Die Geschichte der Late-Night-Moderatoren und Sendeplatzhirsche ist eine lange Geschichte männlicher Selbstdarstellung. Beginnt man die Zeitrechnung in der Schweiz bei «Viktors Spätprogramm» (1995-2002), hat im Schweizer Fernsehen noch nie eine Frau auf dem Stuhl einer Late-Night-Show lustig sein dürfen. So lange die Liste der beliebten Sidekicks und Gaglieferantinnen ist – Uta Köbernick, Frölein da Capo, Michelle Kalt oder Patti Basler – Frauen sind und waren zuverlässig auf die zweite Geige abonniert. Oder sie durften, wie Moderatorin Christine Maier im längst vergessenen und nur einmal ausgestrahlten Format «Feinheiten» (1997), in einer Männerrunde erklären, wie es ist, eine Alibi-Frau zu sein.
Seit Ende letzter Woche wissen wir: Alles beim Alten. Die Nachfolge von Dominic Deville wird männlich. Gemäss Recherchen des «Blick» setzt das Schweizer Fernsehen zuvorderst auf den ehemaligen «Quotenmann» Stefan «Büssi» Büsser. Neben Büsser im Rennen ist noch das Deville-Inventar Gabriel Vetter und Devilles ehemaliger Sidekick Patrick «Karpi» Karpiczenko. Bestätigen will man das beim SRF nicht.
Stefan Büssers beliebter «Quotenmänner»-Podcast heisst inzwischen «Comedymänner» und bleibt im Kern das, was auf ihm draufsteht: eine Männerrunde, in der mehr über Frauen als mit Frauen diskutiert wird. Büssers Favorisierung macht strategisch Sinn. Als Sidekick neben Rainer Maria Salzgeber im «Donnschtig-Jass» ist er bei der wichtigsten Zielgruppe des Schweizer Fernsehens bestens eingeführt. Während man sich beim Fernsehen insgesamt aktiv um mehr Sichtbarkeit von Frauen bemüht, mit Geschlechterparität beim «Tatort» vor und hinter der Kamera punktet und mehr weibliche Expertinnen in Nachrichtensendungen zu Rate zieht als früher, bleiben die grössten Witzbolde männlich. Und das, obwohl allein das von Patti Basler gegründete Netzwerk Comedyfrauen mehr als 150 Künstlerinnen listet.
Die für viele Schweizer Comedyfrauen ernüchternde Nachricht lässt nur eine Vermutung zu: Die Rolle des Entertainers, der abends ohne Rücksicht auf Verluste Witze über die Welt und ihr Personal klopft, ist die letzte Bastion des alten weissen Mannes. Zumindest bekommt diesen Eindruck, wer sieht, mit welcher Ehrfurcht man vor ehemaligen Grössen wie Harald Schmidt oder Viktor Giacobbo in den Feuilletons immer noch den Hut zieht und wie gnadenlos Frauen Jahrzehnte später noch auf ihr Versagen reduziert werden. Allen voran: Vorreiterin Anke Engelke, die um die Jahrtausendwende mit «Anke Late Night» in die Fussstapfen von Harald Schmidt treten sollte und sich von ihrem Stolperer nie wieder recht erholt hat. Die «Süddeutsche Zeitung» titelte schon vor der Ausstrahlung ihrer ersten Folge: «Wollen wir uns wirklich die Welt von einer Frau erklären lassen?» Während im Schweizer Radio Satire von Frauen eine Selbstverständlichkeit geworden ist, beantworten diese Frage im Showbiz vor der Kamera viele Macher bis heute mit einem klaren Nein. Stereotype halten sich vor der Kamera halt zäher als am Lautsprecher.
Es ist also kein Wunder, dass sich die Schweizer Comediennes mit dem intern bereits getroffenen Vorentscheid auf die Füsse getreten fühlen. Für einen offenen Brief an SRF-Direktorin Nathalie Wappler, Kulturchefin Susanne Wille und die SRF-Comedy-Abteilung des Fernsehens haben Patti Basler und Lara Stoll anonyme Rückmeldungen von über 40 Berufskolleginnen gesammelt.
