Das Parlament wurde letzten Herbst vom Krisen-Rausch mitgerissen. Angesichts drohender Stromausfälle im Winter stampfte es innert Wochen den sogenannten Solarexpress aus dem Boden: In den Bergen, wo die Sonne im Winter viel seltener hinter Wolken und Nebel verschwindet und der Schnee das Licht reflektiert, sollen sehr schnell sehr grosse alpine Fotovoltaikalagen erstellt werden. Ermöglicht wird das, indem wichtige Umweltauflagen gelockert und Subventionen versprochen werden. Das grösste Projekt, Grengiols im Wallis, ging mit einer Ansage von bis zu 910'000 Solarpanels auf mehreren Quadratkilometern an den Start.
Nun, ein gutes halbes Jahr später, ist die Euphorie verflogen. In Grengiols haben die Initianten am Montag schon zum zweiten Mal die Verkleinerung ihres Projekts verkündet. Nun ist noch von 160'000 Panels die Rede. Doch auch bei anderen Projekten, erfahren die Träume gerade einen Dämpfer - und ein Grund dafür wird fast überall erwähnt: Das Manko an Leitungen, die den Solarstrom von den Bergflanken zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern in den Dörfern und Städten bringen.
Führende Energiepolitiker in Bern sind alarmiert. «Es ist ein riesiges Problem, das wir rasch lösen müssen», sagt SP-Fraktionschef Roger Nordmann. GLP-Präsident Jürg Grossen, Präsident des Verbands Swissolar, spricht von der «Achillesferse für die Alpen-Photovoltaik», von einem «limitierenden Faktor, der viele Projekte auf Eis legen könnte».
Worum geht es? Der vom Parlament beschlossene Solarexpress mit dem beschleunigten Bewilligungsverfahren und den gelockerten Auflagen bei der Planung betrifft lediglich die Fotovoltaikanlagen sowie die Leitungen bis zum ersten Anschlusspunkt an das bestehende Netz. Dieses ist aber gerade in entlegenen Regionen noch nicht auf die Menge Strom aus den neuen grossen Solarkraftwerken ausgelegt. «Es braucht Netzverstärkungen und mancherorts zusätzliche Leitungen», sagt Grossen, «dies vor allem im Bereich der Mittelspannung.»
Weil aber das bestehende Netz nicht dem Express-Verfahren unterstellt ist, drohen jahrelange Verzögerungen. Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) schreibt auf Anfrage, welche Etappen einer Bewilligung für neue oder stärkere Leitungen vorausgehen: Vorbereitung, Sachplanverfahren, Leitungsprojekt, Plangenehmigungsverfahren, Gerichtsverfahren, Bau- und Inbetriebnahme. «Die Dauer für Planung und Bewilligung von neuen Hochspannungsleitungen der Netzebene 3 benötigt im Schnitt rund 8 bis 12 Jahre», schreibt der VSE.
Das kollidiert frontal mit der Zielsetzung des Solarexpresses. Dieser schreibt vor, dass bis Ende 2025 jeweils pro Anlage mindestens 10 Prozent der angestrebten Leistung realisiert und am Netz angeschlossen sein müssen. Der Vollausbau muss Ende 2030 vollendet sein. Neue Leitungen dürften bis dahin freilich kaum realisiert sein - zumal Gruppierungen, die ein bestimmtes Projekt bekämpfen, in diesen Verfahren wohl einen günstigen Angriffspunkt finden werden.
Mit der zweiten, radikalen Redimensionierung erreichen die Initianten in Grengiols, dass die heutigen Leitungen für den zusätzlich produzierten Strom ausreichen. Auch bei anderen Projekten wird laut Jürg Grossen vorerst nur das 10-Prozent-Ziel angestrebt, weil die bestehenden Leitungskapazitäten nicht mehr hergeben und die Ntzverstärkungen länger Zeit brauchen. Der mit Karacho gestartete Solarexpress fährt auf ein Stumpengleis - oder wie der VSE maliziös bemerkt: «Die grösste alpine Photovoltaikanlage kann keinen Strom liefern, wenn das dazu notwendige Netz in jahrelangen Bewilligungsverfahren steckenbleibt.»
Dass der Netzausbau vom Parlament nicht integriert worden sei, ein Fehler, sagt Grossen: «Wir werden die Fristen für den Solarexpress wohl im Parlament so anpassen, dass wir rechtlich einen nahtlosen Übergang an die künftige Regelung haben, wie sie im Mantelerlass in Vorbereitung ist.»
Der VSE setzt seine Hoffnung derweil auf die vom Bundesrat angekündigte Beschleunigungsvorlage: Der Verband werde sich dafür stark machen, dass sich diese Vorlage nicht nur auf Produktionsanlagen beschränke, sondern auch den Netzausbau umfasse. «Es braucht einen Netz-Express, der im Rahmen der Beschleunigungsvorlage umgesetzt wird.» Die Verfahren für die Netzinfrastruktur müssten beschleunigt und mit dem Ausbautempo der neuen Grossanlagen synchronisiert werden.
Einer der führenden Experten für alpine Solaranlagen, Professor Jürg Rohrer von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, sieht auch die Branche in der Pflicht. Viele Zulieferer und Dienstleister hätten sich beim Netzausbau an einen langsamen Rhythmus gewöhnt: «Der Blick ins Ausland zeigt, dass es rascher gehen kann.» Auch sei es nicht nur eine betriebswirtschaftliches Problem: «Letztendlich geht es nicht primär um Geld», sagt er, «sondern die Mentalität muss geändert und endlich ein Bewusstsein für die Dringlichkeit der Energiewende geschaffen werden.» Daran fehle es noch in der Schweiz.
Jürg Grossen ruft derweil dazu auf, sich nicht allein auf die Alpen-Photovoltaik zu fixieren, sondern dort zu handeln, wo es bereits möglich ist. Mit dem alpinen Solarexpress waren zunächst zwei Terawattstunden bis 2028 geplant, die seien sowieso wichtig. «Aber letztes Jahr konnten wir trotz Engpässen bei Material und Fachkräften im Gebäudebereich Solarpanels mit einer Jahresproduktion von einer Terawattstunde montieren - hier können wir jetzt schon vorwärtsmachen und rasch ein mehrfaches produzieren, auch an Winterstrom.» (aargauerzeitung.ch)
Traurig, aber irgendwie nicht überraschend...
Doch in Bundesbern übt man sich in Problembewirtschaftung anstelle vorausschauenden, nachhaltigen Lösungen.
Wir beobachten wie nun die Karre an die Wand gefahren wird.
Ich danke der wahl- und lobby-selbstsüchtigen Parlamentarier(seil) schaft und der geblendet letargischen Stimmbevölkerung. Ich beobachte - und Du?