Nach über 35 Jahren nähert sich das Dock A am Flughafen Zürich dem Ende seiner Lebensdauer. Zeit für die Planung eines Neubaus für Abfertigung der Kurzstreckenflüge. Ab 2030 sollen die Bagger auffahren und neben dem heutigen, bestehenden Dock ein neues bauen. Die Visualisierungen sehen futuristisch aus. Ein Grossteil des Gebäudes wird aus Holz bestehen. Die Kosten für das Projekt betragen 700 Millionen Franken. Und: Es wird wieder einen Tower beinhalten, von dem aus Fluglotsen der Flugsicherungsfirma Skyguide eine 360-Grad-Sicht auf die Start- und Landepisten haben.
Doch bräuchte es diesen überhaupt in Zukunft noch? «Rein technisch gibt es heute Möglichkeiten, die Steuerung von Flugzeugen an Flughäfen ortsunabhängig zu vollziehen», sagt Skyguide-Sprecherin Prisca Huguenin-die-Lenoir. Sprich: Die Lotsen können künftig auch abseits des Flughafenareals arbeiten und von dort aus mithilfe neuer Technologien das Geschehen auf den Pisten verfolgen und leiten.
Tatsächlich beschreitet Skyguide diesen Weg in Genf. Am zweitgrössten Landesflughafen wird der physische Tower ab 2030 mit einem so genannten Remote Digital Tower ersetzt. Eine Vorstudie habe gezeigt, dass dieser operationell und technisch in Genf umsetzbar sei. Deshalb, und weil der jetzige Turm neugebaut werden müsste, habe man sich zu diesem Schritt entschieden. Dabei werde man auf moderne Technologie setzen, die bereits in einigen Ländern erprobt sei, sagt Huguenin-dit-Lenoir.
Für die Lotsen wird dies eine Umstellung. Der direkte Kontrollblick aufs Flugfeld, je nachdem sogar mit Feldstecher, wird obsolet. Denn hochauflösende Video- und Infrarotkameras mit Sensoren und Zoom-Funktion erfassen die Flugzeug-Bewegungen, Mikrofone übertragen den Ton vor Ort - alles in Echtzeit. Damit ist die virtuelle Sicht der realen zuweilen sogar überlegen und der Tower, der keiner mehr ist, könnte auch im Toggenburg oder Emmental liegen.
Tatsächlich ist die Liste an Flughäfen, die auf Remote Towers setzen, zuletzt grösser geworden, wie das Branchenportal «Aerotelegraph» schreibt. Zuerst wagten kleinere Airports wie im schwedischen Örnsköldsvik den Schritt. Inzwischen werden aber auch grössere Flughäfen wie London-City oder Budapest aus einer weit entfernten Zentrale gesteuert. Und der Verkehr am Flughafen Saarbrücken wird aus dem 450 Kilometer weit entfernten Leipzig gesteuert. In Genf wird der Remote Tower an der Skyguide-Zentrale installiert. Diese liegt zwar gleich neben dem Flughafen, jedoch ohne Sicht darauf.
Wieso also nicht auch in Zürich? Skyguide-Sprecherin Huguenin-dit-Lenoir verweist auf die Komplexität und das Layout des Swiss-Hubs. Diese würden technisch eine grössere Herausforderung darstellen als in Genf. Und eine Risikoabwägung habe ergeben, dass die Remote-Tower-Technologie noch nicht reif für gekreuzte Pisten ist, wie sie in Zürich existieren. Der Genève Aéroport verfügt nur über eine Start- und Landebahn.
Flughafen-Sprecherin Bettina Kunz verweist zudem auf die Tatsache, dass die Remote-Tower-Technologie bis heute noch auf keinem vergleichbar komplexen Flughafen als alleinige Flugsicherung zertifiziert und in Betrieb sei.
In manchen Skyguide-Kreisen ist zu hören, die Firma sei mit den Visualisierungen des neuen Docks inklusive Tower vom Flughafen Zürich etwas überrumpelt worden. Flughafen-Sprecherin Kunz betont allerdings, dass der Bau eines neuen, physischen Towers «selbstverständlich in Absprache und einvernehmlich» mit Skyguide gefällt worden sei. Auch gebe es eine gemeinsame Projektorganisation dafür.
Dennoch stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Finanzierung. Insider schätzen, allein der Bau des Towers könnte bis zu 80 Millionen Franken verschlingen. Eine Summe, die weder Skyguide noch der Flughafen Zürich bestätigen wollen. Für eine Kostenangabe sei es in dieser frühen Phase noch zu früh, sagt Flughafen-Sprecherin Kunz. Der Flughafen dürfte von der Flugsicherungsfirma nicht nur Mietzinsen verlangen, sondern auch eine Beteiligung an den Baukosten. «Wir werden mit Skyguide zu gegebener Zeit verschiedene Modelle diskutieren», sagt Kunz.
«Unsere Fluglotsen freuen sich natürlich, dass sie einen neuen Tower erhalten sollen», sagt ein ranghoher Skyguide-Insider. «Aber da wir die Flugüberwachung einige Jahre nach dem Bau wohl abseits machen könnten, werden wir mit dem Flughafen-Management über die Finanzierung definitiv verhandeln müssen.» Dass die Technologie sich weiterentwickelt, ist denn auch dem Flughafen bewusst. «Wir wollen sicherstellen, dass die Vorteile der neuen Technologie auch im zukünftigen physischen Tower genutzt werden können», sagt Sprecherin Kunz. Denn: Wie das heutige, in die Jahre gekommene Dock A soll auch das neue rund 40 Jahre in Betrieb bleiben.
Im Tower am Flughafen Zürich sitzen heute jeweils fünf Lotsen, die von dort aus für die geordneten Starts und Landungen von Swiss-, Singapore- oder Emirates-Maschinen sorgen. Ab einer gewissen Höhe übernehmen dann andere Fluglotsen die sogenannte Flugraumsicherung. Auch dort will Skyguide künftig vermehrt auf ortsunabhängige Kontrollen setzen mithilfe von Satellitensystemen. Das Projekt trägt den Titel «Virtual Centre».
Denn in Europa hat sich die Flugverkehrskontrolle historisch aufgrund von politischen Grenzen entwickelt - was der Effizienz nicht dienlich ist. Sogar der kleine Luftraum über der Schweiz ist in zwei Hälften aufgeteilt, für die jeweils die Standorte Genf und Dübendorf zuständig sind. Mit dem Virtual Centre will Skyguide den hiesigen Luftraum harmonisieren, sodass die Westschweizer Fluglotsen auch den Deutschschweizer Luftraum kontrollieren könnten und umgekehrt. Damit können laut Skyguide nicht nur der Personaleinsätze effizienter geplant werden, sondern auch die Flugbahnen.
Skyguide möchte dabei – im Gegensatz zu den Remote Towers – eine Pionierrolle in Europa einnehmen. Denn die europäische Aviatikindustrie verfolgt schon seit Jahren eine Vereinheitlichung des Flugraums, nicht zuletzt um nachhaltiger zu werden. Der anvisierte «Single European Sky» wird seit einer gefühlten Ewigkeit von Lufthansa, Swiss und Co. als grosse Hoffnung propagiert, um grüner zu werden. Doch dieses Ziel liegt noch immer dort, wo Hoffnungen meist liegen - weit weg am Horizont.