Gestohlen, verkauft und mit falschen Identitäten an westliche Paare zur Adoption vermittelt: In den 1980er Jahren wurden Tausende Kinder aus Sri Lanka Opfer von Kinderhandel. Der Adoptionsskandal schlug auch hierzulande hohe Wellen.
Zwischen 1973 und 1997 stellten die Schweizer Behörden insgesamt 950 Einreisebewilligungen für Kinder aus Sri Lanka aus. Bei der Mehrheit dieser Adoptionen ging es nicht mit rechten Dingen zu und her. Das zeigt ein neuer Bericht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Der Bericht, der im Auftrag des Bundesamts für Justiz verfasst wurde, hat es in sich. Er zeigt akribisch auf, wie die Schweizerischen Behörden auf allen Ebenen «versagten», wie es im Bericht heisst. Die Autoren schreiben, dass in Colombo, der Hauptstadt Sri Lankas, Tausende von Kindern gegen Geld, Güter des täglichen Bedarfs und Luxuswaren eingetauscht wurden. Einige Kinder wurden gestohlen, Geburtsscheine gefälscht und die Herkunft verwischt. Die Mehrheit der offiziellen Dokumente war unvollständig und fehlerhaft – und fast überall fehlte die Zustimmungserklärung der biologischen Eltern.
Als 1987 die sri-lankanische Polizei eine sogenannte «Baby-Farm» aushob, wusste die Schweiz davon. Neben Strandhotel und Pool wurden in einem abgesperrten Hintergebäude auf ausrangierten Matratzen Säuglinge für westliche Paare bereitgehalten und für viel Geld verkauft. Zwischen 5'000 bis 15'000 Franken bezahlten Schweizer Paare den Adoptionsvermittlerinnen.
Drei Namen tauchen im Bericht immer wieder auf: Die beiden sri-lankanischen Vermittlerinnen Rukmani Thavanesan-Fernando und Dawn de Silva sowie die Schweizer Vermittlerin Alice Honegger. Das Adoptionsgeschäft war lukrativ. Thavanesan-Fernando verdiente mit der Vermittlung eines einzigen Kindes etwa so viel Geld wie ein sri-lankanischer Lehrer in zwei Jahren. «Bei der Vermittlung von 250 bis 300 Kindern pro Jahr, war das eine exorbitant hohe Summe», schreiben die Autoren der Berichts.
Immer wieder wurden die Schweizer Behörden vor den illegalen Machenschaften von Honegger und ihren sri-lankanischen Verbündeten gewarnt. Bereits 1982 kritisierte Claude Ochsenbein, der Geschäftsträger der schweizerischen Botschaft in Sri Lanka, die Vorgänge. 1984 kam die Kritik des Sozialarbeiters Pedro Sutter dazu, der die Verhältnisse in Colombo untersuchte, dazu. Doch beide blieben sie ungehört.
«Alice Honegger konnte über Jahre hinweg weitgehend unbehelligt agieren und etablierte sich schliesslich schweizweit als Vermittlerin von ausländischen Adoptivkindern», heisst es im Bericht. Der Kanton St.Gallen erteilte Honegger jahrelang die Bewilligung, Auslandsadoptionen zu organisieren. Die Bewilligung erhielt Honegger, «obwohl sie nicht in der Lage oder willens war», zu dokumentieren, wie viele Kinder aus Sri Lanka adoptiert wurden.
Zudem wusste die St.Galler Behörde auch, dass Honegger mit Rukmani Thavanesan-Fernando in Verbindung stand. Von ihr war bekannt, dass sie einem Kinderhandelsnetz in Sri Lanka angehörte. Nichts passierte. Weder die kantonalen Behörden, noch das Bundesamt für Ausländerfragen oder das eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement stoppten Adoptionen aus Sri Lanka und damit den Kinderhandel.
Die damals adoptierten Kinder sind heute erwachsen und sie fordern Antworten. Mit dem Verein Back to the Roots kämpfen sie für Gerechtigkeit und die Aufklärung der Adoptionen.
«Als ich den Bericht las, wurde mir schlecht. Der Bund und die Kantone haben seit 1980 vom Kinderhandel Bescheid gewusst. Und dennoch wurden wir nicht geschützt», sagt Sarah Ramani Ineichen, Präsidentin von Back to the Roots, in einem extra zum Bericht publiziertem Video.
Darin kommen auch andere Betroffene zu Wort. «Das Kindswohl spielte keine Rolle. Wir wurden behandelt wie Objekte», so eine Frau, die in der Westschweiz aufwuchs.
Der Forschungsbericht der ZHAW zeige lediglich einen kleinen Ausschnitt der internationalen Adoptionen, schreiben die Autoren. Eine umfassende historische Aufarbeitung der Geschichte der Auslandadoptionen in der Schweiz seit den 1960er-Jahren sei nötig.
Das findet auch der Verein Back to the Roots. «Der Staat soll uns finanzielle, administrative und psychologische Hilfe zur Verfügung stellen», wünscht ein Vereinsmitglied. Die Präsidentin, Sarah Ramani Ineichen, fordert zudem eine unabhängige Expertengruppe: «Der Bericht alleine reicht nicht. Die Vergangenheit muss systematisch aufgearbeitet werden und es braucht eine Wiedergutmachung für die Betroffenen.»
Aber verurteilen Betroffene ihre Adoptiveltern dafür? Als eine der Interviewten ihre Adoptivmutter als „Schauspielmutter“ bezeichnete... das muss schwer sein, sowas von der Tochter zu hören.