Mit einem herkömmlichen Fitnessstudio hat die Lagerhalle im Industriegebiet am Dreispitz auf den ersten Blick nur wenig zu tun. Von Kraftgeräten fehlt im ersten Raum des CrossFit-Centers jede Spur. Einzig und allein die Velo-Hometrainer an der hinteren Hallenwand und ein Regal mit Gewichtsscheiben und Medizinbällen deuten darauf hin, dass hier regelmässig Sport getrieben wird. Das muss so sein. Denn: Fürs CrossFit-Training braucht man Platz.
Im nächsten Raum stehen dann doch noch ein paar Kraftgeräte. Auf mehreren Wandregalen sind etliche Pokale aneinandergereiht. An der Bar in der hinteren Raumecke sitzt eine junge Frau. «Hier trainiere ich», sagt sie. Nora Jäggi ist Schweizer Meisterin im Gewichtheben. Und das, obwohl sie sich seit anderthalb Jahren vegan ernährt.
Vor rund sechs Jahren hat die 24-jährige PH-Studentin aus Basel die Trainingsmethode CrossFit, zu der auch das Gewichtheben zählt, für sich entdeckt. «Nach einiger Zeit habe ich mich dann dazu entschieden, mich ausschliesslich aufs Gewichtheben zu konzentrieren», sagt Jäggi. Dabei hat sie Erfolg. An der Europameisterschaft 2018 wird Jäggi sechste. Ausserdem qualifiziert sich die amtierende Schweizer Meisterin im selben Jahr für die Elite-WM in Turkmenistan. «Durch den Sport habe ich schon einiges von der Welt gesehen. Das ist schon cool.»
Ausbildung und Sportkarriere unter einen Hut zu bringen, fällt Jäggi nicht immer leicht. «Vor kurzem konnte ich aber einen Uni-Spezialstatus für Spitzensportler beantragen», sagt sie. Weil der Antrag bewilligt wurde, erhält die Studentin nun etwas mehr Freiraum. «In Zukunft fällt zum Beispiel die Präsenzpflicht weg und ich kann mich beliebig für Kurse und Prüfungen an- und abmelden.» Die Regelstudienzeit wird Jäggi wohl trotzdem nicht einhalten können. Statt den vorgesehenen sechs benötigt sie für ihren Bachelorabschluss voraussichtlich acht Semester. «Bislang gab es die Regelung ja noch nicht. Deshalb konnte ichin den meisten Semestern weniger Kurse belegen als geplant», sagt die Sportlerin.
Aber nicht nur ihr Studium, sondern auch ihre Freizeit muss Nora Jäggi mit dem Gewichtheben koordinieren. Für etwas anderes als Sport hat die 24-Jährige oft nur wenig Zeit. Das Klavierspielen gab sie nach 15 Jahren für den Sport auf. «Ich spiele aber immer noch hin und wieder, einfach für mich selbst», sagt Jäggi. Generell sei ihr Musik sehr wichtig. Beim Training hört sie zur Motivation am liebsten Hip-Hop und Rap. Dabei stemmt Jäggi bis zu 120 Kilogramm – mehr als eineinhalb mal so viel, wie sie selber wiegt.
«Weil ich schon als Kind viel Sport getrieben habe, war ich immer recht muskulös», sagt Jäggi. Beim CrossFit habe sie aber in relativ kurzer Zeit viel Muskelmasse aufgebaut. Als sie allmählich breitere Schultern bekommen habe, sei sie oft auf ihren Körperbau angesprochen worden. Auf das gesellschaftliche Schönheitsideal legt Jäggi aber keinen Wert.
Sie ist eine Exotin und das weiss sie auch. «Mich selbst haben meine Muskeln nie gestört. Dass mich Leute plötzlich angefasst und auf meine Muskeln aufmerksam gemacht haben, fand ich trotzdem mühsam.» Das habe sich aber eigentlich nur auf die Anfangsphase beschränkt. Damals sei das Thema Fitness in der Gesellschaft noch nicht so präsent und muskulöse Frauen eher eine Seltenheit gewesen. «Mittlerweile gibt es mehr sportliche und muskulöse Frauen», sagt Jäggi. Deshalb werde sie auch nicht mehr so oft auf ihre Figur angesprochen.
