Es ist ein Tabuthema wie kaum ein anderes in der Schweiz: Pädophilie. Wer eine solche Neigung hat, muss mit sozialer Ausgrenzung und Todesdrohungen rechnen. Dabei werden längst nicht alle Pädophilen straffällig.
Monika Egli-Alge, Fachpsychologin für Psychotherapie weiss, wovon sie spricht: Sie war eine der ersten in der Schweiz, die pädophilen Menschen präventive Therapie anbot. Ihre Hauptaussage:
Die SRF-Sendung «Reporter» hat sie deshalb begleitet und konnte im Zuge der Recherche mit zwei Pädophilen und Experten sprechen.
Damit man die Problematik auch zahlenmässig richtig versteht, folgen hier die wichtigsten Zahlen zu Pädophilie.
Pascal* ist 30 Jahre alt. Als er 10 Jahre alt war, verliebte er sich in der Schule in einen Mitschüler. Später verliebte er sich erneut in einen Jungen. Das Problem: Er war 16-jährig, der andere Junge immer noch 10. Pascal merkte: Irgendetwas ist da falsch.
Und es entwickelte sich zu einem Muster: Pascal erzählt im SRF-Film, dass er sich in Jungen zwischen 7 und 13 Jahren verliebe. Mit Nachdruck sagt er: «Ich verliebe mich nur, alles andere ist tabu.»
Er fände Jungen schön, sagt er, gleichzeitig verspüre er aber nicht den Wunsch, mit ihnen Sex zu haben. «In der Fantasie schon, aber das bleibt Fantasie. Für mich ist ganz klar, dass das in der Fantasie bleibt.»
Laut eigenen Angaben ist Pascal nie Täter geworden. Will heissen: Er hat keine Delikte begangen, weder einen sexuellen Übergriff auf ein Kind, noch Missbrauchsabbildungen konsumiert.
Pascal lebt alleine und arbeitet in einem handwerklichen Beruf. Seit 14 Jahren geht er zu Egli-Alge in Therapie. Für ihn sei klar: «Ich habe das, was ich habe. Aber ich will damit keinem Kind weh tun. Von mir kommt keine Gefahr. Ich trinke lieber ein Bier oder schlafe, als ein Kind zu missbrauchen.»
Wie geht man mit so einer Sexualität um, die man nie ausleben kann? «Es ist natürlich zuerst brutal, das ist wirklich so. Aber ich habe gelernt, dass ich es beherrschen kann. Oder wenn ich es selber nicht schaffe, dass ich Hilfe holen kann.»
Aber wie macht man das? Sich beherrschen und die Sexualität unterdrücken? «Es ist ein Prozess, seine Sexualität zu beherrschen. Es gibt Selbstbefriedigung, das ist wirklich das einzige Ventil, das man hat. Man findet sich damit ab und nimmt es als einen Teil an.»
Was fehlt ihm am meisten? «Mir fehlt halt schon manchmal ein bisschen die Zuneigung. Es ist ein bisschen komisch, ich weiss nicht was Liebe ist. Ich habe nie richtig dieses Gefühl erlebt. Ich hatte zwar mal eine Freundin, aber das war eher zweckmässig und halt auch keine Liebe. Ich weiss wirklich nicht richtig, was das ist.»
Pascal würde eigentlich gerne öffentlich über seine Veranlagung reden, er fürchtet sich allerdings vor den Konsequenzen: «Ich will als Mensch gesehen werden, der das hat. Es ist mein Ziel zu sagen: Das bin ich. Ich bin so wie ich bin. Ich kann nichts dafür. Ich möchte kein Mitleid, das bringt mir nichts. Aber dass man mich versteht und mir nicht grade den Tod wünscht.»
Martin* ist um die 30, seine Partnerin Christina* einige Jahre älter. Psychologin Egli-Alge hat das Paar in der Krisensituation kennengelernt, als Martin Christina seine Veranlagung gestanden hat. Er hat nämlich eine nicht ausschliessliche Hebephilie. Das bedeutet, dass Martin vor allem vom frühpubertären Mädchenkörper erregt wird. Aber nicht nur: Er kann auch den Körper von einer erwachsenen Frau anziehend finden und sich in sie verlieben.
Im Gegensatz zu Pascal ging Martin seiner Präferenz nach und wurde straffällig. Er konsumierte Kinderpornografie und wurde vor fünf Jahren deswegen verhaftet. Er kam für ein halbes Jahr in Untersuchungshaft und danach in Therapie. Danach sei er nicht mehr straffällig geworden, sagt er.
