Registrierte das Grenzwachtkorps (GWK) in der letzten Maiwoche in Chiasso noch 414 illegale Einreisen, waren es in der ersten Juniwoche bereits 719. Zählt man jene Menschen hinzu, die es via Simplon ins Wallis versuchten, so sind es 844 illegale Einreisen allein in der letzten Woche, die an der Südgrenze gezählt worden sind. Das ist Jahreshöchststand.
Pünktlich zum Sommerbeginn steigen die Flüchtlingszahlen. Generell herrschen in den Sommermonaten auf dem Mittelmeer sicherere Verhältnisse als in der kälteren Jahreszeit. Was jenen Hunderten Bootsflüchtlingen nichts half, die in den letzten Wochen wieder im Mittelmeer ertrunken sind.
Weil viele Flüchtlinge nicht in Italien bleiben wollen, steigen mit einer Verzögerung von ungefähr zwei Wochen auch hierzulande die Zahlen. In der vergangenen Woche massiv, wie die noch provisorische GWK-Wochenstatistik von gestern nun zeigt.
Rechnet man die illegalen Grenzübertritte im Norden und im Osten zu den 844 im Süden hinzu, so kommt man auf 914. Nie sind in diesem Jahr mehr Flüchtlinge in die Schweiz gekommen. Die meisten reisten im Zug an. Im Mai noch sind die Zahlen deutlich unter dem Wert des Vergleichsmonats vor einem Jahr geblieben. Doch nach der ersten Juniwoche fehlt nur wenig, bis die Verhältnisse vom letzten Herbst erreicht sind. Damals reisten die Menschen vor allem via Balkanroute. In die Schweiz gelangten sie via Ost- oder Nordgrenze.
Die Verschiebung hin zur Südgrenze in diesem Jahr zeigt, wie bedeutungslos die Balkanroute geworden ist. Und es bleiben wird, so lange der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei hält. Die Veränderung der Routen erklärt auch, weshalb in den letzten Wochen kaum mehr Afghanen, Syrer oder Iraker an der Schweizer Grenze registriert worden sind. Für sie ist der Weg via Griechenland nach Nordeuropa nun zu. Den Umweg über Nordafrika, um von da übers zentrale Mittelmeer weiterzureisen, nehmen die wenigsten auf sich.
Spitzenreiter sind einmal mehr die Eritreer. Gemäss GWK haben die Grenzwächter in Chiasso allein letzte Woche 241 Eritreer angehalten. Dahinter folgen mit grossem Abstand die Somalier und die Gambier. Afrikanische Flüchtlinge und Migranten schlagen sich meist nach Libyen durch. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) geht von ungefähr 300'000 Menschen aus, die dort zurzeit auf eine Fahrt über das Mittelmeer warten.
Wie viele der aufgegriffenen Menschen tatsächlich in der Schweiz bleiben können, darüber geben die GWK-Zahlen keinen Aufschluss. Unberücksichtigt bleibt auch, dass einige der Menschen bereits in Italien registriert worden sind und als Dublinfälle zurückgeschickt werden. Entsprechende Abklärungen nimmt das SEM vor. Seine neuesten Zahlen präsentiert es Anfang nächster Woche.
Noch am Sonntag, nach Annahme der Asylgesetzrevision, haben bürgerliche Politiker den Bund angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen zum Handeln aufgefordert. Die vermehrte Rückschaffung von Eritreern, tiefere Schutzquoten oder eine breitere Übernahme der Asylkosten durch den Bund – die Palette der Vorschläge ist breit. Gerhard Pfister, Präsident der christlichen Mittepartei CVP, forderte seinerseits, die Schweiz müsse Flüchtlinge an der Grenze abweisen, wenn sie aus dem sicheren Italien kommen. Die Zahlen von letzter Woche bekräftigen Pfister in seiner Haltung. Der Bundesrat müsse das Grenzwachtkorps personell verstärken und den südlichen Nachbarn dazu bringen, die Menschen lückenlos zu registrieren. Sodass die Schweiz sie nach Italien zurückschieben kann, sagt er zur «Nordwestschweiz».
Ein sprunghafter Anstieg der Flüchtlingszahlen hin oder her – der Bund betont, die Situation im Griff zu haben. Nur «einzelne Mitarbeiter» aus anderen Regionen seien letzte Woche ins Tessin verschoben worden, schreibt das GWK. Und beim SEM heisst es, bis jetzt seien sämtliche Asylbewerber «in den Regelstrukturen des Bunds» aufgenommen und betreut worden.