Wer sich einen veganen Sportler vorstellt, denkt wohl meistens an einen ausgemergelten Marathonläufer – nicht an jemanden, der intensiv Kraftsport betreibt. «Ich will ein Zeichen setzen und zeigen, dass man auch mit einer veganen Ernährung stark und erfolgreich sein kann», sagt Jäggi. Weil sie früher davon überzeugt war, nur durch Fleisch genügend Proteine für den Muskelaufbau zu sich zu nehmen, ass Jäggi sehr viel davon. «Das ging ziemlich ins Geld und war abgesehen davon auch völlig übertrieben», sagt sie heute. Als ihr das bewusst wurde, fing Jäggi an, ihren Fleischkonsum zu reduzieren, und verzichtete schlussendlich ganz auf die tierische Proteinquelle. «Milchprodukte habe ich aber weiterhin noch gegessen», sagt Jäggi.
Nachdem sie mehrere Fernsehdokumentationen zum Thema Veganismus gesehen und ein Buch darüber gelesen hat, entschied sich die Gewichtheberin vor eineinhalb Jahren dann für eine komplett vegane Ernährung. Sie ist davon überzeugt, dass tierische Produkte viele Schadstoffe enthalten und pflanzenbasierte Nahrungsmittel ihr guttun.
Als Spitzensportlerin muss Jäggi ständig darauf achten, ihren Körper in seine bestmögliche Form zu bringen. Die richtige Ernährung ist dafür essenziell. «Ich esse fünf Mal am Tag – da kommt es schon darauf an, was ich zu mir nehme», sagt Jäggi. «Nur wenn ich gesund und ausgewogen esse, kann ich Leistung erbringen.» Ihr veganer Lebensstil schränke sie dabei überhaupt nicht ein. Mangelerscheinungen? Fehlanzeige! Sogar einen Bluttest hat Jäggi machen lassen. «Alles im grünen Bereich», sagt sie. Seit ihrer Umstellung nehme sie lediglich zusätzlich noch Vitamin B12.
Seit zwei Monaten richtet sich Nora Jäggi nach einem Plan, den Ernährungsberater Benjamin Signer für sie zusammengestellt hat. «Bei einer veganen Ernährung wird die Kaloriendichte der pflanzlichen Lebensmittel oft überschätzt», sagt Signer. Im Vergleich zu tierischen Produkten haben vegane Lebensmittel meist ein grösseres Volumen und machen deshalb schneller satt. Darum liegen viele Veganer unter ihrem eigentlichen Kalorienbedarf. So kann es zu körperlichen Engpässen kommen. «Sobald die Bedarfsdeckung erreicht und die Vitamin-B12-Zufuhr gewährleistet ist, spricht aus ernährungstechnischer Sicht nichts gegen einen veganen Lebensstil», so Signer.
Tierische Produkte vermisst Nora Jäggi nicht. «Früher habe ich Schoggimousse mit Rahm geliebt. Heute habe ich gar keine Lust mehr darauf.» Die vergehe ihr spätestens im Gedanken an die Hormone, die in Kuhmilch enthalten seien. Und für ihr nächstes grosses Ziel müsse sie schliesslich in Topform sein. «Letzten Samstag habe ich mich für die Weltmeisterschaft qualifiziert. Dafür reise ich im September nach Thailand», sagt Jäggi. Bis dahin will sie noch an Muskelmasse zunehmen. Das sollte aber kein Problem sein. Schoggimousse gibt es schliesslich auch vegan.
https://www.watson.ch/leben/wissen/940221587-orthorexie-nervosa-wenn-der-zwang-nach-gesunder-ernaehrung-krank-macht
Übrigens finde ich es für jede erwachsene und mündige Person gut, wenn sie sich entsprechend selbst entscheidet.
Aber bei Kindern ist grosse Vorsicht geboten - Neuropädiatrie der Kinderspitäler sehen immer wie mehr Störungen in der kognitiven Entwicklung bei gewissen Ernährungsweisen von Kindern.
Keine angst, er wirds dir selber sagen...