Man könnte meinen, es gäbe wichtigere Themen für ein Debatten-Format wie die «Arena». Ob ein Detailhändler ein bestimmtes Produkt verkaufen soll, ist eigentlich Sache des jeweiligen Unternehmens. Nicht so in der Schweiz, wo die Frage «bisch es Migros- oder es Coop-Chind?» eine identitäre ist. Hier ist es ein Politikum.
Die letzte Arena-Sendung hat sich dem Thema gewidmet, über das die rund 2,3 Millionen Genossenschafterinnen und Genossenschafter der Migros am 4. Juni befinden werden: Soll die Migros künftig Alkohol verkaufen, oder nicht?
In den Ring sind befürwortend für den Alkoholverkauf gestiegen:
Dagegen sind angetreten:
Dass Konsumenten überhaupt über diese Frage abstimmen, ist auf die Rechtsform der Migros zurückzuführen. Die Genossenschaften haben seit dem Jahr 1983 in ihren Statuten festgehalten, dass sie kein Alkohol verkaufen.
Das soll sich nun ändern. Es sei an der Zeit, dass die Konsumenten befragt werden, sagte Initiantin Renata Georg. «Wir haben das Gefühl, es ist nicht mehr zeitgemäss, keinen Alkohol zu verkaufen.» Mit «wir» meinte Georg sich und ihre Mitstreiter. Die Migros-Spitze äussert sich nicht zur Frage.
Wichtig: Jede der zehn regionalen Genossenschaften entscheidet für sich. Es könnte also sein, dass nach dem 4. Juni die Migros Basel kein Alkohol verkauft, die Migros Ostschweiz allerdings schon.
Ein Flickenteppich? Nein, verteidigt Georg. Das sei Demokratie ganz im Sinne von «Dutti», dem verstorbenen Migros-Vater Gottlieb Duttweiler.
Auf der Befürworterseite fiel besonders der Gast in der zweiten Reihe auf. Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen, fand: Was die Migros ausmache, sei nicht ihr Alkohol-Verbot. Es gäbe viele Alkoholkranke in der Schweiz, was tragisch sei, so Müller. Aber: «Ich traue dem Migros-Konsumenten zu, dass er verantwortungsvoll mit dem Alkohol-Sortiment umgeht.» Dafür erntete der Jungfreisinnige gar Applaus.
Diese Worte riefen Lilian Studer auf den Plan. Als ehemalige Geschäftsführerin des Blauen Kreuzes, einer christlichen Organisation zur Selbsthilfe bei Suchtkrankheiten, konnte sie die Worte Müllers nicht unkommentiert lassen. «Vielen ist nicht bewusst, wie wichtig die Migros für Alkoholkranke ist.» Sie hatte täglich mit Betroffenen zu tun und wisse: «Süchtige Menschen gehen bewusst in die Migros, weil sie dort nicht in Versuchung geraten.»
Studer war auf einem guten Kurs, als ihr ein Patzer unterlief. «Ein grosser Teil kann nicht mit Alkohol umgehen, das ist fast der Kanton Thurgau.» Brotz hakte ein und justierte: «Also nicht alle Alkoholsüchtigen wohnen im Thurgau.» Das brachte die Studiogäste zum Lachen und untergrub das eigentlich ernsthafte Argument von Studer. Was sie meinte: Rund 300'000 Menschen in der Schweiz sind alkoholabhängig. Das entspricht ungefähr der Einwohnerzahl des Kantons Thurgau.
Das führte die Befürworterinnen direkt zu ihrem nächsten zentralen Argument: Unter dem Dach der Migros werde heute bereits Alkohol verkauft, nämlich im Denner, LeShop oder im Migrolino. Renata Georg monierte: «Es ist nicht ehrlich! Die Migros ist die zweitgrösste Alkoholhändlerin in diesem Land. Spielt es für die Gesundheit eine Rolle, ob sie den Alkohol im Denner oder in der Migros kaufen?»