Diese zeichnen ein wenig schmeichelhaftes Bild vom Humordampfer SRF. Es ist die Rede von schlechter und intransparenter Kommunikation. Frauen würde vermittelt, dass die Sehgewohnheiten des Schweizer Publikums einen sympathischen Mann erwarten, mit dem man gerne ein Bier trinke. Dazu passt, dass gemäss informierten Kreisen auch Comedians wie Peach Weber auf der Liste möglicher Nachfolger gestanden sein sollen. Eine schnelle, schlagfertige Frau wie Patti Basler hingegen kann in diesem Spiel nur verlieren. Ihr Pilotprojekt «Patti Basler Talk», das während der Pandemie im Dezember 2020 im SRF ausgestrahlt wurde und als mögliches Nachfolge-Format gehandelt wurde, fand medial kaum Beachtung. Das, obwohl Basler Verteidigungsministerin Viola Amherd bei sich zu Gast hatte.
Die erfolgreiche Comedienne Carolin Kebekus, die im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen mit der «Carolin Kebekus Show» eine eigene Late-Night-Show hostet, beschreibt in ihrem Buch «Es kann nur eine geben» viele strukturellen Probleme der Comedybranche. Sie bestätigen sich in den Vorwürfen der anonymen Informantinnen von Patti Basler und Lara Stoll und auch in Wortmeldungen von Insidern aus der Szene: Comedyformate würden, wenn auch unbewusst, nicht auf Frauen zugeschnitten. Die Entscheidungsträger sind nach wie vor vorwiegend männlich und es fehle an Vorbildern, die jungen Frauen vermitteln, dass sie in einem Late-Night-Format auch lustig sein können. Kebekus sieht auch die extrem kritische Selbstbeurteilung von Frauen als Stolperstein für deren Karriere. Frauen würden bei negativer Kritik zu schnell das Feld räumen und dieses den Männern überlassen. Auch in der Schweiz reichen Frauen beim Fernsehen viel zu selten neue Konzepte ein, sagen Kenner der Szene. Um ihre Chancen zu erhöhen, sollten sie damit anfangen auch ihre mittelguten Ideen zu promoten – ähnlich wie ihre Kollegen das tun. Wer ständig nervt, nervt. Aber er wird auch gehört.
Carolin Kebekus hat sich ihren Weg in den Erfolg über Anpassung geebnet, indem sie anfangs dümmliche Frauenfiguren im Privatfernsehen verkörperte. Das ist ihr inzwischen peinlich. Heute macht sie sich ähnlich wie Patti Basler für Frauen in der Comedybranche stark. Es ist verständlich, dass viele Schweizer Comedy-Punks wie Lara Stoll ein Leben neben dem Fernsehen in künstlerischer Freiheit bevorzugen. Es ist nicht so, dass sie nicht gut genug wären. Sie sind einfach nicht gut genug angepasst. (aargauerzeitung.ch)
Giaccobo/Müller aber auch DeVille waren schon in einer anderen Liga.
Watson schreibt *Die Entscheidungsträger sind männlich*. Der offene Brief der nicht berüchsichtigten (und wohl beleidigten) geht derweil an SRF-Direktorin Nathalie Wappler und Kulturchefin Susanne Wille. Lasse ich einfach mal so stehen...
Das würde ich nicht unterschreiben. Denn diejenigen, die das entscheiden, sitzen vor den Bildschirmen. Vielleicht müsste man den Zuschauenden befehlen (oder sogar obligatorisch erklären), Patty Basler zu schauen. Denn anders ist dies offenbar nicht hinzukriegen.
Sehen Sie, liebe Julia Stephan, es fängt schon damit an, dass auch Sie als Autorin den "alten weissen Mann" bemühen, um die Misere der Comedyfrauen zu erklären. Dies ist jedoch ein Irrweg, denn wir wissen nicht, wer zuhause die Fernbedienung in den Händen hält.