Karin Keller-Sutter gab im September im Nationalrat alles, um den Verkauf von Beyond Gravity doch möglich zu machen. Das Unternehmen erwirtschafte 96 Prozent des Umsatzes im Ausland, und nur 2 der 1800 Mitarbeitenden seien für die Schweizer Armee tätig, argumentierte sie. Zudem fehlten dem Bund als Eigner die finanzpolitischen Möglichkeiten, in das Unternehmen zu investieren. Das aber sei nötig.
Es half nichts. SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor warf der Finanzministerin vor, sie argumentiere ohne Weitsicht – wie eine «Buchhalterin». Und der Nationalrat stimmte der Motion sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats mit 121 zu 53 Stimmen bei 6 Enthaltungen zu. Titel der Motion: «Die Kontrolle von Beyond Gravity zu behalten, ist von strategischem Interesse.» Einen Monat später nahm auch die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats den Vorstoss an.
Es stellen sich damit zwei Fragen. Erstens: Ist Beyond Gravity für die Schweiz tatsächlich von strategischer Bedeutung? Und zweitens: Was geschieht mit dem Unternehmen, wenn auch der Ständerat die Motion gutheisst?
Zunächst zur strategischen Bedeutung. Zwar stellt Beyond Gravity selbst weder Satelliten noch Raketen her. Tatsächlich verfügt das Unternehmen aber über beträchtliches Know-how im Weltraumbereich. So stellt es Nutzlastverkleidungen her für die europäische Trägerrakete Ariane 6. Sie bestehen aus zwei Halbschalen, die 20 Meter hoch und 1800 Kilogramm schwer sind. Sie trennen sich beim Erreichen der Erdumlaufbahn.
Vor allem aber ist Beyond Gravity spezialisiert auf Trägerstrukturen für Satelliten. Mit ihnen gewann es einen prestigeträchtigen Auftrag: Der globale Versandhändler Amazon will 3232 Satelliten ins Weltall schiessen, um weltweit erschwingliches Breitbandinternet zu ermöglichen. Beyond Gravity entwickelt und produziert in Linköping (Schweden) für Amazon ultraleichte und massgeschneiderte Satellitendispenser. Sie transportieren Satelliten in der Trägerrakete gut geschützt in die erdnahe Weltumlaufbahn und platzieren sie dort an die richtigen Standorte.
Für das Parlament ist klar: Beyond Gravity verfügt über ein Potenzial, das strategisch relevant ist für die Schweiz. «Zum Beispiel bei Sicherheit, Forschung und Technologie, aber auch in der Kommunikation», sagt Andrea Gmür, Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats. «In Zukunft könnte die ganze Kommunikation über Satelliten abgewickelt werden.» Für Gmür kann das Unternehmen mit seinen Komponenten zudem als eine Art Pfand für die Schweiz gelten, um nicht aus Lieferketten herauszufallen. Und SVP-Nationalrat Michael Götte hatte Beyond Gravity in der Nationalratsdebatte als «entscheidendes Element im Ökosystem der Schweizer Raumfahrt» bezeichnet.
Damit folgt die zweite Frage: Was geschieht mit Beyond Gravity, wenn auch der Ständerat der Motion zustimmt? Recherchen zeigen: Im Finanzdepartement sieht man dann kaum Handlungsspielraum. Die Motion sei so eng formuliert, dass ein kompletter Verkaufsstopp gelte.
Sollte Beyond Gravity in Staatsbesitz bleiben, wäre nicht mehr das Finanzdepartement (EFD) für die Eignersteuerung zuständig, sondern wieder das Verteidigungsdepartement (VBS). So beurteilt man die Sachlage im EFD. Das VBS war bereits verantwortlich gewesen, bevor der Bundesrat die Ruag in zwei Unternehmensteile aufsplittete: in die Ruag MRO, die für die Armee arbeitet, und in die Ruag International mit Unternehmen wie Beyond Gravity, die verkauft werden sollen. Die sicherheitspolitische Kompetenz für die Strategie von Beyond Gravity sei beim VBS, ist im EFD zu hören. Das EFD wäre nur noch finanzpolitisch zuständig.
Priska Seiler Graf beurteilt das als Präsidentin der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats genauso. «Sollte das Unternehmen staatlich bleiben, scheint mir ganz klar: Es kommt ins VBS», sagt die SP-Nationalrätin. «Erstens hat das Parlament den Verkauf dann gestoppt, weil Beyond Gravity sicherheitspolitische und strategische Bedeutung hat. Und zweitens ist auch die Ruag MRO beim VBS beheimatet.»