Was Lilian Studer zu dieser Frage bereits erklärt hatte, versucht nun der Soziologe zu ergänzen. Es ginge nicht bloss darum, die Sucht-Betroffenen zu schützen, sagt Ueli Mäder. Er denke an die Kinder von Eltern mit Alkoholsucht und andere Angehörige. Der Luxus, alles an einem Ort einkaufen zu können, habe einen Preis: «Freiheit ist nicht nur die Freiheit des Einzelnen, sondern beinhaltet eine Verantwortungskomponente.»
Mäder gab druckreife Sätze von sich, sprach aber häufig übergeordnete und tiefgreifende Themen an. Dabei verlor er nicht nur die Opposition, die kaum auf seine Argumente einging, sondern wohl auch das Publikum.
Etwas überzeugender war auch bei den Gegnerinnen des Alkoholverkaufs die zweite Reihe. Ökonom Stefan Vogler warnte vor dem Risiko für die Migros. «Ihr würdet euer Image gefährden», sagte er in Richtung Georg und Paganini. Viel wichtiger wäre es, dass die Migros ihre Einzigartigkeit als Genossenschaft bespiele, wo es nicht um den Profit geht. «Habt Respekt vor dem Thema Alkohol. Es ist der Anfang davon, dass man die Dutti-Werte nicht mehr lebt.»
Was Duttwiler gewollt oder gemacht hätte, hat sich bis zum Ende durch die Argumentation in dieser Arena gezogen. Jede Seite legte seine Haltung zu ihren Gunsten aus. Die Befürworterinnen betonten, er sei ein Visionär gewesen, hätte Neues gewagt und im Jahr 1948 sogar selber vorgeschlagen, Wein ins Sortiment aufzunehmen. Die Gegnerseite berief sich auf Duttweiler, dass ihm die Gesundheit und Sozialpolitik am Herzen lag. Er habe 1928 im Kampf gegen die durch Alkoholsucht geförderte Armut entschieden, in den Filialen der Migros keinen Alkohol zu verkaufen.
Einig waren sich alle in einem Punkt: Dass nun über die Frage abgestimmt wird, war im demokratischen Sinne Duttweilers.
Ein Gast war in der gesamten Debatte untergegangen. Paganini schaffte es nicht, an Schlüsselstellen einzusteigen oder überzeugend zu argumentieren. Was er allerdings schön auf den Punkt brachte, war folgendes: «Man staunt, dass diese Arena heute stattfindet. Es zeigt, dass Duttweilers Erbe die Gesellschaft durchdringt und er ein guter Geschäftsmann war».
Gut fürs Geschäft der Migros ist diese Publizität allemal. Oder mit anderen Worten: Es gibt keine schlechte Werbung.
Die 15 Thesen, welche Gottlieb und Adele Duttweiler als Vermächtnis der geistigen Ziele und moralischen Werte der Migros festlegten, hatten sich im Laufe der Zeit tausendfach bewährt und zum grossen Erfolg des Lebensmittel-Giganten beigetragen! Ich finde es sehr unklug und auch gegenüber dem Gründerehepaar verwerflich, wenn jetzt die Verkaufseinführung alkoholischer Getränke in den Migros-Verkaufsstellen gefordert wird.
Was mich an den Befürwortern störte:
- Herr Müller sagte "3% sind abhängig und 97% kommen klar". Was ist mit der Dunkelziffer?
- Sie unterstützen mit 0.5% des Umsatzes Therapien, aber trotzdem Alkohol verkaufen. Paradox! Geht nur um den Gewinn.
- Frau Georg: "Nicht mehr Zeitgemäss". Was denn bitte? Wie ich mein Bier, Wein od. Whisky kaufe und trinke? Sie wollen doch nur dass ich nicht zur Konkurrenz gehe.
Und manchmal hatte ich das Gefühl Frau Georg kam etwas in Erklärungsnot (Stottern)