Das Coronavirus scheint als Krankheitserreger halbwegs besiegt, doch es hat tiefe Spuren hinterlassen. Es griff nicht nur Lungen an, sondern auch manche Hirne. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man den Siegeszug der Verschwörungstheorien beobachtet, der durch die sozialen Medien fegt.
Die Corona-Pandemie befeuerte das Phänomen dieser irren Geschichten. Seither haben sie ein Eigenleben entwickelt und setzen sich in den Köpfen und im Bewusstsein eines erstaunlich grossen Teils der Bevölkerung fest.
Dabei gilt offenbar das Prinzip: Je verrückter der Plot, desto mehr elektrisiert er die grosse Gemeinde der Verschwörungstheoretiker. Beliebte Ziele solcher Geschichten sind Prominente, die wirtschaftliche oder politische Macht besitzen. Sie treiben die Anhänger von Verschwörungstheorien zur Weissglut.
Ihre stereotype Argumentation: Die Meinungsführer gehören zu einer geheimen Elite, die die globale Macht anstrebt und das gemeine Volk unterdrückt und ausbeutet. Opfer solcher Geschichten wurden Barak und Michelle Obama, Hillary Clinton, Angela Merkel, Bill Gates, George Soros und viele mehr.
In letzter Zeit hat sich der verschwörungstheoretische Mob auf Brigitte und Emmanuel Macron eingeschossen, wie Medien in den letzten Tagen europaweit berichteten. Der Hauptgrund, weshalb der französische Staatspräsident und seine Gattin ins Visier der kruden Szene gelangten, muss unter anderem in der Genderdebatte gesucht werden.
Beginnen wir mit der Geschichte von Brigitte Macron. Sie werfen ihr vor, eine transgender Frau zu sein. Sie sei als Knabe geboren worden, habe Jean-Michel geheissen und sei durch Operationen zur Frau geworden. In Wirklichkeit war Jean-Michel ihr Bruder, wie Familienfotos aus der Kindheit dokumentieren. Sie zeigen Brigitte und Jean-Michel friedlich nebeneinander.
Die Behauptung, Brigitte Macron sei ursprünglich ein Knabe gewesen, lässt sich auch deshalb leicht widerlegen, weil sie in erster Ehe drei Kinder auf die Welt brachte. Und ihre Figur lässt keine Zweifel offen, welchem Geschlecht sie angehört.
Ganz abgesehen davon: Was wäre denn so verwerflich, falls sie sich hätte umwandeln lassen? Wäre sie deshalb ein schlechter Mensch, den man mit gemeinen Anschuldigungen und Fake News in den Dreck ziehen darf?
Auch ihr Mann Emmanuel wurde durch den verschwörungstheoretischen Fleischwolf gedreht. Er war schon als ehemaliger Banker der Rothschild-Bank auf dem Radar der Schwurbler. Der Zusammenhang: Die jüdische Bankerfamilie gehört zu den Erzfeinden der Szene, weil sie angeblich eine zentrale Rolle in der geheimen Weltregierung spielt, die die globale Macht an sich reissen soll.
Weiter werden Macron ebenfalls sexistische Vorwürfe gemacht. Er sei homosexuell und mit einem bekannten Verleger liiert, behaupten die Verschwörungstheoretiker. Präsident sei er nur dank einer Verschwörung der geheimen Mächte geworden. Das homophobe Narrativ: Hütet euch vor Homosexuellen!
Inzwischen glauben viele Franzosen an die breit gestreuten Verschwörungsideen. Selbst der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy liess sich ein wenig anstecken und sagte, Emmanuel Macron habe etwas Androgynes an sich. Sarkozy ist in bester Gesellschaft, verbreitet doch auch Donald Trump fast täglich krude Ideen, die oft die Qualität von handfesten Verschwörungstheorien haben.
Viele Verschwörungstheoretiker müssen im rechtsradikalen, antisemitischen und rassistischen Milieu verortet werden. Da sich die rechten politischen Parteien von der SVP über die AfD bis zu den amerikanischen Republikanern den «Genderwahn» auf ihre Fahnen geschrieben haben und damit Wahlkampf betreiben, infizieren sie so ihre «Genossen» von der verschwörungstheoretischen Fraktion mit diesem geistigen Virus.
Deshalb suchen Verschwörungstheoretiker krampfhaft Beweise für ihre Gender-Theorien. Dabei müssen sie zu absurden Gedankenverrenkungen greifen, die man mit ein paar Beobachtungen und Gedanken als Hirngespinst entlarven kann.
Doch weil es sich bei Verschwörungsideen um Glaubenskonstrukte handelt, werden rationale Argumente verdrängt. Frei nach dem Motto: Der Glaube muss nicht bewiesen werden, sonst wäre es kein Glaube. Oder: Ich glaube es, weil ich es glauben will. Und weil dieser Glaube genau zu meinem Bewusstsein und meinen Bedürfnissen passt.
Deshalb behaupten sie, beweispflichtig seien die Leute, die meinen Glauben als Irrlehre bezeichnen. Befeuert wird der Sturm in den sozialen Medien auch vom russischen Geheimdienst, der die Glaubwürdigkeit der Macrons untergraben und die Wahlchancen für Marine Le Pen vom rechtsradikalen Front National erhöhen will.
In dieses Bild passt auch, dass ein Grossteil der Verschwörungstheoretiker Putin als Held verehrt. Sie geben gern die Superpatrioten, doch die Demokratie als Staatsform ist ihnen ein Dorn im Auge. Sie haben es gern autoritärer.
Brigitte Macron hat schon vor einiger Zeit eine Strafanzeige wegen Verleumdung und Persönlichkeitsverletzung eingereicht. Für die untersuchenden Behörden eine Herkules-Aufgabe, ist doch der Kreis der möglichen Täter sehr gross.
Kürzlich hat sich ihr Ehemann zum Fall geäussert. Das Schlimmste an den falschen Anschuldigungen und erfundenen Geschichten sei, dass die Menschen daran glauben würden, sagte er öffentlich. Das verletze und treffe sie in ihrem Innersten.
Der Prozess soll im Juni beginnen. Dann werden die Wogen wieder hochgehen, angeheizt von den bisherigen Brandstiftern, die anonym ihre irrwitzigen Behauptungen tausendfach wiederholen werden.
Auf die Anklagebank gehörten auch die sozialen Medien, die diese ehrverletzenden Geschichten tolerieren. Sie tragen die Hauptverantwortung und müssten als Brandstifter mit Milliardenbussen gezwungen werden, hetzerische Fake News zu löschen.