Damit würde Verteidigungsministerin Viola Amherd über Nacht zur Chefin eines global tätigen Hightech-Unternehmens mit 1800 Mitarbeitenden an 14 Standorten in sieben Ländern, das vor allem in den USA Geschäfte macht. Eine Aussicht, die im VBS für Stirnrunzeln sorgt, auch wenn die Armee und möglicherweise sogar Viola Amherd selbst gegen einen Verkauf von Beyond Gravity sind. Es wäre eine riesige Herausforderung.
Auch deshalb ist Seiler Graf – persönlich, wie sie betont – «nicht restlos davon überzeugt, dass das Parlament den richtigen Weg einschlägt». Sie habe «grosse Bedenken» wegen der Investitionen, die der Staat für das Unternehmen tätigen müsste. André Wall, CEO von Beyond Gravity, hat gegenüber CH Media bestätigt, der Businessplan sehe bis 2029 500 bis 600 Millionen Franken an Investitionen vor. Gegenüber der NZZ am Sonntag warnte er, eine Verhinderung der geplanten Privatisierung würde Schweizer Arbeitsplätze riskieren.
Weniger dramatisch beurteilt SVP-Ständerat Werner Salzmann die Situation. Beyond Gravity dürfe bei einem Ja des Ständerats zur Motion trotzdem verkauft werden, glaubt er. «Es braucht dabei eine Schweizer Aktionärs-Mehrheit, damit die Schweiz die Kontrolle behält. Diese muss aber nicht zwingend beim Bund liegen.»
Salzmann fordert allerdings weitergehende Bedingungen im Falle eines Verkaufs. «Die Mehrheit des Verwaltungsrats muss aus Schweizern bestehen, und der Sitz von Beyond Gravity muss in der Schweiz sein», betont er. «Zudem muss sich die Eidgenossenschaft ein vertragliches Kontrollrecht einräumen.» Isabelle Chappuis (Mitte, VD) wiederum, eine Unterstützerin der Kommissionsmotion, kann sich eine Lösung vorstellen, die eine Public Private Partnership (PPP) einbezieht. Zudem bezeichnet Chappuis eine Integration der Beyond Gravity in die Ruag MRO als «interessante Idee – zum Beispiel in Form eines Konsortiums, das sowohl die Handlungsfreiheit von Beyond Gravity wie den Auftrag der Ruag bewahren würde».
Auch Ständerätin Gmür sieht die Situation offener. Die Kommission habe zwar entschieden, dass der Bundesrat Beyond Gravity «nicht komplett» verkaufen dürfe, sagt sie. Entscheide der Ständerat ebenso, liege es aber am Bundesrat, Vorschläge zu machen, wie es weitergehen soll. In der Kommission seien mehrere mögliche Varianten genannt worden – und das Finanzdepartement kenne diese.
Gmür selbst spricht sich – nach ihrer persönlichen Meinung und nicht als Kommissionspräsidentin gefragt – dafür aus, dass der Bundesrat künftig eine Sperrminorität halte bei Beyond Gravity. «Damit könnte er den Fuss in die Türe halten, wenn das nötig ist.» Denkbar wäre für Gmür etwa ein Aktionärsbindungsvertrag oder ein Vorkaufsrecht bei einem Wiederverkauf.
Seiler Graf und Gmür, die Präsidentinnen der sicherheitspolitischen Kommissionen, lassen Unzufriedenheit mit dem Bundesrat durchblicken. Mitte-Ständerätin Gmür sagt, es wäre falsch, Beyond Gravity ausgerechnet jetzt zu verkaufen, weil noch das Raumfahrtgesetz und die Forderung nach einer umfassenden Kooperation der Schweiz mit der EU im Weltraumbereich ins Parlament kämen.
SP-Nationalrätin Seiler Graf betont, es fehle nach wie vor eine spezifische Weltraumstrategie im Sicherheitsbereich. «Wir haben den Eindruck, dass der Bundesrat nicht wirklich vorwärtsmachen will», sagt sie. «Das sorgt für Misstrauen, Unverständnis und Unbehagen beim Parlament.»
Wie genau will er es machen? Verkaufen und die neuen Besitzer müssen in Zukunft genau das machen, was der Verkäufer will.
Tia, diese Firma ist kein Bauernhof, wo halbstaatliche Selbstständige arbeiten, es ist eine Firma im Exportbereich.