Das Bedürfnis, seine Präferenz in der Realität auszuleben, verspürte Martin laut Eigenaussage nie: «Meine moralische Seite in mir drin hat das nie zugelassen. Bei mir gab es immer wie eine virtuelle und eine reale Welt.»
Kurz nach dem Gefängnisaufenthalt lernte er dann seine jetzige Partnerin Christina kennen. Nach 10 Monaten war er so weit, ihr von seinem Geheimnis zu erzählen.
Kritisch war für Martin vor allem der Moment, wann er Christina von seiner Situation erzählt. Zuvor seien bereits mehrere Beziehungen daran gescheitert, dass Martin nicht davon erzählen konnte.
«Ich habe gewusst, dass es mich erdrückt, wenn ich nicht davon erzähle. Es ist nicht lustig, wenn man so ein Geheimnis vor der Partnerin hat, wenn man zusammen wohnt.»
Man könne es schon verheimlichen, «aber ab diesem Moment baut die Beziehung auf einer Lüge auf.» Also blieb nur die Beichte. Denn auch Christina spürte, dass Martin ihr irgendetwas verheimlichte.
«Wenn ich es ihr sage, kann sie mein Leben zerstören. Meine Grundhaltung ist so: Es wird einen Suizid geben, wenn das rauskommt.»
Schwierig war es aber auch für seine Partnerin. Christina erzählt:
Trotzdem sei es danach relativ schnell klar gewesen, dass die beiden zusammenbleiben wollen.
Ihr seien auch Tausende von Fragen durch den Kopf gerast: «Ich werde älter, willst du das überhaupt? Oder brauchst du mich nur als Objekt, dass du deine sexuelle Seite in einer Normalbeziehung ausleben kannst?» Sie habe sich eine Zeit lang auch wie missbraucht gefühlt.
Auch für Martin war es nicht einfach: «Es hat schon eine Weile gedauert, bis ich mich so weit lösen konnte, wieder an eine solche Sexualität zu gewöhnen, oder zu geniessen. Wenn man so lange in einem solchen Loch drin steckt, verlernt man das andere. Und das hat eine Weile gedauert. Aber inzwischen können wir wirklich sagen, dass das für uns so stimmt.»
Für Christina stimmt es ebenfalls so: «Wir haben so viele Sachen, die wir teilen, die wir zusammen erleben wollen. Es ist wahrscheinlich für alle unverständlich, aber mit dem kann ich leben.»
So wie Pascal ist auch für Martin klar, dass eine Enttabuisierung stattfinden sollte. Existieren tut Pädophilie: «Man kann nicht wegschauen, das geht einfach nicht.» Er wünscht sich:
Das Thema, dass die Liebe und Zuneigung fehlt, bleibe bei vielen Betroffenen aktuell. Es gebe fast mehr Einschränkungen als Möglichkeiten, glücklich zu sein. Dabei gehe es nicht mal wirklich um Sexualität, sondern vor allem auch um die Beziehung, erzählt Psychotherapeutin Egli-Alge.
Für sie ist klar, dass man das ganze wertfrei anschauen müsse. Fantasien und Gedanken seien nicht verboten, die gehören einem selbst und schaden noch niemandem. Sobald sich diese Gedanken aber in einer Handlung manifestieren, werde es problematisch. Sobald diese «Präferenzbesonderheit» einen Effekt habe, sobald jemand diese Gedanken auslebe – seien es auch nur kleine Schritte – dann ist es verboten. Sie sagt:
Für Marc Graf, der Direktor der Klinik für Forensik der UPK Basel, hat die Schweiz in Sachen Pädophilie-Prävention noch Arbeit vor sich:
«Ich habe die traurige Erfahrung gemacht, dass ich nicht nur einen Patienten an Suizid verloren habe. Es ist nötig, dass wir diesen Menschen helfen. Und es ist sinnvoll, weil es wirksam ist.»
Graf zieht eine Analogie zur Situation am Platzspitz-Platz in Zürich mit der offenen Drogenszene der 90er Jahre:
*Alle Namen wurden zwecks Anonymisierung abgeändert.
(jaw)
Es hat mein Leben negativ verändert und mir Ängste, Leiden und Depressionen beschert. Daher fällt es mir schwer, für die Täter Verständnis aufzubringen, möchte sie aber auch nicht pauschal verdammen. Ich finde es sehr wichtig, hier einen offenen , gesellschaftlichen Diskurs zu führen, da doch offenbar erschreckend viele Menschen, vorwiegend Männer, pädophil veranlagt sind...
Es geht darum, Opfer zu vermeiden und zu verhindern, dass Menschen zu Tätern werden. Das geht uns alle an!