Er war ein Gründer und einer, der in Zürich unermüdlich Brücken schlug. Zwischen Generationen, Szenen und Geschäftsmodellen. Ohne ihn gäbe es das Buchhandlungs-Café-Veranstaltungslokal Sphères, das er einst mit seiner Frau Monika Michel gegründet hat, mit dem schönen überdachten Aussenbereich an der Limmat nicht. Vor wenigen Monaten wurde bei ihm Krebs diagnostiziert, am 4. Januar ist er im Alter von 73 Jahren friedlich gestorben, wie das Sphères auf Anfrage von watson mitteilt. Er habe dem Team, das das Unternehmen immer in seinem Sinne weitergeführt habe, bis zuletzt mit Ratschlägen zur Seite gestanden.
Ohne ihn gäbe es auch jenen anderen Veranstaltungsort an der Ecke Langstrasse/Europaallee nicht, der 2017 Kosmos getauft wurde und dessen übrig gebliebene Fragmente heute Frame und Khouris heissen – Kino traf da auf Beiz, traf auf Bar und auf Buchhandlung, die auch ein Café war und zwischen alledem eine grosse Treppe, auf der man tagsüber sein konnte und die sich abends oft in eine Tribüne vor streitbaren Podien verwandelte.
In Bruno Deckerts nach allen Seiten hin hybriden, transparenten Sphären fanden Menschen mühelos zu Kultur – oder auch bloss zu einem gemütlichen Moment im städtischen Getriebe. Und so, wie man sich seit 1999 an das Sphères in Züri West gewöhnt hatte und sich gelegentlich wunderte, wie rasend gut das dezentral liegende Café unterhalb der Redaktionsräume der «Wochenzeitung» an jedem einzelnen Tag lief, und wie toll es die Menschen offenbar fanden, nicht nur am Fluss, sondern auch davor zu sitzen und den vorbeifahrenden Trams zuzuschauen, so hatte man sich auch an das Kosmos gewöhnt. Es war – wie das Sphères – ein guter Ort in einer eher unwirtlichen Ecke von Zürich.
Alles war dort ein bisschen grösser als im Sphères, statt den Trams konnte man den Zügen zuschauen, auch das Wort Grössenwahn fiel oft im Zusammenhang mit dem Unternehmen, das Deckert gemeinsam mit dem Filmemacher Samir und dem Immobilienunternehmer Steff Fischer gegründet hatte. 2022 ging das Kosmos Konkurs, die drei Männer hatten sich heillos zerstritten, zehn Monate lang stand der riesige Kulturkomplex still, seither versucht das Zurich Film Festival mit eher ausbleibendem Erfolg, den Kinosälen wieder Leben einzuhauchen, wenigstens läuft das Restaurant gut, doch von der Idee eines Zürcher Hauses des Films, der Bücher und der Begegnungen ist eher eine Ruine am Atemgerät als etwas Lebendiges geblieben.
Deckerts Gründerdrang mag, so sagen Weggefährten, aus einem Bedürfnis nach Ersatzfamilien und Befreiung entstanden sein. Als der am Bodensee aufwachsende Deckert sechs Jahre alt war, trat seine Mutter den Zeugen Jehovas bei. Für ein Kind bedeutet dies rigiden Verzicht und immer wieder Distanzierung von vielem, was andere Kinder tun dürfen, besonders von kollektiven Unternehmungen.
Gemeinsam mit seinem besten Freund Silvio, den er in der Sekte kennenlernte, brach Deckert später mit seiner Familie, studierte Psychologie und untersuchte in seiner Dissertation, wie sich die Zeugen Jehovas gegen Kritik immunisieren. Den Rest seines Lebens widmete er der Freiheit. Dem freien Meinungs- und Kulturaustausch.
Er hat Zürich gutgetan. Er vermochte den Geist der für die Zücher Kulturszene prägenden Achtziger-Jahre-Bewegung in die apolitische Hipster-Ära zu retten, bei ihm trafen alte Rebellen auf neue Expats, er war ein Meister der Durchmischung und Vermittlung. Jetzt ist er nicht mehr. Und fehlt bereits.
Du hast so viel Wunderbares und Lebenswertes ermöglicht hier in Zürich lieber Bruno! Gute Reise 👋