Josua Sommer steht mit einer Lanze in einer Scheune im bernischen Epsach. Er trägt einen beigen Schutzanzug, dicke blaue Handschuhe und eine Haube mit Sichtgitter. Kein Zentimeter Haut ist zu sehen, selbst unter der Maske trägt er noch eine Brille. «Sollten sie angreifen, bring dich sofort im Auto in Sicherheit», sagt der Hornissenjäger zu watson, bevor er sein Gift in das Nest sprüht.
Und dann schwirren sie los. Vom Gift, das in ihr Nest eindringt, aufgescheucht, schwärmen sie in alle Himmelsrichtungen aus. Ein bedrohliches Summen erfüllt die Scheune. Als Beobachter beginnt man zu verstehen, warum «ins Wespennest stechen» sprichwörtlich für eine Aktion steht, die Unruhe, Empörung, Aggression auslöst.
Nur: Das hier sind keine Wespen. Es sind Hornissen, und nicht irgendwelche. Die Insekten, die fluchtartig das Nest verlassen, sind Asiatische Hornissen. Sie bedrohen Flora und Fauna in der Schweiz schon seit Jahren.
Seit 2017 breitet sich die Asiatische Hornisse in der Schweiz aus, die ersten Nester wurden in der Westschweiz gefunden. Ende 2024 hatte sich das Insekt schon in 14 Kantonen ausgebreitet. Die Hornissen-Invasion zeigt sich auch in Zahlen der Schädlingsbekämpfung: 2023 wurden 222 Nester zerstört, 2024 bereits über 700, wie eine wissenschaftliche Untersuchung, die in der «Schweizerischen Bienenzeitung» erschienen ist, ausweist.
«Gut möglich, dass sich das dieses Jahr nochmals verfünffacht», sagt Sommer. Er habe aufgehört zu zählen, wie viele Nester der Asiatischen Hornisse er dieses Jahr schon zerstört habe. Sommer nutzt für die Bekämpfung die frühen Morgenstunden, von vier bis acht Uhr, in dieser Phase sind die Tiere weniger aktiv, was das Risiko von Angriffen reduziert.
Das Hornissennest, das er an diesem Tag entfernt, hängt im Dachgiebel der Scheune von Bauer Hans Helbling in Epsach im Kanton Bern. Es ist etwa so gross wie ein aufgeblasener Luftballon. Entlang der beigen Hülle tanzen die Hornissen, die ihr Zuhause aus Holz und eigenem Speichel erbaut haben. Bis zu 8000 von ihnen können in einem Nest leben. In einer halben Stunde werden sie alle nicht mehr leben, wenn Sommer mit ihnen fertig ist. Dieses radikale Vorgehen hat einen Grund.
«Die Asiatische Hornisse verursacht riesigen Schaden in unserer Biodiversität», sagt Sommer. Sie hat keine natürlichen Fressfeinde und kann sich darum ungebremst vermehren. Als Räuberin macht sie Jagd auf kleinere Insekten – etwa Fliegen, Hummeln und Bienen.
Diesen sogenannten Bestäubern kommt eine wichtige Rolle in unserem Ökosystem zu. Indem sie Pollen von einer Blüte zur nächsten transportieren, helfen sie den Pflanzen bei der Fortpflanzung. Sie sind deshalb auch im Obst- und Ackerbau von zentraler Bedeutung. Jetzt aber sind die Bestäuber der Asiatischen Hornisse schutzlos ausgeliefert. Imkerinnen und Imker schlagen Alarm.
Die Honigbiene steht in Europa ohnehin schon unter Druck. Klimawandel, Milbenbefall und Insektizide schwächen viele Bienenvölker. Jetzt kommt auch noch die Asiatische Hornisse hinzu. Sie lauert den Bienen vor den Honigstöcken auf – ein Verhalten, das die Bienen von der Europäischen Hornisse so nicht kennen. «Für die Asiatische Hornisse sind die Bienen deshalb wie Fast Food», sagt der Insektenforscher Lukas Seehausen im Interview mit watson.
Wieder in der Scheune in Epsach beginnt Schädlingsbekämpfer Sommer mit seiner Arbeit. Er fährt seine Teleskoplanze aus, je nach Modell ist diese bis zu 15 Meter lang – perfekt, um selbst hochgehängte Nester sicher zu behandeln.
Sommer sucht den Eingang, ein kleines Loch an der Seite. Als er es gefunden hat, drückt er den Abzug und sprüht Insektizid ins Nest. Eine weisse Wolke stäubt auf. «Hornissen sind sehr reinliche Tiere. Sie werden das Insektizid auf ihrem Körper ablecken und so das Gift in ihren Organismus tragen. Dort blockiert es die Nervenbahnen: Erst sind sie gelähmt, dann sterben sie», erklärt der Schädlingsbekämpfer.
Nicht überall darf Sommer Gift einsetzen. Befindet sich ein Nest im Wald oder nahe an einem Gewässer, braucht es andere Mittel. Dann greift er etwa zu einem speziellen Saugrohr, das die Tiere in einen grossen Tank befördert. Durch Bögen im Rohr und die Verschlauchung tritt der Tod sofort ein. In einigen Fällen kommt ein CO₂-Kältespray zum Einsatz. Dies bewirkt jedoch nur eine vorübergehende Betäubung. «Die Asiatische Hornisse ist unglaublich robust und kann Kälte gut tolerieren. Nach der Entfernung des Nestes aus der giftfreien Zone muss dieses entweder mechanisch zerstört oder chemisch behandelt werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern», sagt Sommer.
Gestochen wurde er zum Glück noch nie, zu verdanken sei dies seiner Schutzausrüstung – und der Brille, die er unter der Schutzhaube zusätzlich trägt. «Würde eine Hornisse auf dem Schutzgitter landen, könnte sie mir das Gift sonst immer noch in die Augen spritzen.»
Nach einer halben Stunde ist Sommers Werk vollbracht. Das Summen der Hornissen ist verstummt. Vereinzelt fällt eine gelähmte Hornisse aus dem Nest zu Boden. Sommer tritt auf das Insekt drauf – es verkürze ihr Leiden, sagt er.
«So paradox es auch scheinen mag: Die Bekämpfung dieser invasiven Art dient dem Naturschutz, weil sie die Biodiversität schützt. Für die Asiatische Hornisse habe ich kein Herz.» Sie sei ein Schädling. Und Schädlinge gehörten bekämpft. «Wir werden die Asiatische Hornisse in Europa nicht mehr ausrotten können, dafür ist es schon zu spät», sagt Sommer. «Aber eindämmen können wir sie noch.»
Der Hornissenjäger hat seinen Dienst für heute getan. Das zerstörte Nest lässt er noch hängen. Sollten sich am nächsten Tag erneut Hornissen um das Nest tummeln, spräche das dafür, dass sich in der Nähe ein zweites Nest befindet. Morgen wird der Hornissenjäger mehr wissen. Er wird das Nest vorsichtig in einen dicken Müllsack schnüren und diesen dann in die Kehrichtverbrennung bringen. Ein Nest weniger, immerhin.
Allerdings braucht es dann auch eine Strafe von 50'000 Franken, wenn jemand bei der Zucht dieser Viecher erwischt wird... man weiss ja, wie gerne die Schweizer Profit mögen.