«Jetzt reicht es uns», polterte Christian Levrat im Februar 2004. Und kündigte an: Die Postangestellten würden in den Städten «Protestpausen» einlegen, um gegen geplante Lohnkürzungen zu opponieren. Der Freiburger SPler präsidierte damals die Gewerkschaft Kommunikation und legte sich in dieser Funktion mehr als einmal mit der Postspitze an. «Christian Levrat zwingt Anton Menth, den mächtigen Präsidenten des gelben Riesen, in die Knie – wie einst David Goliath», schrieb die Zeitschrift «Facts» 2002.
Nun, fast zwei Jahrzehnte später, wird der 50-jährige Levrat selbst Verwaltungsratspräsident des gelben Riesen, einem der grössten Arbeitgeber im Land. Der Bundesrat entschied sich am Mittwoch für den früheren SP-Präsidenten als Nachfolger für den abtretenden Urs Schwaller (Mitte/FR). Levrat übernimmt den Posten per 1. Dezember.
Bundesrätin Simonetta Sommaruga betonte vor den Medien, Levrat bringe alle notwendigen Voraussetzungen mit: profunde Branchenkenntnisse etwa, strategisches Geschick, Glaubwürdigkeit gegenüber dem Personal. Und gerade in der Transformationsphase, in der sich die Post derzeit befinde, sei die Vernetzung und Sensibilität für die Politik sehr wichtig.
Die Wahl ist pikant. Zum einen ist Levrat wie die zuständige Bundesrätin SP-Mitglied, was Filzvorwürfe nährt. Zudem bekämpfte er Abbaupläne bei der Post in der Vergangenheit vehement; und seine Partei stellt sich gegen die Privatisierung der Postfinance, die der Bundesrat anstrebt. Sommaruga wusste offenbar um die politische Brisanz der Personalie. Laut Informationen von CH Media hat sie daher im Vorfeld der Bundesratssitzung mit ihren Regierungskollegen das persönliche Gespräch gesucht.
Tatsächlich liess die Kritik nicht auf sich warten. Während sich die SP über die Personalie freute, sahen manche bürgerlichen Politiker rot. «Das ist eine kapitale Fehlbesetzung», sagte Christian Wasserfallen, FDP-Nationalrat und Mitglied der Fernmeldekommission:
Levrat fehle es insbesondere an Erfahrung in der Privatwirtschaft und an betriebswirtschaftlichem Wissen, um ein Milliardenunternehmen wie die Post zu führen. Hinzu komme seine politische Haltung: «Levrat hat jahrelang das bekämpft, was er nun als Post-Präsident umsetzen müsste, etwa die Privatisierung der Postfinance.»
Zurückhaltender äussert sich Mitte-Nationalrat Martin Candinas. Der Bündner sieht im SP-Ständerat einen Verfechter des Service public. «Aus Sicht der Berggebiete ist dieser Entscheid sicher nicht schlecht», sagt er. Skeptisch ist er indes, ob unter Levrat die Postfinance tatsächlich privatisiert wird. «Die Privatisierung dürfte mit der Wahl von Levrat vorderhand vom Tisch sein», sagt er. Zwar entscheidet das Parlament darüber, nicht der Verwaltungsrat – doch dieser habe durchaus Einfluss. Candinas sagt:
Bürgerliche Politiker ärgern sich auch darüber, dass erneut ein Gewerkschafter zum Zug kommt. Mit Corrado Pardini als Personalvertreter sitzt bereits ein Gewerkschafter und SP-Mitglied im Verwaltungsrat sitzt. Wasserfallen sagt: «Statt vom Gelben Riesen kann man bald vom Roten Riesen sprechen.»
Angesprochen auf die Privatisierungspläne bei Postfinance, äusserte sich Levrat gestern diplomatisch. «Das Zentrale aus Sicht der Post ist, dass die politischen Fragen, die sich stellen, geklärt werden», sagte er beim gemeinsamen Auftritt mit Sommaruga. «Die aktuelle Situation der Postfinance ist gefährlich für die Post als Ganzes.»
Auf Levrat warten grössere Baustellen. Die Erträge der Postfinance gehen zurück, bei Postauto ist der Umsatz krisenbedingt zusammengebrochen, das Filialnetz verschlingt viel Geld. Es sei eine schwierige, aber auch eine faszinierende Aufgabe, sagte Levrat. Er räumte ein, dass er gezögert habe, den Posten zu übernehmen. Denn eigentlich wollte er im Herbst für die Freiburger Regierung kandidieren. Stattdessen zieht sich der langjährige SP-Präsident nun aus der Politik zurück: Er verzichtet auf die Regierungskandidatur und tritt Ende September als Ständerat zurück, was seine Kantonalpartei in eine knifflige Ausgangslage wirft.
Für Levrat wiederum schliesst sich ein Kreis: Als Gewerkschafter konnte er kritisieren, als Präsident muss er nun liefern. (aargauerzeitung.ch)