Welche Redensart soll man für die neuesten Corona-Entscheide des Bundesrats verwenden? Besser spät als nie? Oder doch «too little too late» – zu wenig und zu spät? Immerhin hat die Landesregierung endlich realisiert, dass sie mehr tun muss, um die Bevölkerung zur Impfung zu motivieren. Denn die Schweiz steht im europäischen Vergleich schlecht da.
Von den Nachbarländern ist nur Österreich in Reichweite – wo am letzten Sonntag im Bundesland Oberösterreich eine impf- und massnahmenskeptische Partei den Einzug in den Landtag geschafft hat. Ansonsten liegen wir teilweise weit hinten. Weshalb man sich fragt, wieso der Bundesrat so lange gebraucht hat für seine Impfoffensive.
So gut und richtig die nationale Impfwoche, der persönliche Kontakt und der niederschwelligere Zugang mit 170 mobilen Impfstellen auch sein mögen (über die 50-Franken-Prämie kann man streiten), sie hätten vor zwei Monaten beschlossen werden müssen. Schon damals war die Schweiz vom zwischenzeitlichen Impfgeparden zur Impfschnecke mutiert.
Warum hat der Bundesrat nicht früher gehandelt? Hat er darauf vertraut, dass die Zertifikatspflicht einen Schub auslösen würde wie in Frankreich oder Italien? Und nicht nur ein kleines Zwischenhoch wie bei uns? Oder hatte er Angst vor den teilweise rabiaten Impfskeptikern? Eine klare Antwort blieb Gesundheitsminister Alain Berset schuldig.
Dabei wird die Offensive nicht sofort anlaufen. Der Bundesrat gibt die Vorschläge zuerst in Konsultation. Weil nächste Woche wegen den Herbstferien keine Sitzung stattfindet, wird er Mitte Oktober definitiv entscheiden. Der Start könnte erst im November erfolgen und damit mitten im Herbst, sofern die Kantone nicht von sich aus tätig werden.
Wenn es schlecht läuft, stecken wir dann in Teufels Küche. «In der Schweiz ist das Risiko einer weiteren starken Welle viel höher als in den anderen europäischen Ländern. Hierzulande steht einfach mehr auf dem Spiel», sagte die «Virenjägerin» Emma Hodcroft von der Universität Bern dem «Blick». Sie gehört nicht zu den Alarmisten aus der Wissenschaft.
Allein in der Risikogruppe der über 65-Jährigen gebe es weiterhin 150'000 Menschen, die nicht geimpft seien, warnte Hodcroft. Auch Berset räumte am Freitag ein, dass die nötige Impfrate nicht erreicht sei. Deshalb ist auch das definitive Ende der Gratis-Tests – mit einer «Gnadenfrist» für Erstgeimpfte bis Ende November – unschön, aber notwendig.
Wo die Schweiz stehen könnte, sieht man anderswo. Portugal hat am selben Tag, an dem der Bundesrat seine Impfoffensive beschlossen hat, fast alle Corona-Massnahmen aufgehoben. Fast 90 Prozent der Gesamtbevölkerung haben mindestens eine Dosis erhalten. In der Schweiz sind es 63 Prozent. Dänemark ist seit drei Wochen masken- und zertifikatsfrei.
Eine klare Kommunikation, ein gewisser Leidensdruck (im Fall von Portugal) und ein hohes Vertrauen in die Behörden haben diese Erfolge ermöglicht. Bei uns ist keiner dieser drei Punkte gegeben. Auch deshalb beantwortet sich die Eingangsfrage von selbst: Es ist zu wenig und kommt zu spät.
Das langsame Impftenpo liegt nicht am Bundesrat, sondern an einem grossen Teil der Bevölkerung.
Ich wohne in der Nähe eines grösseren Impfzentrums, von Ende Juli bis Anfang September war dort praktisch tote Hose. Erst seit den neuen Massnahmen, sehe ich jeden Abend wieder viele Leute anstehen.
Was wird eigentlich erwartet? Der Bund beschafft einen hocheffizienten Impfstoff, gibt diesen gratis ab. Jetzt gibt es noch Geschenklein dazu. Aber es sind halt nicht die richtigen, man hätte lieber andere. Und die Öffnungszeiten sollten anders sein und im November wird noch darüber abgestimmt, ob die Erstellung des Zertifikates verboten werden soll.
Das ist doch erbärmlich. Vielleicht würde es helfen, die Impfung bis 30. 11. noch anzubieten und die restlichen Dosen dann halt weiterzugeben. Es gäbe viele Länder, die würden zuschlagen.