«Das ist kein Service Public» – Kritik an neuer SRF-Reality-Show
Der eine Begriff ist englisch, der andere französisch. Nicht nur sprachlich führen sie zu Unstimmigkeiten.
Reality TV: Eine Form von Fernsehunterhaltung, die vorgibt, die Realität abzubilden, sie dabei aber oft emotionalisiert und überspitzt. Der Übergang zwischen Dokumentation und Fiktion ist fliessend, teilweise ist Reality TV komplett gescripted. Bekannte Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum sind «Love Island», «Frauentausch» oder «Berlin – Tag & Nacht».
Service public: In der Schweiz versteht man darunter alle Dienstleistungen, die für die Öffentlichkeit relevant sind. Der Konzessionsvertrag für die SRG sieht vier Bereiche vor, die zusammen deren Leistungsauftrag ausmachen: Information, Kultur, Bildung und Unterhaltung.
Und jetzt macht das dem Service public verpflichtete SRF Reality TV.
Von Ängsten und Sinnfragen
Für die «Shaolin Challenge» schickt SRF sechs Prominente in einen Tempel in Südkorea. Dort trainieren sie unter der Anleitung des Shaolin-Meisters Shi Heng Yi und setzen sich dabei «mit eigenen Ängsten und Sinnfragen auseinander».
Diese Promis sind mit dabei:
Shaolin sind Mitglieder eines Mönchsordens in China, der die chinesische Kampfkunst Shaolin Kung Fu praktiziert. Kung Fu wird dabei als Teil der buddhistischen Religion ausgeübt.
Ist es Service public, wenn sechs Prominente ihre eigenen Ängste mit buddhistischer Kampfkunst überwinden?
«Das können auch Private machen»
Thomas Matter findet: nein. Der SVP-Nationalrat aus dem Kanton Zürich sitzt im Co-Präsidium der Halbierungsinitiative. Diese will die Rundfunkgebühren, die jeder Haushalt für die SRG bezahlen muss, auf 200 Franken pro Jahr deckeln.
«Das ist eines von vielen Puzzleteilen, die zeigen: Das SRF nimmt seinen Sparauftrag nicht ernst. Ansonsten würde es kaum ein solches Format bringen.» Er sei nicht Programmverantwortlicher für das SRF, aber: «Das ist für mich ein typisches Beispiel, was Service public nicht ist. Eine solche Sendung können auch Private machen.»
Der Verband Schweizer Privat Medien, dem auch 3+ angehört, wollte auf Anfrage von watson keine Stellung zum neuen Reality-TV-Format von SRF beziehen. 3+ gehört wie watson auch zum Verlag CH Media.
Tatsächlich war Reality TV bis jetzt den Privatsendern in der Schweiz vorbehalten. 3+ schickt für den Bachelor oder die Bachelorette Kandidierende nach Thailand oder verkuppelt für «Bauer, ledig, sucht» Landwirte und Landwirtinnen. Das SRF setzt im Bereich Unterhaltung auf die grossen Samstagabendshows («Happy Day», «Die grössten Schweizer Talente», «The Voice of Switzerland»).
«Mehr als reine Unterhaltung»
In der SRG-Konzession steht geschrieben, dass sich das Unterhaltungsangebot des SRF «substanziell» von demjenigen der Privaten unterscheiden muss.
Karen Ballmer, Leiterin Factual Entertainment bei SRF, nimmt gegenüber watson Stellung: «Das Format unterscheidet sich inhaltlich und konzeptionell deutlich vom Unterhaltungsangebot privater Anbieter. Im Zentrum steht kein eigentlicher Wettbewerb, sondern eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen wie mentaler Gesundheit, Selbstdisziplin, Resilienz sowie körperlicher und geistiger Balance.»
Damit sei die «Shaolin Challenge» deutlich mehr als eine reine Unterhaltungssendung und werde dem Service-public-Anspruch gerecht. «Ziel des Formates ist es, wichtige Themen wie psychische Belastungen, Selbstzweifel oder Veränderungsprozesse offen anzusprechen und zu enttabuisieren», sagt Ballmer.
Günstiger als Abendshows
Warum aber muss man dafür sechs Promis inklusive TV-Produktionsteam nach Südkorea fliegen? Dazu heisst es bei SRF: «Das Format lebt auch von der besonderen Atmosphäre des Shaolin-Tempels als Setting. Diese authentische Umgebung ist ein zentraler Bestandteil des Konzepts und lässt sich in der Schweiz nicht glaubwürdig und kosteneffizient nachbilden.» Wie eine kurze Google-Suche zeigt, betreibt der Shaolin-Orden allerdings auch Tempel in Deutschland und Österreich.
Dank bestehender Infrastruktur vor Ort sei die «Shaolin Challenge» vergleichsweise günstig, sagt SRF. Eine etwas mehr als 40 Minuten lange Folge kostet im Schnitt 96’000 Franken. Das ist deutlich günstiger als eine von SRF selbst produzierte Abendshow, die im Schnitt 432’000 Franken kostet – aber auch deutlich länger dauert.
Gemäss SRF ist für die «Shaolin Challenge» eine TV-Crew von acht Leuten für neun Drehtage nach Südkorea gereist. Verantwortlich war nicht SRF selbst, sondern die TV-Produktionsfirma Endemol («Big Brother», «Wer wird Millionär?»). Diese hat das auch schon das bisher einzige Reality-Format auf SRF produziert: die Dating-Sendung «Alone Together», bei der Paare auf einer einsamen schwedischen Insel abgeladen wurden – ohne Handy. Mit der «Shaolin Challenge » möchte SRF die Zielgruppe der 30- bis 50-Jährigen abholen.
Zudem habe der Fokus bei der «Shaolin Challenge» darauf gelegen, ein streamingtaugliches Format, das zeitversetzt gesendet werden kann, zu entwickeln. Die Reality-TV-Sendung wird im Frühjahr zuerst auf der Streamingplattform Play SRF und anschliessend auf SRF 1 ausgestrahlt.