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Corona: Die Impfoffensive ist zu wenig und kommt zu spät

Pflegepersonal des Covid-19-Impfbusses des Kantons Zuerich impft Schueler und Schuelerinnen des Gymnasiums Wiedikon (KWI) mit dem Moderna-Impfstoff, am Dienstag, 7. September 2021, in Zuerich. Seit Au ...
Bald soll es mehr mobile Impfangebote wie hier in Zürich geben.Bild: keystone
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Diese Impfoffensive ist zu wenig und kommt zu spät

Der Bundesrat will das viel zu langsame Impftempo mit diversen Massnahmen ankurbeln. Auf diese Idee hätte er schon vor zwei Monaten kommen müssen.
01.10.2021, 18:4902.10.2021, 23:29
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Welche Redensart soll man für die neuesten Corona-Entscheide des Bundesrats verwenden? Besser spät als nie? Oder doch «too little too late» – zu wenig und zu spät? Immerhin hat die Landesregierung endlich realisiert, dass sie mehr tun muss, um die Bevölkerung zur Impfung zu motivieren. Denn die Schweiz steht im europäischen Vergleich schlecht da.

Von den Nachbarländern ist nur Österreich in Reichweite – wo am letzten Sonntag im Bundesland Oberösterreich eine impf- und massnahmenskeptische Partei den Einzug in den Landtag geschafft hat. Ansonsten liegen wir teilweise weit hinten. Weshalb man sich fragt, wieso der Bundesrat so lange gebraucht hat für seine Impfoffensive.

Bundesrat Alain Berset hoert eine frage an einer Medienkonferenz ueber die neusten Entscheide des Bundesrates zur Coronavirus-Pandemie, am Freitag, 1. Oktober 2021, im Medienzentrum Bundeshaus in Bern ...
Alain Berset am Freitag vor den Medien.Bild: keystone

So gut und richtig die nationale Impfwoche, der persönliche Kontakt und der niederschwelligere Zugang mit 170 mobilen Impfstellen auch sein mögen (über die 50-Franken-Prämie kann man streiten), sie hätten vor zwei Monaten beschlossen werden müssen. Schon damals war die Schweiz vom zwischenzeitlichen Impfgeparden zur Impfschnecke mutiert.

Entscheid erst Mitte Oktober

Warum hat der Bundesrat nicht früher gehandelt? Hat er darauf vertraut, dass die Zertifikatspflicht einen Schub auslösen würde wie in Frankreich oder Italien? Und nicht nur ein kleines Zwischenhoch wie bei uns? Oder hatte er Angst vor den teilweise rabiaten Impfskeptikern? Eine klare Antwort blieb Gesundheitsminister Alain Berset schuldig.

Dabei wird die Offensive nicht sofort anlaufen. Der Bundesrat gibt die Vorschläge zuerst in Konsultation. Weil nächste Woche wegen den Herbstferien keine Sitzung stattfindet, wird er Mitte Oktober definitiv entscheiden. Der Start könnte erst im November erfolgen und damit mitten im Herbst, sofern die Kantone nicht von sich aus tätig werden.

Risiko viel höher als anderswo

Wenn es schlecht läuft, stecken wir dann in Teufels Küche. «In der Schweiz ist das Risiko einer weiteren starken Welle viel höher als in den anderen europäischen Ländern. Hierzulande steht einfach mehr auf dem Spiel», sagte die «Virenjägerin» Emma Hodcroft von der Universität Bern dem «Blick». Sie gehört nicht zu den Alarmisten aus der Wissenschaft.

Rear Admiral Henrique Gouveia e Melo shares a joke with a military nurse during a visit to a vaccination center in Lisbon, Tuesday, Sept. 21, 2021. As Portugal nears its goal of fully vaccinating 85%  ...
Konteradmiral Henrique Gouveia e Melo ist der Kopf hinter dem spektakulären Impferfolg in Portugal.Bild: keystone

Allein in der Risikogruppe der über 65-Jährigen gebe es weiterhin 150'000 Menschen, die nicht geimpft seien, warnte Hodcroft. Auch Berset räumte am Freitag ein, dass die nötige Impfrate nicht erreicht sei. Deshalb ist auch das definitive Ende der Gratis-Tests – mit einer «Gnadenfrist» für Erstgeimpfte bis Ende November – unschön, aber notwendig.

Portugal hat «Ende Corona»

Wo die Schweiz stehen könnte, sieht man anderswo. Portugal hat am selben Tag, an dem der Bundesrat seine Impfoffensive beschlossen hat, fast alle Corona-Massnahmen aufgehoben. Fast 90 Prozent der Gesamtbevölkerung haben mindestens eine Dosis erhalten. In der Schweiz sind es 63 Prozent. Dänemark ist seit drei Wochen masken- und zertifikatsfrei.

Eine klare Kommunikation, ein gewisser Leidensdruck (im Fall von Portugal) und ein hohes Vertrauen in die Behörden haben diese Erfolge ermöglicht. Bei uns ist keiner dieser drei Punkte gegeben. Auch deshalb beantwortet sich die Eingangsfrage von selbst: Es ist zu wenig und kommt zu spät.

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89 Kommentare
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Raembe
01.10.2021 19:17registriert April 2014
Man kann hier wie Herr Blunschi den Bundesrat kritisieren, was teilweise nachvollziehbar ist. Oder man sieht der Tatsache ins Auge, das alle bereits seit Monaten sich hätten impfen können.

Das langsame Impftenpo liegt nicht am Bundesrat, sondern an einem grossen Teil der Bevölkerung.

Ich wohne in der Nähe eines grösseren Impfzentrums, von Ende Juli bis Anfang September war dort praktisch tote Hose. Erst seit den neuen Massnahmen, sehe ich jeden Abend wieder viele Leute anstehen.
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d10
01.10.2021 19:18registriert März 2018
Diese impfoffensive wird nicht funktionieren, denn die Meinungen sind schon lange gemacht. Vielleicht 5% mehr Geimpfte im Maximum, denn wer sich nicht impfen lassen will wird das wohl kaum wegen 50 CHF oder einem Impfmobil tun.
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Asco
01.10.2021 21:36registriert Oktober 2016
Jede Massnahme wird kritisiert. Die machen alles falsch.
Was wird eigentlich erwartet? Der Bund beschafft einen hocheffizienten Impfstoff, gibt diesen gratis ab. Jetzt gibt es noch Geschenklein dazu. Aber es sind halt nicht die richtigen, man hätte lieber andere. Und die Öffnungszeiten sollten anders sein und im November wird noch darüber abgestimmt, ob die Erstellung des Zertifikates verboten werden soll.
Das ist doch erbärmlich. Vielleicht würde es helfen, die Impfung bis 30. 11. noch anzubieten und die restlichen Dosen dann halt weiterzugeben. Es gäbe viele Länder, die würden zuschlagen.
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