Liveticker
26.09.2018, 11:5912.02.2021, 22:18
Das Wichtigste in Kürze
- Der Nationalrat diskutiert heute Mittwoch über die geplante Lockerung für Waffenexporte.
- Im Sommer hatte der Bundesrat die Bestimmung gelockert: Neu sollen auch Exporte in Bürgerkriegsländer unter gewissen Umständen bewilligt werden können.
- Dafür erntete er harsche Kritik: Eine breite Allianz aus Hilfswerken und Parteien kündigte eine «Korrektur-Initiative» an, um die Lockerungen rückgängig zu machen.
- Der Nationalrat hat heute eine Motion der BDP-Fraktion angenommen. Neu soll das Parlament statt der Bundesrat über die Kriterien für Waffenexporte entscheiden.
Mit der Annahme der BDP-Motion endet unser Liveticker. Im Laufe des Tages folgen auf watson noch Hintergründe und Stimmen zum Entscheid des Nationalrats, den Bundesrat zu entmachten. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit
Die BDP-Motion wird angenommen mit 97 zu 82 Stimmen bei 11 Enthaltungen. Damit entmachtet der Nationalrat den Bundesrat bei den Waffenexporten. Allerdings muss der Ständerat dem Geschäft auch noch zustimmen.
Der Bundesrat halte die Anpassungen «weiterhin für notwendig und richtig», vor allem aus sicherheitspolitischen Gründen. Er sei bereit, weiterhin die Verantwortung für den Rüstungsgüterexporte wahrzunehmen. Die Änderungen, welche die BDP-Motion verlange, seien aus Sicht des Bundesrats nicht zu verantworten. Insbesondere der Dual-Use-Bereich, also zivile Güter, die auch für militärische Zwecke verwendet könnten, wäre betroffen. Als ehemaliger Unternehmer sei ihm bewusst, wie viele Arbeitsplätze hier betroffen sein.
Zum Ende der Debatte spricht Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Er habe noch nie zu einem Thema so viele Bürgerbriefe erhalten wie zu den Anpassungen. Darin seien grosser Unmut und viele Fragen zum Ausdruck gekommen. Doch der Bundesrat nehme seine Verantwortung wahr und stehe zu den schweizerischen Werten. Das Seco, das EDA und der Bundesrat handelten bei den Exportgesuchen sorgfältig. Man treffe keine leichtfertige Entscheidungen: «Auch Bundesräte haben ein Herz.» Der Bundesrat halte die Schweizer Neutralität und ihre humanitäre Tradition hoch und verfechte die Werte der Uno-Charta: Ich will auch der Good Guy sein, sagt Schneider-Ammann. Auf einen Zwischenruf von SP-Nationalrätin Jacqueline Badran reagiert er mit Humor: «Sie müssen es jetzt noch drei Monate mit mir aushalten. Und ich mit Ihnen. Das werden wir überleben.»
SP-Nationalrätin Priska Seiler-Graf ruft den scheidenden Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (FDP) dazu auf, zum Ende seiner Amtszeit eine letzte gute Tat zu tun. «Nehmen Sie die Lockerungen zurück.» Ansonsten komme die Korrektur-Initiative. Zukünftig müsse die Bevölkerung mitreden können. Deshalb unterstütze die SP die Motion der BDP mit voller Unterstützung.
Jetzt stellt BDP-Präsident Martin Landolt die Motion vor, über die der Nationalrat abstimmen wird. Bei den Waffenexporten gehe es nicht nur darum, «ob X etwas nach Y verkaufen dürfe». Waffenexporte bewegten die Menschen im Land und beeinflussten das Bild der Schweiz in der Welt. Sie definierten unsere Werte. Deshalb müsse das Parlament hier die Spielregeln bestimmen und diese so demokratisch besser abstützen. «Bei den Werten braucht man einen Kompass, und wer keinen hat, verliert hier schnell die Orientierung – wie hier der Bundesrat.»
