Seit einem Monat ist wegeleben.ch online: Eine Website, die junge geflüchtete Menschen an Schweizer WGs vermittelt. Und schon gibt es erste Erfolge zu verzeichnen: In diesen Tagen hat eine Eritreerin einen Mietvertrag unterschrieben.
Ins Leben gerufen haben das in der Schweiz einzigartige Projekt die Berner Gian Färber und Méline Ulrich, nachdem der Kanton Bern die private Unterbringung von Flüchtlingen im Frühjahr 2015 offiziell genehmigt hat. Nachdem die «Berner Zeitung» im Juni darüber berichtete, kam «Wegeleben» richtig in Fahrt.
Gian, seit einem Monat seid ihr online. Wie läufts?
Gian Andri Färber: Grossartig. Gerade letzte Woche hat eine junge Eritreerin den Mietvertrag für eine WG in Bern unterzeichnet, im September zieht sie ein. Wir haben auch schon mehrere Wohnungsbesichtigungen aufgegleist. Letzte Woche eine in Bern, diese Woche wiederum zwei in Bern und eine im Kanton Aargau.
Wir waren überwältigt vom positiven Echo nach dem Start der Website und den ersten Medienberichten. Innert kürzester Zeit haben wir über 60 E-Mails von interessierten Menschen aus der ganzen Schweiz erhalten.
Alles WGs, die jemanden aufnehmen möchten?
Nicht nur. Neben interessierten WGs haben sich auch viele geflüchtete Menschen gemeldet, die eine Wohnmöglichkeit suchen. Ausserdem Menschen, die uns gerne unterstützen möchten – als Übersetzer für Info-Veranstaltungen und die Website zum Beispiel.
Landeten auch Hass-Mails im Postfach?
Die erhaltenen E-Mails waren weitgehend positiv. Negative Reaktionen waren vor allem in den Kommentarspalten der Online-Medien zu lesen. Ich glaube aber wirklich nicht, dass diese ein repräsentatives Bild abgeben.
Wohnt eigentlich ein Flüchtling in deiner WG?
Nein, zurzeit nicht. Ich wäre keineswegs abgeneigt, jemanden aufzunehmen, wenn ein Zimmer frei werden würde. Ich möchte aber betonen: Es geht nicht darum, dass WGs Mitbewohnerinnen rausschmeissen, um für einen geflüchteten Menschen Platz zu schaffen. Wir streben eine langfristige Lösung an. Wir hoffen, dass das Modell den Weg in die Gesellschaft findet, so dass es ein ganz normaler Teil der WG-Wohnkultur wird und sich das Projekt Wegeleben eines Tages erübrigt.
Ein grosses Ziel. Wie wollt ihr das zu zweit schaffen?
Zu zweit? Gar nicht, das war auch nie unsere Absicht! Der Gedanke, mit gleichgesinnten Menschen ein Netzwerk zu bilden, war von Anfang an leitend. Unser beider Einfluss konzentriert sich momentan in erster Linie auf den Kanton Bern. Wir sind aber bereits mit Menschen im Gespräch, die etwas Ähnliches in anderen Landesteilen aufbauen möchten. Im Moment geht es darum, den Stein ins Rollen zu bringen.
Und das soll alles über wegeleben.ch laufen?
Wegeleben steckt wirklich noch in den Kinderschuhen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass auf der Website ein Verzeichnis von Ansprechpartnern in den verschiedenen Kantonen zu finden sein wird, und mit der Zeit ein nationales Netzwerk entsteht. All dies müsste aber flexibel bleiben. Wir wollen um jeden Preis verhindern, dass Wegeleben zu einem zentral gesteuerten Bürokratie-Apparat wird. Wir verbringen möglichst viel unserer Zeit mit dem Kontakt mit Menschen – dies soll auch so bleiben.
Stellt ihr euch das Ganze nicht zu einfach vor? Wollen Flüchtlinge überhaupt in WGs wohnen?
Diese Frage bekamen Méline und ich schon vor dem Start des Projekts immer wieder zu hören. Wir hatten aber eher den Verdacht, dass viele geflüchtete Menschen die WG-Wohnkultur schlicht nicht kennen würden.
Und?
Einerseits hat sich das bestätigt: An einem ersten Info-Anlass und insbesondere bei dem anschliessenden Besuch in meiner eigenen WG kam es zu einigen Aha-Erlebnissen. Immerhin zeigte von den 15 teilnehmenden Menschen eine Mehrheit ein ernsthaftes Interesse an einem WG-Leben. Andererseits haben wir durch das Projekt auch die Erfahrung gemacht, dass viele bereits Bescheid wissen und es sich gut vorstellen können, in einer WG zu leben. Andere ziehen es vor, alleine zu leben. Das ist auch gut so.
Was, wenn die Kultur-Kluft trotz guten Willens beider Seiten zu gross ist? Wenn es in der WG zum Krach kommt?
Wir bleiben auch nach einem Einzug Ansprechpartnerinnen und werden versuchen, bei Problemen zu vermitteln – ob diese jetzt aus einer allfälligen Kultur-Kluft oder aus einem anderen Grund entstehen. Wir suchen auch Menschen, welche diese Aufgabe übernehmen und neue WGs begleiten können.
In Bern dürfen nur anerkannte Flüchtlinge mit B- und F-Ausweis bei Privaten wohnen. Ihr würdet das gerne ausweiten.
Vieles ist, was Wegeleben anbelangt, noch im Werden begriffen. Auch die Möglichkeiten bezüglich privatem Wohnen von «nicht-anerkannten Flüchtlingen» sind sicherlich nicht ausgeschöpft. Da wir das Ganze möglichst offen gestalten und Menschen nicht in Kategorien einteilen wollen, schauen wir bereits jetzt, was diesbezüglich für Möglichkeiten offen stehen.
Was, wenn es Probleme gibt? Wird eine WG zur Verantwortung gezogen, wenn ein Mitbewohner untertaucht?
Wie gesagt: wir klären die Möglichkeiten für «nicht-anerkannte Flüchtlinge» ab und werden alle ausschöpfen, die sich uns bieten.
Dass man einer WG plötzlich die Schuld gibt, wenn ein Mitbewohner untertaucht, wird sicherlich nicht vorkommen. Ebenso wenig würden in meiner WG ich und mein Mitbewohner dafür verantwortlich gemacht, wenn der dritte Mitbewohner ohne unser Zutun eine Straftat begehen sollte.