Zucker ist heute gefährlicher als Schiesspulver, sagt der Historiker Yuval Harari. Die Gefahr, an Fettleibigkeit oder verwandten Krankheiten wie Diabetes zu sterben, so der Israeli, sei heute höher, als durch menschliche Gewalt umzukommen.
Wer sich schützen will, legt sich eine Waffe zu – sofern er kann. Im Falle von Diabetes kommt GLP-1 zur Anwendung. Die Abkürzung steht für Glucagon-like Peptide 1 – ein natürliches Darmhormon, das sich beim Essen bildet und Sättigungssignale an unser Gehirn weiterleitet. GLP-1-Medikamente senken den Blutzuckerspiegel und werden vor allem bei der Behandlung von Diabetes eingesetzt.
Aber nicht nur.
Zur selben Waffe greifen immer mehr Menschen, die stark unter Adipositas leiden – oder unglücklich mit ihrem Gewicht sind. Denn: Das Medikament hemmt den Hunger und sorgt dafür, dass sich der Magen langsamer entleert.
Befeuert wurde die Verwendung der Medikamente als Waffe gegen lästige Pfunde unter anderem durch Elon Musk. Der Tesla-Gründer macht keinen Hehl daraus, dass er mithilfe der GLP-1-Arzneimittel Wegovy und Ozempic abgenommen hat.
And Wegovy
— Elon Musk (@elonmusk) October 2, 2022
Nur: Die Medikamente sind kein Lifestyle-Produkt. Vielmehr sind sie für Diabetikerinnen und Diabetiker vorgesehen, deren Gesundheit nun aufgrund des Hypes auf dem Spiel steht. Denn bei den Medikamenten ist es wegen der grossen Nachfrage zur Mangellage gekommen – auch in der Schweiz.
Seit Wochen bestehen beim Medikament Ozempic erhebliche Lieferengpässe. «Diabetikerinnen und Diabetiker können gelegentlich nicht ausreichend versorgt werden», sagt Dr. med. David Infanger, Partnerarzt der Klinik Hirslanden und Leiter des Adipositas- und Stoffwechselzentrums Zürich, gegenüber watson.
Und dies, obwohl Ozempic in der Schweiz nicht für Übergewichtsbehandlung zugelassen ist. Da Ozempic häufig im Off-Label-Use verschrieben wird, so Infanger, übersteigt die Nachfrage das Angebot deutlich. Die Maximalkosten betragen pro Monat rund 130 Franken.
Für Diabetikerinnen und Diabetiker bedeutet die Mangellage, dass sie auf andere Medikamente ausweichen müssen, wobei es auch bei diesen zu Lieferengpässen kommen kann. Zudem bedeutet die Umstellung einen erheblichen zeitlichen Mehraufwand in der ärztlichen Sprechstunde.
«Dies, da die Patienten von der Handhabung neu instruiert werden müssen und die Sekretariate aufgrund der häufigen telefonischen Anfragen bezüglich der Erhältlichkeit an ihre Grenzen stossen», so der leitende Arzt. Ausserdem bestehe die Gefahr einer Unverträglichkeit auf ein neues Medikament.
Lieferengpässe gebe es auch für das blutdrucksenkende Medikament Saxenda, das erste und einzige zur Gewichtsreduktion eingesetzte zugelassene GLP-1-RA Medikament, das auch krankenkassenpflichtig ist. Zur Adipositasbehandlung verschrieben wird es ab einem BMI von mehr als 35 kg/m² (Körpergewicht dividiert durch die Grösse in Meter und Quadrat) oder ab einem BMI von mehr als 27 kg/m², mit Begleiterkrankungen (Vorstufe vom Diabetes, Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte). Die Abgabe ohne ärztliches Rezept ist nicht erlaubt.
Trotz Zulassung sei auch bei Saxenda die Nachfrage wesentlich höher als das Angebot. «Das zwingt uns dazu, Saxenda bei den Patientinnen und Patienten, welche bereits damit behandelt werden, auf die tiefste noch wirksame Dosierung zu reduzieren», so Infanger. Dadurch bestehe die Gefahr, dass die von den Krankenkassen geforderten Gewichtsabnahmen nicht mehr erfüllt werden können, wodurch wiederum die Kassenzahlpflicht erlischt.
Aufgrund des reduzierten Angebotes sei man aktuell gezwungen, mit Neuverordnungen für adipöse Patientinnen und Patienten zurückhaltend zu sein – bis das Medikament wieder in ausreichender Menge lieferbar sein wird.
Die hohe Nachfrage befeuert den Schwarzmarkt. Die Medikamente würden auch als Nachahmerprodukt mit fraglichen Inhaltsstoffen vertrieben. «Die Fälschungen sind auch durch eine Fachperson kaum von den Originalprodukten zu unterscheiden», warnt David Infanger.
Adipisitas ist eine ernsthafte chronische Erkrankung, die zu massiven Gesundheitsproblemen führt. Eine wirksame Therapie dagegen ist deshalb ein Segen für Betroffene, aber auch für unser Gesundheitssystem. Die Therapie mit Ozempic ist übrigens derart unangenehm, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass dies jemand tut, nur im ein paar Kilos abzunehmen. Ausser vielleicht Musk.
Das Medikament als Lifestyleprodukt abzutun, ist jedoch nicht richtig. Es ist verschreibungspflichtig. Adipositas ist zudem meist nicht so einfach zu bekämpfen wie das etliche Menschen meinen.