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Ozempic und Wegovy: Diabetiker leiden unter dem Hype der «Abnehmspritze»

epa10538865 Packages of prescribtion drugs Ozempic and Wegovy by Novo Nordisk sit on a table in Copenhagen, Denmark, 23 March 2023. US celebrities have credited their weight loss to the FDA-approved m ...
In der Adipositas-Therapie gelten Ozempic und Wegovy als Gamechanger.Bild: keystone

Diabetiker leiden unter dem Hype der «Abnehmspritze»

17.08.2023, 06:0117.08.2023, 11:24
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Zucker ist heute gefährlicher als Schiesspulver, sagt der Historiker Yuval Harari. Die Gefahr, an Fettleibigkeit oder verwandten Krankheiten wie Diabetes zu sterben, so der Israeli, sei heute höher, als durch menschliche Gewalt umzukommen.

Wer sich schützen will, legt sich eine Waffe zu – sofern er kann. Im Falle von Diabetes kommt GLP-1 zur Anwendung. Die Abkürzung steht für Glucagon-like Peptide 1 – ein natürliches Darmhormon, das sich beim Essen bildet und Sättigungssignale an unser Gehirn weiterleitet. GLP-1-Medikamente senken den Blutzuckerspiegel und werden vor allem bei der Behandlung von Diabetes eingesetzt.

Aber nicht nur.

Zur selben Waffe greifen immer mehr Menschen, die stark unter Adipositas leiden – oder unglücklich mit ihrem Gewicht sind. Denn: Das Medikament hemmt den Hunger und sorgt dafür, dass sich der Magen langsamer entleert.

Schlankpikser Elon Musk

Befeuert wurde die Verwendung der Medikamente als Waffe gegen lästige Pfunde unter anderem durch Elon Musk. Der Tesla-Gründer macht keinen Hehl daraus, dass er mithilfe der GLP-1-Arzneimittel Wegovy und Ozempic abgenommen hat.

Nur: Die Medikamente sind kein Lifestyle-Produkt. Vielmehr sind sie für Diabetikerinnen und Diabetiker vorgesehen, deren Gesundheit nun aufgrund des Hypes auf dem Spiel steht. Denn bei den Medikamenten ist es wegen der grossen Nachfrage zur Mangellage gekommen – auch in der Schweiz.

Seit Wochen bestehen beim Medikament Ozempic erhebliche Lieferengpässe. «Diabetikerinnen und Diabetiker können gelegentlich nicht ausreichend versorgt werden», sagt Dr. med. David Infanger, Partnerarzt der Klinik Hirslanden und Leiter des Adipositas- und Stoffwechselzentrums Zürich, gegenüber watson.

Und dies, obwohl Ozempic in der Schweiz nicht für Übergewichtsbehandlung zugelassen ist. Da Ozempic häufig im Off-Label-Use verschrieben wird, so Infanger, übersteigt die Nachfrage das Angebot deutlich. Die Maximalkosten betragen pro Monat rund 130 Franken.

Folgen der Lieferengpässe

Für Diabetikerinnen und Diabetiker bedeutet die Mangellage, dass sie auf andere Medikamente ausweichen müssen, wobei es auch bei diesen zu Lieferengpässen kommen kann. Zudem bedeutet die Umstellung einen erheblichen zeitlichen Mehraufwand in der ärztlichen Sprechstunde.

«Dies, da die Patienten von der Handhabung neu instruiert werden müssen und die Sekretariate aufgrund der häufigen telefonischen Anfragen bezüglich der Erhältlichkeit an ihre Grenzen stossen», so der leitende Arzt. Ausserdem bestehe die Gefahr einer Unverträglichkeit auf ein neues Medikament.

«Diabetikerinnen und Diabetiker können gelegentlich nicht ausreichend versorgt werden.»
Dr. med. David Infanger

Lieferengpässe gebe es auch für das blutdrucksenkende Medikament Saxenda, das erste und einzige zur Gewichtsreduktion eingesetzte zugelassene GLP-1-RA Medikament, das auch krankenkassenpflichtig ist. Zur Adipositasbehandlung verschrieben wird es ab einem BMI von mehr als 35 kg/m² (Körpergewicht dividiert durch die Grösse in Meter und Quadrat) oder ab einem BMI von mehr als 27 kg/m², mit Begleiterkrankungen (Vorstufe vom Diabetes, Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte). Die Abgabe ohne ärztliches Rezept ist nicht erlaubt.

«Diese Fälschungen sind auch durch eine Fachperson kaum von den Originalprodukten zu unterscheiden.»
Dr. med. David Infanger

Trotz Zulassung sei auch bei Saxenda die Nachfrage wesentlich höher als das Angebot. «Das zwingt uns dazu, Saxenda bei den Patientinnen und Patienten, welche bereits damit behandelt werden, auf die tiefste noch wirksame Dosierung zu reduzieren», so Infanger. Dadurch bestehe die Gefahr, dass die von den Krankenkassen geforderten Gewichtsabnahmen nicht mehr erfüllt werden können, wodurch wiederum die Kassenzahlpflicht erlischt.

Produktnachahmung auf dem Schwarzmarkt

Aufgrund des reduzierten Angebotes sei man aktuell gezwungen, mit Neuverordnungen für adipöse Patientinnen und Patienten zurückhaltend zu sein – bis das Medikament wieder in ausreichender Menge lieferbar sein wird.

Die hohe Nachfrage befeuert den Schwarzmarkt. Die Medikamente würden auch als Nachahmerprodukt mit fraglichen Inhaltsstoffen vertrieben. «Die Fälschungen sind auch durch eine Fachperson kaum von den Originalprodukten zu unterscheiden», warnt David Infanger.

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Die Schweiz ist dem globalen Zuckerkrieg nicht voraus
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136 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Halb Wissen
17.08.2023 06:45registriert August 2017
Anstatt mit geringem Aufwand den Zucker in den Lebensmittel zu bekämpfen, geben wir Milliarden aus, um den Zucker in unseren Körpern zu bekämpfen😔
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Pointless Piraña
17.08.2023 06:41registriert Dezember 2019
Seit Corona sind zahlreiche Medikamente Mangelware. Über Monate war z.B. Algifor oder Eisenpraparate kaum erhältlich. Es ist also etwas zu kurz gegriffen, die bösen Lifestylepatienten verantwortlich zu machen.
Adipisitas ist eine ernsthafte chronische Erkrankung, die zu massiven Gesundheitsproblemen führt. Eine wirksame Therapie dagegen ist deshalb ein Segen für Betroffene, aber auch für unser Gesundheitssystem. Die Therapie mit Ozempic ist übrigens derart unangenehm, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass dies jemand tut, nur im ein paar Kilos abzunehmen. Ausser vielleicht Musk.
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Butschina
17.08.2023 08:16registriert August 2015
Ich bin einer der Personen die Ozempic als Offlabeluser verschrieben bekam. Für mich ist jedoch ganz klar, dass ich bei einer Mangellage verzichte und den Diabetikern den Vorrang lasse. Für sie ist das Medikament wichtiger als für mich.
Das Medikament als Lifestyleprodukt abzutun, ist jedoch nicht richtig. Es ist verschreibungspflichtig. Adipositas ist zudem meist nicht so einfach zu bekämpfen wie das etliche Menschen meinen.
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