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Schweizer Musik hat in der Hitparade aktuell keine Chance

The Band Stubete Gaeng wins the best streaming artist Award, during the award ceremony of the Swiss Music Awards in Zuerich, Switzerland, May 8, 2024. (KEYSTONE/Urs Flueeler)
Auf traditionelle und moderne Weise in der Schweiz erfolgreich: Die «Stubete Gäng» nimmt einen Swiss Music Award als «Best Streaming Artist» entgegen. Bild: KEYSTONE

Schweizer Musik hat in der Hitparade aktuell keine Chance – was läuft falsch?

Nur vier Alben, die im letzten Jahr veröffentlicht wurden, haben es in die Schweizer Album-Jahres-Hitparade geschafft. Roman Camenzind von Hitmill wirft Labels und Radios falsche Strategien und Ausrichtung vor – am Publikumsgeschmack vorbei.
19.01.2025, 05:20
Stefan Künzli / ch media
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Seit Mitte der Nullerjahre hat sich Schweizer Popmusik auf einem kommerziellen Höhenflug befunden. Abzulesen war dieser Boom vor allem an der Anzahl Alben, die in den Jahrescharts der Schweizer Hitparade vertreten war. Durchschnittlich gut 20 Alben waren jeweils vertreten, und der Spitzenwert von 31 Alben wurde vor zwei Jahren erreicht. Doch jetzt erfolgte der Absturz.

Mit den Alben «Jahreszyte» von Heimweh (Platz 9), «13» von Schwiizergoofe (Platz 32), «Easy Muni» von Stubete Gäng (Platz 51) und «Ciao Baby, Ciao» von Dabu Fantastic (Platz 80) haben es nur gerade vier Alben, die im letzten Jahr erschienen sind, in die Top 100 des Jahres 2024 geschafft. Hinzu kommen zwar noch Longseller-Alben wie «Loch dür Zyt» von Züri West (Platz 3) oder Roman Nowka's Hot 3 & Stephan Eicher (Platz 57), aber die sind schon 2023 erschienen.

Schweizer Pop ist in seiner Breite so tief gefallen wie seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr. Wie konnte das passieren? Was läuft falsch? Was ist mit der Schweizer Popmusik? Und wo sind all die englisch singenden Sängerinnen und Sänger? In der Jahres-Hitparade finden wir kein einziges englisch gesungenes Album.

Zum Rückgang beigetragen hat sicher, dass einige der Grossen im Schweizer Popgeschäft pausierten und erst für das neue Jahr neue Produktionen angekündigt haben: allen voran Patent Ochsner, Gotthard, Hecht, Trauffer und Philipp Fankhauser. Es sind sichere Werte für die Jahrescharts. Doch das allein kann den aktuellen Einbruch in diesem Ausmass nicht erklären. Ist der Boom von Schweizer Popmusik vorbei?

Buene Huber, Saenger der Schweizer Band Patent Ochsner, waehrend einem Konzert im Schwellenmaetteli in Bern, am Dienstag, 8. August, 2023. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Machen momentan Pause: Büne Huber und Patent Ochsner.Bild: keystone

International steht Schweizer Popmusik gut da

Ausgerechnet im Jahr, wo die Schweiz mit dem Sieg von Nemo den grössten internationalen Triumph erzielte, hat die Popularität von Schweizer Pop zu Hause einen schweren Dämpfer erreicht. Doch Jean Zuber von Swiss Music Export hält dagegen. Er erlebt in seiner Funktion als Förderer von Auslandaktivitäten einen ganz anderen Formstand der Schweizer Popmusik. «Wir stehen hervorragend da», sagt er überzeugt, «wir sind weltweit vernetzt und haben den Anschluss an den internationalen Markt geschafft».

Zuber verweist dabei nicht nur auf Nemo, sondern zum Beispiel auch auf die Schweizer Band Hermanos Gutiérrez, die in den USA vor Tausenden von Leuten auftritt und weltweit millionenfach gestreamt wird. Mit 3,9 Millionen Hörerinnen und Hörer erreicht sie ein Vielfaches der Stubete Gäng, die in der Schweiz am meisten gestreamt wurde (231'794 monatliche Hörerinnen und Hörer).

Zuber freut sich auch über den Erfolg von Schweizer Acts am bedeutenden Newcomer-Festival Eurosonic in Groningen, wo in diesen Tagen Benjamin Amaru, Soft Loft, Nnavy, Paula Dalla Corte, Valentino Vivace, Sirens Of Lesbos, Sami Galbi und Ele A auftreten. Die junge, 22-jährige Tessiner Rapperin Ele A aus Lugano zum Beispiel ist in der Schweiz ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Bei Spotify hat sie mit fast einer halben Million monatlichen Hörerinnen und Hörern aber gut doppelt so hohe Werte wie die Stubete Gäng.

Junge Schweizer Acts überspringen den nationalen Markt

Streaming definiert die neuen Spielregeln und hat den gesamten Musikmarkt auf den Kopf gestellt. Junge Musiker wie die welsche Sängerin Nnavy, der Ostschweizer Musiker Benjamin Amaru oder die Berner Band Sirens Of Lesbos erreichen auf den Streaming-Portalen Millionen-Werte und überspringen den nationalen Markt. Ihr Fokus gilt nicht der Schweizer Hitparade, sie schielen auf den internationalen Markt.

