Das Künstlerkollektiv «Experi Theater», bestehend ausschliesslich aus dunkelhäutigen Künstlerinnen und Künstlern, will ein Theaterhaus, das weisse Kulturschaffende ausschliesst.
Ihre Begründung: «Weisse Vorherrschaft (white supremacy) in der Machtstruktur von Kultur- und Kunstinstitutionen auf staatlicher und nicht-staatlicher Ebene unterdrückt unsere nicht-weissen und dekolonialen künstlerischen Arbeiten von BIPOC (Black, Indigenous und People of Colour)-Künstlerinnen und -Gemeinschaften (communities) in Zürich.»
Doch der Reihe nach.
2020 übernahmen drei junge Frauen die Leitung des Theaterhauses Gessnerallee im Herzen der Stadt Zürich. Eine neue Ära für das Kulturlokal und Bühne frei für Inklusion, Gleichstellung, Toleranz und Diversität.
Die Leitung des Theaters, dem auch die Halbnigerianerin und Schwester des Nationalspielers Manuel Akanji, Michelle Akanji, angehört, arbeitete von Anfang an mit der ausschliesslich dunkelhäutigen Gruppe des Experi Theaters zusammen. Dessen Gründer, Leiter und Regisseur ist der aus Sri Lanka stammende Vijayashanthan Pakkiyanathan, der einst als Flüchtling in die Schweiz kam.
2015 erzählte der engagierte Theaterschaffende gegenüber der «WOZ», wie die Sozialarbeiterin von ihm verlangt hatte, eine «richtige Arbeit» zu finden, da er sich damals mit dem Experi Theater nur einen Lohn von 1600.- Franken monatlich auszahlen konnte. Die vierköpfige Familie musste damals mit ergänzenden Sozialhilfeleistungen von 3600.- Franken monatlich unterstützt werden.
Der ungebrochene Wille und das Engagement des Theaterschaffenden haben sich ausbezahlt: Wie der «Tagesanzeiger» berichtet, erhielt das Experi Theater alleine in den letzten zwei Jahren Fördergelder in der Höhe von 207’000 Franken von der Stadt Zürich. Vor einem Jahr wurde das Künstlerkollektiv zudem mit einem Förderpreis des Kantons Zürich ausgezeichnet, dotiert mit 30’000 Franken.
Am ersten September dieses Jahres postete das Künstlerkollektiv auf Instagram dann: «Genug ist genug!» Und weiter: «Wie gewohnt sind wir der weissen Brutalität ausgesetzt und leisten Widerstand.» Das Theaterhaus Gessnerallee habe versucht, ihren Raum, ihre Arbeit, ihre Stimme, ihr Sein zu zerstören.
2021 forderte die Gruppe einen Raum ausschliesslich für nicht weisse («non-white) Personen, in dem sich People of Colour furchtlos austauschen könnten und sicher vor der «Unterdrückung» durch Weisse wären: einen sogenannten «Safer Space». Das Künstlerkollektiv besetzte das Dachgeschoss des Theaterhauses Gessnerallee, das vor der Besetzung als Lager diente.
Die Leitung liess das Experi Theater gewähren, bis es im Februar 2022 zu lange geplanten Renovationsarbeiten am Objekt kam. Aus dem Miteinander entstand ein Gegeneinander. Das Künstlerkollektiv verlangte ihren Raum zurück und warf der Stadt Zürich und der Theaterleitung Rassismus vor.
Das Problem: Das Dachgeschoss ist nur für Lagerungen zugelassen und kann aus gebäudetechnischen Gründen nicht für Proben oder Versammlungen genutzt werden.
Das Experi Theater liess sich nicht unterkriegen, besetzte das Dachgeschoss erneut, dieses Mal auch einen der Aufführungsräume und erklärte das Ganze zum «Non-White Theaterhaus».
Für den Moment sind die Protest-Banner des Kollektivs runtergehängt. An der Gessnerallee findet derzeit das Jazz-No-Jazz-Festival statt.
Unterdessen versuchen die Theaterleitung, das Künstlerkollektiv und die Stadt mittels einer Mediation eine Lösung zu finden, die für alle passt. Erste Erfolge wurden bereits erzielt, wie die NZZ berichtet. So zog sich das Experi Theater vergangene Woche aus dem Nordflügel zurück. Das Jazz-No-Jazz-Festival kann somit wie geplant stattfinden.