Mein Puls beschleunigt sich, ich kann kaum aufhören zu grinsen und in meiner Brust spüre ich ein Gefühl von purer Euphorie. Ich will tanzen, singen und die ganze Welt umarmen. Es ist, als wäre ich verliebt – in alles, was mich umgibt. Ich bin an einer Kakao-Zeremonie.
Vieles, was vor ein paar Jahren noch in die Alt-Hippie-Ecke gehörte und eher belächelt wurde, ist jetzt Trend. Stars wie Emily Ratajkowski tragen Heilsteine um den Hals, die als «Hot Girl Summer Necklace» bezeichnet werden, in hippen Restaurants brennt auf der Toilette ein Aromatherapie-Lämpchen und im Concept-Store steht das hübsch hergerichtete Räucherwerk direkt neben der herkömmlichen Duftkerze.
Zu dieser Strömung gehören aber nicht nur schicke Accessoires, sondern eben auch spirituelle Erfahrungen. Wer Acht auf seinen Körper und Geist gibt, besucht längst nicht mehr nur eine Yogaklasse. Nein, in urbanen Zentren atmet man sich beim Breathwork in Trance, findet Entspannung und Heilung bei einem Sound-Bath und erlebt Ekstase beim Kakaotrinken.
Um Letzteres zu erfahren, finde ich mich an einem Samstagnachmittag in einem Kreis sitzend in einem Zürcher Yogastudio wieder. Vor mir ein Altar aus Holz, Früchten und Geld als Opfergabe sowie Räucherstäbchen. Um mich herum sechs andere Teilnehmende, die alle bereits viel Erfahrung mit Kakao haben, wie sie erzählen.
Sie sind hier, um für 85 Franken von Kursleiter Juan in vier Stunden zu lernen, wie man selbst eine traditionelle Kakao-Zeremonie hält. Der Argentinier lebt zusammen mit seiner Partnerin Purnama auf Bali und ist Zeremonie-Guide und Integrationscoach. Die beiden sind über den Sommer in der Schweiz, um hier Zeremonien abzuhalten.
«Ich sehe diese Zeremonien als einen Weg, uns wieder mit uns selbst, unserem Herzen, Mutter Erde, dem Geist und den heiligen Aspekten des Lebens zu verbinden», sagt der 38-Jährige.
Kakao-Zeremonien wie diese erfahren immer grössere Beliebtheit, wie mehrere Veranstalterinnen und Kakao-Shops berichten. Es gibt sie in allen möglichen Variationen – an Partys kombiniert mit ekstatischem Tanzen, thematisch zu den vier Jahreszeiten, zur Verbindung mit der Natur oder gefolgt von einer Yogastunde.
So unterschiedlich sie sind, sie alle arbeiten mit der Wirkung der Pflanze. Denn die aus Mittel- und Südamerika stammende Bohne hat – in der richtigen Dosis eingenommen – nicht nur eine stimmungsaufhellende Wirkung, sondern beeinflusst das vegetative Nervensystem und Gehirn. Mit der heissen Schoggi aus den Skiferien hat das Getränk nicht viel gemeinsam.
Anstelle von industriell verarbeitetem Kakaopulver wird Rohkakao verwendet und pro Person nimmt man so 30 bis 40 Gramm reinen Kakao zu sich. Als Vergleich: Ein Säckchen Caotina misst 15 Gramm und die Hauptzutat ist Zucker.
Das darin enthaltene Theobromin wirkt ähnlich wie Koffein, regt den Kreislauf an. Gleichzeitig enthält der Kakao Magnesium, das wiederum beruhigend wirkt. Weitere Inhaltsstoffe sind Serotonin und Tryptophan, das die körpereigene Serotoninproduktion anregt sowie Stress und Angst reduziert.
Diese Wirkung soll auch ich gleich erfahren. Doch zuerst führt uns Juan in die Welt von Zeremonien ein, betet dabei immer wieder und räuchert den Raum. Sowieso steigt den ganzen Tag von irgendwo Rauch empor – aus einer Räucherschale oder weil wieder irgendwo ein Räucherstäbchen brennt.
Nach einer Meditation, bei der wir unseren inneren Kraftort finden sollen, gehen wir in die Küche, um gemeinsam den Kakao zuzubereiten. An anderen Zeremonien wird dieser fertig ausgeschenkt, hier wollen die Teilnehmenden aber lernen, wie die Zubereitung funktioniert.
