«Im Notfall nicht warten.» Das steht auf einem Flyer, den das Spital Affoltern an alle Haushalte im Knonauer Amt verteilte. In einer Auflage von 28'000 Stück.
Auf dem Flyer lächelt einem das Notfallteam entgegen, schön drapiert auf der Liege einer CT-Maschine. Denn wie das Spital auf der zweiten Seite informiert: «Das Notfallteam wird durch ein Radiologie- und Laborteam ergänzt, falls Sie eine Ultraschall-, CT-, MRI- oder Blutuntersuchung brauchen.»
Das Spital macht Werbung. Will, dass die Leute zu ihm in den Notfall kommen. Das erscheint suspekt.
Immerhin klagen die Spitäler immer wieder über überlastete Notfallstationen. Einerseits wegen des Fachkräftemangels. Andererseits, weil die Leute zunehmend mit Bagatellen in den Notfall gehen, anstatt eine Hausarztpraxis aufzusuchen.
Das treibt die Gesundheitskosten in die Höhe. Für alle.
Darum hat die Gesundheitskommission des Nationalrats, die SGK-N, Anfang Jahr die Bundesverwaltung damit beauftragt, rechtlich zu prüfen, ob es möglich ist, eine Gebühr für Bagatellfälle in Spitalnotfallaufnahmen zu verlangen.
Umso seltsamer wirkt in diesem Zusammenhang die zweite Seite des Flyers, auf der steht: «Für alle Notfälle von A bis Z.» Dieses Notfall-ABC hat das Spital Affoltern auch gleich auf die letzte Seite gedruckt. Es reicht von A wie «Atembeschwerden» über E wie «Ein- und Durchschlafstörungen», F wie «Fuchsbandwurm» und J wie «Juckreiz» bis hin zu Z wie «Zittern».
Sind das wirklich alles Notfälle? Lukas Rist, CEO des Spitals Affoltern, antwortet:
Dass sein Spital mit dieser Werbeaktion künstlich die Gesundheitskosten in die Höhe treibt, weil der Flyer suggeriert, dass man auch bei Kleinigkeiten eine Notfallstation aufsuchen soll, davon möchte er nichts wissen. Rist meint:
Bei dieser Haltung drängt sich die Frage auf: Ist die Notfallstation des Spitals Affoltern also derzeit kaum besucht? «Wir haben noch Kapazitäten, ja. Und Kapazitäten muss ein Spital ausnutzen, damit es rentiert», sagt Rist.
Dass das Spital Affoltern unter finanziellem Druck steht, daraus macht Rist keinen Hehl. So gehe es aber vielen Spitälern.
Tatsache ist aber: Der Zürcher Regierungsrat hat im vergangenen Jahr entschieden, das Spital Affoltern von der Spitalliste 2023 zu streichen. Leistungsaufträge hat die Regierung dem Spital nur noch im Bereich der akutgeriatrischen und palliativmedizinischen Versorgung zugesichert. Auf eine umfassende stationäre Grundversorgung will der Kanton künftig verzichten.
Die Leistungsaufträge für die innere Medizin und Chirurgie strich die Regierung schon ab diesem Jahr. Der Kanton erklärt diesen Entscheid damit, dass das Spital keinen relevanten Anteil an die Gesundheitsversorgung im Kanton leistet. Selbst Patientinnen und Patienten aus der Region würden andere Spitäler bevorzugen.
CEO Lukas Rist sagt, dass dieser Entscheid Patientinnen und Patienten verunsichert habe.
Mit ihrer Werbung würde sein Spital lediglich auf ein Angebote aufmerksam machen. Immerhin habe der Gesetzgeber den Wettbewerb zwischen den Spitälern explizit gewünscht. «Dann ist es auch logisch, dass wir für unsere Angebote werben», sagt Rist.
Es gibt jedoch auch noch einen zweiten Grund, warum ausgerechnet nur die Notfallstation beworben wird. «Die Notfallstation ist die Eintrittspforte für stationäre Aufenthalte», sagt Rist.
Der Slogan «Im Notfall nicht warten», hat das Spital Affoltern damit sehr bewusst gewählt. Gemäss Rist soll die Botschaft sein: Wir sind noch immer ein vollwertiger Notfall.
Ganz alles kann das Spital Affoltern aber doch nicht. Die Abteilung Chirurgie gibt es nicht mehr. Muss eine Patientin auf ihrer Notfallstation operiert werden, muss das Spital Affoltern sie an ein anderes Spital weiterleiten.
Die Zürcher Gesundheitsdirektion hat von der Flyer-Aktion des Spitals Affoltern nichts gewusst. Auf Anfrage schreibt sie, dass es grundsätzlich Sinn mache, wenn Spitäler ihre Patientinnen und Patienten transparent über ihr Leistungsangebot informiere.
Denn bei nicht lebensbedrohlichen gesundheitlichen Problemen in Abwesenheit der Hausärztin oder des Hausarztes stehe mit dem Ärztetelefon als kantonale Triagestelle ein kostenloser medizinischer Service zur Verfügung. Dieser treibt die Krankenkassenprämien auch nicht in die Höhe.
Doch auch die Gesundheitsdirektion räumt ein, dass ihr Entscheid, Affoltern von ihrer Spitalliste zu streichen, bei den Patientinnen und Patienten Verunsicherung ausgelöst haben könnte. Denn die Notfallstation des Spitals Affoltern werde sicher noch bis 2025 betrieben. Was danach aus ihr wird, ist jedoch offen.