Er war schon einmal spurlos verschwunden, bis er im Februar inhaftiert wurde. Und vielleicht wäre der 19-jährige Mann aus Angola wieder abgetaucht, um sich der Ausschaffung zu entziehen - hätten ihn die Luzerner Behörden nicht hinter Gittern behalten. Auch als Corona kam und Flüge gestrichen wurden, hielten sie daran fest.
Um Monate hätten sie die Ausschaffungshaft des abgewiesenen Asylsuchenden verlängern wollen, obwohl er keine Straftat begangen hatte. Bis die Flugzeuge wieder fliegen. Oder bis er mithilft, seine Papiere zu beschaffen.
Doch nun hat das Bundesgericht die Haft gestoppt. Es hält fest: Abgewiesene Asylsuchende dürfen nicht in Haft behalten werden, wenn eine Ausschaffung innert absehbarer Frist unmöglich ist. Es müssten konkrete Hinweise vorliegen, dass eine Ausschaffung möglich sein wird. Das Hoffen auf das baldige Ende der Pandemie und den Ausbau des Flugverkehrs reiche nicht.
Schliesslich geht es um eine sogenannte Administrativhaft. Sie hat nichts mit einer Strafe zu tun. Es geht dabei einzig darum, die Wegweisung sicherzustellen.
Der Luzerner Fall ist kein Einzelfall: In den letzten Wochen haben das Bundesgericht und kantonale Instanzen mehrfach gegen den Willen von Migrationsämtern entschieden, dass abgewiesene Asylsuchende aus der Ausschaffungshaft zu entlassen sind. Damit ist klar: Schweizweit wurden Dutzende Asylsuchende während der Krise zu Unrecht hinter Gittern behalten. Tatsächlich entschieden die Kantone sehr unterschiedlich: Basel-Stadt etwa stoppte die Inhaftierungen, als sich abzeichnete, dass Rückführungen aufgrund eingestellter Flüge nicht mehr möglich waren. Andere reagierten restriktiver.
Mehr als 30 Personen hat alleine die Organisation Asylex in den vergangenen Wochen aus der Administrativhaft geholt. Gründerin Lea Hungerbühler kritisiert das Vorgehen einiger Migrationsämter. Die Juristin betont:
Umso unangemessener sei die Haft gewesen. Hinzu kommt: In vielen Kantonen sind die Asylsuchenden - trotz anders lautender Vorgaben - in gewöhnlichen Gefängnissen untergebracht. Es gab Besuchsverbote, Väter konnten ihre Kinder nicht sehen, das Sportangebot wurde eingeschränkt, Quarantäne bedeutete Einzelhaft. «Es ist sehr fraglich, ob die Haftbedingungen so zulässig waren», sagt Hungerbühler.
Bei den Kantonen allerdings sieht man trotz den Urteilen keinen Grund, um generell über die Bücher zu gehen, ebensowenig beim Staatssekretariat für Migration. Die Kantone würden die Entscheide zwar berücksichtigen, sagt Marcel Suter, Chef des Bündner Migrationsamtes und Präsident der Vereinigung der kantonalen Migrationsbehörden. Die Kantone würden jedoch weiterhin «im Rahmen des ihnen zustehenden Ermessensspielraums» für jedes Land und jede Person eine vertiefte und tagesaktuelle Analyse vornehmen.
Ihnen in die Hände spielen dürfte, dass der Flugbetrieb wieder hochgefahren wird. Zudem gab es auch Bundesgerichtsurteile, die bestätigten, dass Personen in Haft bleiben müssen, etwa wenn sie Strafen begangen hatten.
Viel einfacher geworden ist es allerdings nicht, Ausschaffungen durchzuführen. Derzeit könne sich die Situation beinahe täglich ändern, sagt Jürg Eberle, Chef des St. Galler Migrationsamtes. «Ausschaffungen in Staaten ausserhalb Europas sind nach wie vor schwierig, weil auch gelistete Flüge durch die Airlines bei ungenügender Auslastung sehr kurzfristig storniert werden.» Auch Marcel Suter vom Bündner Migrationsamt weist auf zahlreiche Hürden hin: Die Flugverbindungen sind eingeschränkt, die Quarantäneregeln sind aufwendig, ausländische Behörden sind nicht einfach erreichbar, an den Flughäfen, auch in Transitländern, arbeitet weniger Personal.
«Zwangsweise Rückführungen können weiterhin nur vereinzelt durchgeführt werden», sagt Suter. «Ausschaffungen in Drittstaaten können auch in den nächsten Wochen kaum vollzogen werden.» Man wolle aber jede mögliche Chance ergreifen.
Dass man die Haft weiterlaufen lässt, hat noch einen weiteren Grund: «Erfahrungsgemäss verhalten sich Personen, die aus der Ausschaffungshaft entlassen werden, nicht mehr kooperativ», sagt Suter. «Es muss damit gerechnet werden, dass sie nach ihrer Entlassung unkontrolliert abreisen und untertauchen.» In Basel-Stadt allerdings - dort liess man Personen mit ungewissem Ausschaffungstermin früh frei - müssen sich Entlassene regelmässig melden, damit sie Nothilfe erhalten. Bisher sei nur eine Person untergetaucht, heisst es.
Keinen Änderungsbedarf sieht man auch in Luzern, wo der Mann aus Angola nun freikommt. Es sei der erste Fall, bei dem man von einem Gericht korrigiert worden sei, sagt Amtsleiter Erwin Rast. In anderen Fällen habe man recht erhalten. «In den meisten Fällen waren diese Personen straffällig oder es mussten Reisepapiere beschafft werden.»
Bis zu 18 Monate Administrativhaft sind erlaubt. «In der Regeln nimmt das Amt für Migration eine Person für eine möglichst kurze Dauer in Ausschaffungshaft», sagt Amtschef Rast. «Im konkreten Fall wäre bei einer Mitwirkung des Betroffenen bei der Papierbeschaffung eine Verkürzung der Haft möglich gewesen.»
Anwältin Hungerbühler von Asylex sieht dagegen grösseren Handlungsbedarf, gerade bei den kantonalen Haftgerichten. In keinem einzigen Fall erhielt Asylex dort recht. Aber in all diesen Fällen siegte die Organisation schliesslich vor dem jeweiligen Kantons- oder vor dem Bundesgericht. «Es ist eine verlorene Instanz», sagt Hungerbühler. «Wer nur vor das Zwangsmassnahmengericht zieht, bekommt kein Recht.»