Streaming bietet für Schweizer Musikerinnen und Musiker durchaus neue Möglichkeiten und Chancen. Vor allem, wenn es sich um Nischenmusik handelt. Sie können dort zum Teil Streams im beachtlichen zweistelligen Millionenbereich erreichen. Sie gehen aber im Meer der englisch-sprachigen Popmusik unter und werden für die Schweizer Hitparade gar nicht gewertet. Die breite Schweizer Öffentlichkeit nimmt deshalb von diesen Künstlern kaum Notiz.

Es sind zwei Welten: Hier die Mundart-Interpreten, die mit grossem Erfolg den Schweizer Markt bedienen, dort die englisch singenden Musikerinnen und Musiker, die sich an ein internationales Publikum richten und für sich auf dem Weltmarkt den grossen Durchbruch erhoffen.

Die Nachfrage nach Mundart ist grösser als das Angebot

Für Roman Camenzind, Gründer der Produktionsfirma Hitmill, ist diese internationale Ausrichtung ein Fehler: «Kein Mensch auf dieser Welt wartet auf eine Billie Eilish-Kopie aus Kleindöttingen oder einen Budget-«The Weeknd» aus Bümpliz». Täglich werden auf den Streaming-Plattformen 100'000 neue Songs hochgeladen, der Grossteil in Englisch. Der internationale Musikmarkt ist gemäss Camenzind «massiv übersättigt mit englischen Songs», wohingegen der Schweizer Markt für Mundartmusik «untersättigt» sei. «Die Nachfrage nach Mundart ist meiner Erfahrung nach grösser als das Angebot, weshalb wir mit unseren Acts Stubete Gäng, Heimweh, Megawatt und Fründe konsequent und mit dementsprechendem Erfolg auf Mundart setzen», sagt er weiter.

Die Schweizer Majorlabels und Radio SRF3 kommen dagegen bei Camenzind gar nicht gut weg. Er wirft ihnen eine falsche Strategie und Ausrichtung vor – an den Vorlieben und Bedürfnissen der Schweizer Hörerinnen und Hörer vorbei. «SRF3 weigert sich seit Jahren, Mundartmusik während den reichweitenstarken Uhrzeiten zu spielen», erklärt Camenzind. Statt sich am Publikumsgeschmack zu orientieren, hole sich der Sender seine bescheidene CH-Pop-Quote mit englisch gesungenen Schweizer Songs.

Die Plattenfirmen seien darauf eingestiegen und haben in der Folge vermehrt Schweizer Sängerinnen unter Vertrag genommen, die englischen Pop singen. Im übersättigten englischen gesungenen Popmarkt habe dies zu einer «künstlich herbeigeführten Blase ohne Nachhaltigkeitseffekt» geführt. Camenzind schätzt, dass diese Sängerinnen «bestenfalls kurze Achtungserfolge» erzielen können. Umso «bedauerlicher» sei dies, weil viele dieser Künstlerinnen «überdurchschnittlich talentiert» seien.

Dominanz von Hitmill auf dem Mundart-Markt

Die Dominanz von Camenzinds Hitmill auf dem Mundartmarkt ist dagegen fast schon unheimlich. Die 2024 bestplatzierten Mundartbands Stubete Gäng, Heimweh und Schwiizergoofe kommen alle aus Camenzinds Hitmühle. Daneben konnte sich nur noch Dabu Fantastic (Phonag/Gadget) halten, als einzige Nicht-Hitmill-Produktion. Und die Vorherrschaft von Hitmill auf dem Mundartmarkt dürfte noch zunehmen, denn Mundartsänger Trauffer wird neuerdings auch bei Hitmill produziert. «Die Dominanz von Hitmill sollte den Mutterhäusern der grossen Schweizer Labels schwer zu denken geben», sagt dazu Camenzind, «wir erzielen mit einem Bruchteil an Mitarbeitern weitaus bessere Ergebnisse». (aargauerzeitung.ch)

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124 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Märliprinz
19.01.2025 08:51registriert März 2014
Roman Camenzind ist nicht die Lösung, sondern das Problem. Irgendwann hat man seine seichten Kinderlieder-Produktionen und glatten Volchsmusik Biederlieder gehört.
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Rantaplan
19.01.2025 08:56registriert August 2020
Ich muss gestehen ich kann Camenzind und seine HitMill nicht ausstehen. Schon allein deswegen habe ich eine Abneigung gegen die Musik die von dort kommt.

Ich will gute Musik hören, die mit Leidenschaft entstanden ist und nicht versucht chartkompatibles Gedudel auf Schweizerdeutsch.

Es gibt tolle Musiker und Bands in der Schweiz, die haben aber vielleicht halt auch keinen Bock auf Camenzind...
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El_Chorche
19.01.2025 07:19registriert März 2021
Je internationaler das Geschäft wird, desto mehr kommt es als Einheitsbrei daher.

Kann sich noch jemand an den Latinohype erinnern?

Ich leider schon.
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