Verdacht seit geraumer Zeit aufdränge: dass die Staatsanwaltschaft eine «rote Linie» überschritten hat – von einem Rechtsstaat zu einem Unrechtsstaat.

«Auf einem dermassen kontaminierten Aktengerüst kann schlicht und einfach kein Schuldspruch mehr begründet werden.»
Verteidiger Linus Jaeggi

Die juristische Argumentation, wonach Imholz nicht in der Pflicht gestanden sei, Hinweise auf den Aufenthaltsort von Peeters dem Obergericht zu melden, hält Jaeggi für «vollkommenen Quatsch».

Gesamte Akten «vergiftet»

Und selbst wenn man zum Schluss komme, dass sich die Staatsanwaltschaft gerade noch so korrekt verhalten habe, so habe Imholz spätestens am 15. Oktober 2015 die Unwahrheit gesagt. Jaeggi sprach vom Schreiben von Imholz an das Urner Obergericht, in dem er festhielt, man könne zum Aufenthaltsort von Peeters keine Hinweise oder Angaben machen. «Das sagt alles», so Jaeggi.

Seit Montag wisse man nun, dass man sich auf die Dokumente der Staatsanwaltschaft «schlichtweg nicht mehr verlassen» könne, so Jaeggi. Das führe dazu, dass die gesamten Akten «vergiftet» seien. «Auf einem dermassen kontaminierten Aktengerüst kann schlicht und einfach kein Schuldspruch mehr begründet werden.»

Ausserordentlicher Staatsanwalt: Alibiübung

Ein weiterer Beweis dafür, dass die Staatsanwaltschaft Uri nicht an der Wahrheitsfindung interessiert sei, gehe aus der Einsetzung des ausserordentlichen Staatsanwalts hervor, der den Aussagen von Sindelic in der «Rundschau» nachgehen sollte. Jaeggi las dazu aus einer E-Mail vor, die Imholz der zuständigen Justizdirektorin geschickt hatte.

Die Einsetzung eines ausserordentlichen Staatsanwalts, sei in der Mail zu lesen, habe Vorteile: Falls das Obergericht oder die Verteidigung für das Verfahren Walker Akten aus dem neuen Verfahren beziehen wolle, habe das auf einem offiziellen Weg zu geschehen, welcher «sicher nicht» über das Büro der Staatsanwaltschaft läuft. So habe man auch kein Wissen, «was im anderen Fall passiert und kann/muss nicht mit diesem Halbwissen den Fall Walker führen».

«Wie kommt die Polizei auf die Idee, nicht einmal zu rapportieren?»
Linus Jaeggi, Verteidiger von Ignaz Walker

Im Klartext, so Jaeggi, heisse dies nichts anderes, als dass die Staatsanwaltschaft «auf diesem Weg bequem alles Wissen von sich fernhalten» könne, das allenfalls für die Unschuld von Walker sprechen könnte.  

Geheimnistuerei um Peeters ist verdächtig

Es  sei ausserdem verdächtig, welch grosses Geheimnis um Peeters gemacht wurde. So habe der ehemalige Oberstaatsanwalt Bruno Ulmi vor zwei Jahren schriftlich lang und breit beteuert, dass Peeters nichts mit Drogen zu tun habe. «Dies obwohl das Rechtshilfegesuch aus Frankreich just zu diesem Zeitpunkt auf seinem Pult lag!», so Jaeggi.  

Im selben Schreiben würden ausserdem Unregelmässigkeiten bereits auf Stufe Polizei deutlich, hielt Jaeggi weiter fest. So hielt Ulmi im selben Schreiben fest, dass die Anhaltung von Peeters im Mai 2010 im Zusammenhang mit einer Amphetaminlieferung in den Kanton Uri noch nicht einmal rapportiert wurde. «Wie kommt die Polizei auf die Idee, nicht einmal zu rapportieren?», fragte Jaeggi.

Stattdessen habe man Peeters damals einen Persilschein ausgestellt. Für den Verteidiger ist klar: «Irgendwas stimmt da nicht.»

In diesem Zusammenhang sei die Aktennotiz, Peeters sei nicht beim Verhöramt erschienen, um seine Aussage gegen Walker zurückzuziehen, fraglich. «Kann man dieser wichtigen Aktennotiz trauen? Nach dem, was wir nun über die Wahrheitsliebe der Strafverfolgungsbehörden leider erfahren mussten?»

«Die Polizei hat also gewusst, dass Peeters nicht kommen würde.»
Linus Jaeggi, Verteidiger von Ignaz Walker

Was wusste die Polizei über Peeters?

