Am Freitagabend, 29. August, erhält die Waadtländer Kantonspolizei einen anonymen Anruf. Ein Mann zeigt sich besorgt über das Schicksal seines Freundes, eines 22-jährigen Schweizers mit Wohnsitz im Kanton Waadt. Er werde gegen seinen Willen an einem unbekannten Ort zwischen der Schweiz und Frankreich festgehalten. Dies teilte die Waadtländer Kantonspolizei am Freitagabend mit.
Der Anruf löste einen riesigen Polizeieinsatz aus. Das Leben des Schweizers schien potenziell in Gefahr. Laut dem Onlineportal rtl.fr schickten sie ein Erpresservideo an einen seiner Freunde. Gemäss dem Portal forderten die Entführer zuerst 300'000 Euro Lösegeld. Laut anderen Medienberichten sollen sie später eine grössere Geldsumme in einer Kryptowährung verlangt haben.
In Frankreich sorgten in den letzten Monaten mehrere Erpressungsfälle im Bereich der digitalen Währungen für Schlagzeilen. In sozialen Medien ging ein Video viral, das zeigt, wie Täter versuchen, zwei Kinder eines Chefs einer Kryptofirma zu entführen. Der Versuch scheiterte.
Die Verdächtigen galten auch im Fall des Schweizers als äusserst gefährlich. In Zusammenarbeit mit Polizisten in der Schweiz mobilisierte die französische Gendarmerie insgesamt rund 150 Polizisten, um die Täter aufzuspüren. Die Ordnungshüter setzten Drohnen ein, überwachten die Smartphones der Verdächtigen und orteten sie schliesslich.
Am vergangenen Sonntag schliesslich stürmte eine Eliteeinheit der Gendarmerie in der französischen Stadt Valence ein Restaurant und nahm drei Verdächtige fest, die sich dort verpflegten. Der erstaunte Restaurantbetreiber hatte nichts mit der Entführung zu tun. Später fanden die Polizisten das Opfer, gefesselt und mit verbundenen Augen, und befreiten es. Es befand sich in einer Wohnung an einem anderen Ort in der Stadt. Ghislain Rety, Kommandant der Eliteeinheit, sagte gegenüber France Info:
Unterdessen sitzen sieben Verdächtige, alle jünger als 30 Jahre, in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Lyon hat ein Strafverfahren eröffnet wegen Entführung und Geiselnahme, Erpressung mit Waffengewalt und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung.
Das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS konnte mit dem Opfer unter Zusicherung der Anonymität sprechen. Der schockierte junge Mann kritisierte, in gewissen französischen Medien werde verharmlosend von einer gewöhnlichen Entführung gesprochen. Er sei während vier Tagen gefoltert worden, sagte der 22-Jährige – unter anderem mit etwa 30 Messerstichen. Zudem sei er geschnitten worden. In der Medienmitteilung bestätigte die Waadtländer Polizei ernsthafte Verletzungen und Misshandlungen.
Valence liegt zweieinhalb Autostunden von Genf entfernt im Süden von Lyon. Angaben zur Frage, weshalb er sich in Valence befand, machte das Entführungsopfer keine. Der Mann dementierte aber Medienberichte, wonach er in sozialen Medien für Kryptowährungen geworben habe. Laut dem Portal rtl.fr hatten es die Täter gar nicht direkt auf ihn abgesehen, sondern auf einen seiner im Kryptobusiness tätigen Freunde.
Auch die Waadtländer Staatsanwaltschaft ermittelt in dem Fall. Sie will in enger Zusammenarbeit mit den französischen Kollegen die Hintergründe der Entführung aufdecken. (aargauerzeitung.ch)