CVP-Nationalrat Nicolo Paganini zitiert Bertolt Brecht: «Kommt erst das Fressen und dann die Moral?» Frieden und Arbeitsplätze dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die CVP stehe zur Rüstungsindustrie. Aber die geplanten Lockerungen lehne sie ab. Denn sie schade der Reputation der Schweiz und der Schweizer Rüstungsindustrie. Auch defensive Kriegsmaterialien beeinflussten das Kräfteverhältnisse zwischen den Parteien in einem internen Konflikten. Er verlangt vom Bundesrat, auf die geplante Änderung zu verzichten. Ansonsten werde die CVP die BDP-Motion unterstützen. Die geplante «Korrektur-Initiative» wolle man nicht: «Aber wir warnen vor deren Popularität»
Die Schweiz als Signatarstaat der Genfer Konvention und Gastland des IKRK sei dem Frieden, der humanitären Tradition und der Neutralität verpflichtet, sagt die Grüne Lisa Mazzone (Genf). Die Frage, die sich heute stelle, sei eine ethische Frage: «Exportieren wir Waffen in Bürgerkriegsländer oder exportieren wir dank unseren guten Diensten Frieden?»
Der Freiburger Jean-François Rime (SVP) wirft den Gegnern der Änderungen ungenaue Lektüre vor. Es handle sich keinesfalls um eine Lockerung, sondern um eine Anpassung. Die grosse Mehrheit der Kriegsmaterialexporte gehe an stabile Länder: «Die Rede von Bürgerkriegsländern ist hysterisch.»
Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli wendet sich an die Befürworter der Lockerungen. Diese argumentierten damit, dass einfach andere Länder Waffen liefern würden, wenn es die Schweiz nicht tue. Das stimme. Aber diese könnten etwas anderes nicht exportieren, was die Schweiz könne: «Unsere Rolle als glaubwürdige Vermittlerin.»
Als nächster Redner spricht der Grünliberale Beat Flach. Er geht mit der Argumentation des Bundesrates und seiner Unterstützer vor, wonach die Rüstungsindustrie diese Lockerungen brauche, um gleich lange Spiesse zu haben wie die ausländische Konkurrenz: «Diese wirtschaftlichen Argumente sind unglaubwürdig.» Die Rüstungsindustrie habe viel stärker unter dem starken Franken gelitten, als den bisherigen Regeln.. Das Parlament tue gut daran, seiner Pflicht nachzukommen, über die Neutralität zu wachen: «Die Schweiz sollte saubere Geschäfte machen.»
Auf eine Frage von SP-Nationalrätin Chantal Galladé definiert SVP-Nationalrat Werner Salzmann das Verständnis seiner Partei von Neutralität. Die Neutralität bedeute, dass sich die Schweiz bei bewaffneten Konflikten zwischen Staaten nicht auf die eine oder andere Seite schlage: «Bei der jüngsten Lockerungen geht es aber um interne Konflikte, das hat nichts mit der Neutralität zu tun.» Grünen-Präsidentin Regula Rytz will von Salzmann wissen, wie viele Flüchtlinge aus Konfliktgebieten, in die neu Schweizer Waffen geliefert werden sollen, er persönlich aufzunehmen bereit sei. Salzmanns Antwort: Bürgerkriegsländer wie Syrien, von wo viele Flüchtlinge kommen, würden weiterhin nicht beliefert.
Niemand wolle Kriege anheizen oder die Neutralität unterlaufen, sagt SVP-Nationalrat und Offizier Werner Salzmann. Die Lockerungen seien minimal und würden defensive Waffen betreffen. Das sei Material, um Leben zu retten. Bürgerkriegsländer wie Jemen und Syrien würden weiterhin nicht beliefert. Die Schweiz sei auf eine Wehrgüterindustrie angewiesen, um die nationale Sicherheit zu stärken und die Abhängigkeit von ausländischen FIrmen zu reduzieren. Er wirft den Gegnern der jüngsten Lockerungen Populismus vor.
CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann bedankt sich zuerst bei Bundesrat Johann Schneider-Ammann für die gute Zusammenarbeit. Bei der Frage der Waffenexporte sei man aber nicht gleicher Meinung. Mit der Lockerung der Kriegsmaterialverordnung habe der Bundesrat «Hasen aufgescheucht, die nun in alle Richtung davon rennen. Man hätte sie besser in Ruhe gelassen.» Wenn die Schweizer Rüstungsindustrie Konfliktparteien beliefere, gefährde das die Vermittlerrolle der Schweiz bei bewaffneten Konflikten.
Für die FDP-Fraktion spricht der St. Galler Walter Müller. Er habe noch selten eine so emotional geführte Debatte erlebt wie jene über die jüngsten Lockerungen. Die Medienberichterstattung darüber sei leider unsachlich gewesen. Das sei einer reifen Demokratie unwürdig. Laut Müller seien die beschlossenen Änderungen nur auf den ersten Blick bedeutend. De facto fielen sie aber sehr moderat aus. Es würden weiterhin keine Rüstungsgüter in Bürgerkriegsländer exportiert, wenn sie in einem Konflikt werden könnten. Der Bundesrat gehe bei den Bewilligungen mit grösster Sorgfalt vor. Die FDP lehne deshalb die Motion der BDP ab, der Regierung die Kompetenzen zu entziehen.
Die dringende Debatte über die Regeln für Waffenexporte im Nationalrat hat begonnen. Zunächst stellen die Fraktionen ihre Interpellationen zum Thema vor. Die Antworten des Bundesrats hierauf sind bereits bekannt. BDP-Präsident Martin Landolt hat offene Fragen zur Zukunft der Rüstungsindustrie: Wie würde der Bundesrat reagieren, wenn die Rüstungsindustrie in 5 Jahren immer noch Probleme habe, trotz den jüngsten Lockerungen? Mit noch mehr Abschaffungen von Regeln? Das könne kein ernsthaftes Rezept sein.
Die Exportschlager der Schweizer Rüstungsindustrie
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Die Exportschlager der Schweizer Rüstungsindustrie
2017 exportierten Schweizer Firmen Waffen im Wert von 446,8 Mio. Fr. in 64 Staaten – 8% mehr als im Jahr zuvor. Diese Waffenexporte machten 0,15% der Schweizer Gesamtexporte aus. Wichtigstes Empfängerland war Deutschland vor Thailand, Brasilien und Südafrika. Im Bild: Schweizer Sturmgewehre auf dem Waffenplatz Thun.
quelle: keystone / christian beutler
Renato Kaiser zum lustigen Thema: Waffenexporte! Jeeee!
Video: watson/Renato Kaiser
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Die aus Russland stammende Ida Hoff war um 1900 eine der ersten Studentinnen der Schweiz. Neben der Medizin setzte sie sich für die Rechte der Frauen ein. Geleitet wurde sie von ihrem feministischen Gewissen und ihrer Lust zu spotten. Das zeigte sich besonders am Zweiten Schweizerischen Kongress für Fraueninteressen 1921, wo sie in launigen Worten Ferdinand Hodlers Gemälde «Der Tag» feministisch neu interpretierte.
Ida Hoff (1880-1952) kam mit ihrer Mutter um 1900 aus dem zaristischen Russland, wo Frauen das Studium verboten war, in die Schweiz. Mutter und Tochter wollten hier, wie damals viele Slawinnen, die Universität besuchen und sich ein freieres Leben aufbauen. Ida war sehr begabt, absolvierte in Bern das medizinische Studium und eröffnete 1911 ihre eigene Praxis als «Spezialarzt für innere Krankheiten». Daneben arbeitete sie als Schulärztin.