Der Verdacht einer «eigenartigen Zusammenarbeit» zwischen Peeters und den Urner Strafverfolgungsbehörden habe sich bereits vor Landgericht gezeigt, so Jaeggi weiter. Als Peeters nicht vor Gericht erschienen war, habe er hartnäckig nachgefragt, was an den Gerüchten dran sei, dass Peeters womöglich in Untersuchungshaft sei. Der Vorsitzende, Landgerichtspräsident Heinz Gisler, habe sich daraufhin «regelrecht gewindet». Gisler habe erläutert, dass er sich mit der Polizei kurzgeschlossen habe und er sich mit dem Hauptverantwortlichen, einem Polizisten, kurzschliessen werde.

«Die Polizei», schloss Jaeggi daraus, «hat also gewusst, dass Peeters nicht kommen würde». Jaeggi stellte deshalb den Antrag, Heinz Gisler als Auskunftsperson zu befragen. Damit dieser genau sagen könne, wer ihm damals was gesagt habe «und weshalb bereits damals diese Geheimnistuerei bezüglich Peeters allenfalls seitens der Polizei veranstaltet wurde».

Nach der Befragung von Gisler könne dann entschieden werden, ob auch noch Polizisten befragt werden sollen, welche Gisler Auskunft erteilt haben bezüglich Peeters.

Jaeggi fordert: Imholz soll ersetzt werden

Oberstaatsanwalt Thomas Imholz: Soll «unverzüglich» durch eine unbelastete Person ersetzt werden.
Oberstaatsanwalt Thomas Imholz: Soll «unverzüglich» durch eine unbelastete Person ersetzt werden.
Bild: KEYSTONE

Ausserdem beantragte Jaeggi den Beizug sämtlicher Akten betreffend Peeters. «Und mit sämtlichen Akten meine ich sämtliche Akten, egal ob sie sich bei der Staatsanwaltschaft, der Polizei oder sonstwo befinden und egal ob es sich um Strafakten, Rechtshilfeakten oder auch nur um Postkarten von Peeters handelt.»

«Anders kann hier nicht weitergemacht werden.»
Linus Jaeggi, Verteidiger von Ignaz Walker

Hierbei stelle sich jedoch ein Problem: Da die Staatsanwaltschaft den Tatbeweis erbracht habe, dass sie selbst auf ausdrückliche Aufforderung des Obergerichts nicht wahrheitsgetreu Auskunft gibt, bestehe die Gefahr, dass der Herausgabe der Akten Peeters nicht vollumfänglich nachgekommen werde.

Als allfälliger Beschuldigter habe Imholz das Recht, keine Aussagen oder Handlungen vorzunehmen, mit denen er sich belasten könnte. Damit müsse «unverzüglich» dafür gesorgt werden, dass der Staatsanwalt durch eine unbelastete Person ersetzt werde. «Anders kann hier nicht weitergemacht werden.»

Sofortiger Freispruch

Ob sich Imholz und weitere Mitglieder der Staatsanwaltschaft mit diesem Handeln allenfalls strafbar gemacht haben, interessiere ihn nicht, so Jaeggi. Ihm gehe es um seinen Mandanten, Ignaz Walker. Das Obergericht sei nun die Instanz, die zu beurteilen hat, ob es in diesem Verfahren mit rechten Dingen zugegangen ist oder ob eine rechtswidrige Beeinflussung vorliegt.

Wenn sich bei den Richtern auch nur der Verdacht erhärte, dass rechtswidrig auf das Verfahren Einfluss genommen wurde, dann gebe es nur eines: einen sofortigen und umfassenden Freispruch.

Am Freitag, 30. Oktober, wird der Prozess fortgesetzt. Dann kommen Oberstaatsanwalt Imholz sowie die Anwältin des Opfers, Nataliya K., zu Wort.

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
3 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Karl33
28.10.2015 19:23registriert April 2015
Ich schätze, den Urnern gehts weniger um Rechtsprechung als um die Vermeidung einer Steuererhöhung, die bei einem Freispruch fällig würde.
271
Melden
Zum Kommentar
3
St. Galler Amtsleiter reiste für mehrtägige Wolfsjagd nach Russland – und erntet Kritik

Der Leiter des Amtes für Natur, Jagd und Fischerei des Kantons St. Gallen hat zusammen mit einem Wildhüter während der Arbeitszeit in Russland an einer mehrtägigen Wolfsjagd teilgenommen. Das berichtet das SRF-Regionaljournal Ostschweiz. Naturschutzverbände kritisieren die Reise als «Erlebnisreise» ohne tatsächlichen Erkenntnisgewinn.

Zur Story