Juan betet wieder und erzählt von einer Sage der Mayas. Sie besagt, der Kakao komme aus dem Regenwald, wenn das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur verloren geht, öffne die Herzen und bringe dem Planeten wieder Harmonie.
Während er den Kakao in einem grossen Topf mit Wasser zum Schmelzen bringt, fügt er Zimt, Vanille und gemahlene Chilis hinzu – immer im Muster der Himmelsrichtungen. Gemeinsam singen wir ein Lied, um den Geist des Kakaos zu erwecken und auch hier räuchert Juan unablässig.
Wieder im Kreis, passiert noch nicht das, worauf hier alle schon lange warten. Bevor wir den Kakao trinken, sollen wir in unseren Körper kommen. Dafür schwingen, schütteln, klopfen und zentrieren wir uns. Juan betet zur Natur und er und Purnama stimmen weitere Lieder an.
Nach etwa einer halben Stunde ist es so weit, der Kakao wird ausgeschenkt. Die Tassen werden im Kreis herumgegeben und jeder soll beim Weiterreichen gute Wünsche hinzugeben.
Bevor wir trinken, singen wir nochmals ein Lied und halten uns die Tasse nah ans Herz, um uns mit dem Geist des Kakaos zu verbinden. Wir sollen jeden Schluck des bitteren Getränks bewusst trinken, auch dabei singen wir wieder.
Singend geht es weiter. Einfache Lieder, bei denen man leicht einstimmen kann. Langsam breitet sich in meiner Brust ein wohliges Gefühl aus, als würde sie sich weiten. Gleichzeitig beschleunigt sich mein Puls. Nicht auf eine nervöse Art, eher angenehm anregend.
Das Singen um mich herum wird immer lauter, auch ich lasse mich mitreissen. In einer Gruppe mit Fremden zu singen, ist für mich sonst eher schwierig. Jetzt aber fühle ich mich wohl, bin ganz bei mir, als würde ich getragen. Während einige aufstehen, tanzen und lauthals singen, sitzen andere in sich gekehrt und lauschen, auch Tränen fliessen. Kommt das alles jetzt wirklich nur vom Kakao?
«Nein», sagt mir Dr. Jürg Gertsch, Professor in pharmazeutischer Biologie und Biochemie an der Universität Bern. «Der zeremonielle Rahmen ist viel wichtiger als die Wirkung des Kakaos auf den Körper selbst», sagt er. Der Kakao sei vielmehr ein Helfer, der eine «gute» Zeremonie unterstützen könne.
Doch warum fühlt sich meine Brust an, als würde sie sich öffnen? «Theobromin hat eine gefässerweiternde und herzstimulierende Wirkung und reguliert den Vagnusnerv, der dem Theobromin entgegenwirkt», sagt Gertsch. «Die Inhaltsstoffe des Kakaos aktivieren das gesamte autonome Nervensystem, stimulieren aber auch das Gehirn. Bei einer Überdosis bekommt man jedoch Schwindelgefühle, Herzrasen und Muskelkrämpfe.»
Abgesehen davon, ist der Konsum unbedenklich? «Ja», meint Gertsch. «Es besteht auch keine Suchtgefahr, wie das bei anderen psychostimulierenden Substanzen der Fall ist.»
Der Essenz des zeremoniellen Rahmens stimmt Juan in gewisser Weise zu. «Zusätzlich wirkt auch der Geist der Pflanze. Er weicht unsere harten Schalen auf, erlaubt uns, mehr zu fühlen und schenkt uns Klarheit und Verbindung.» Für ihn ist Kakao, wie auch schon für die Majas, eine Medizinpflanze.
Ob nun vom Kakao oder der Zeremonie, was ich beim Verlassen des Yogastudios spüre, ist pure Lebensfreude, Euphorie und ein Gefühl, als wäre ich verliebt. Ich will tanzen und unter Menschen. Zum Glück ist Samstagabend und so passiert es, dass ich eine der besten Partynächte seit Jahren erleben darf.
Der super authentische Schamane lacht sich jedoch im Winter auf Bali hart ins Fäustchen, wenn im jede hippe Stadtzürcherin 85 Stuz für das bisschen Singen spendiert. 😅
Für mich Persönlich gehört das in die Schwurbelesokiste, welcher Gott braucht auch Geld als Opfergabe?
Aber eben, 85 Stutz für 4 Stunden, da kann man das Geld einiges dümmer verscherbeln.