Eine Welle der Empörung brandete im März 2018 durch Lausanne. «Black lives matter» skandierten 500 meist dunkelhäutige Demonstrierende in den Gassen der Westschweizer Metropole. Nicht nur die Proteste weisen Parallelen zum Fall von George Floyd auf. Wie beim Gewaltexzess eines Polizisten in den USA starb auch in Lausanne ein dunkelhäutiger Mann bei einer brutalen Verhaftung.
In der Nähe des Lausanner Bahnhofs führen Polizeibeamte am Abend des 28. Februar 2018 eine Aktion gegen Drogenhandel durch. Dabei gerät der 40-jährige Nigerianer Mike Ben Peter ins Visier der Fahnder. Dies, weil er ein verdächtiges Säckchen hinter einem Auto hervorgeholt hatte.
Ein Polizist will den 130 Kilo schweren Hünen alleine festnehmen. Peter wehrt sich nicht direkt. Er weigert sich jedoch, seine Hände auszustrecken, damit ihm der Polizist Handschellen anlegen kann. Dann artet die Verhaftung aus. Der Polizist tritt Peter mit dem Knie mehrmals in die Genitalien und sprüht ihm Pfefferspray ins Gesicht. Darauf ruft er Verstärkung.
Laut Untersuchungsbericht eilen fünf weitere Polizeibeamte herbei. Sie gehen unzimperlich vor: «Sechs Polizisten drückten Mike Ben Peter auf dem Bauch zu Boden und legten seine Hände hinter den Rücken. Sie hielten den Druck mit den Knien aufrecht, während sie seine Beine anhoben», erklärt Peters Anwalt Simon Ntah. Eine Zeugin hört, wie der Nigerianer vor Schmerz schreit. Laut dem Bericht wird Peter sechs Minuten lang in dieser Position am Boden arretiert. Gemäss Polizeihandbuch dürften es maximal zwei Minuten sein.
Plötzlich stellen die Polizisten fest, dass Peter nicht mehr atmet. Sie versuchen ihn wiederzubeleben und rufen die Ambulanz. Im Mund des zuvor mehrfach wegen Drogenhandels verhafteten Nigerianers finden sie vier Kügelchen Kokain. Mike Ben Peter stirbt tags darauf im Spital. Später stellt sich heraus: Die Polizei stellte im verdächtigen Säckchen – dem Auslöser des Personenkontrolle – ganze neun Gramm Cannabis sicher.
Die Autopsie ergab, dass Mike Ben Peter an einem Herzstillstand starb. Zudem wurden massive Blutergüsse im Genitalbereich festgestellt. «Es ist klar, dass das Herzversagen durch unverhältnismässige Rückhaltemassnahmen und starken Stress im Zusammenhang mit der Festnahme verursacht wurde», sagte Anwalt Ntah weiter.
Wurde der Herzstillstand aber tatsächlich durch den Polizeieinsatz verursacht? «Es gibt immer mehrere Faktoren. Aber selbst wenn es Veranlagungen gibt, muss sich der Richter fragen: Wäre der Mann ohne diese Intervention gestorben? Dies ist die relevante Frage», erklärt der Anwalt.
Die Lausanner Staatsanwaltschaft ermittelte gegen die sechs Polizisten wegen fahrlässiger Tötung. Im Herbst 2018 waren die Beamten immer noch im Dienst.
Wie Anwalt Ntah auf watson-Anfrage erklärt, läuft das Verfahren gegen die Polizisten über zwei Jahre nach dem Tod des Nigerianers immer noch. «Letzte Woche fand eine weiter Anhörung statt. Wir nähern uns dem Ende dieser Untersuchung und rechnen mit einem Prozess gegen die Angeklagten.»
Im Blut des Opfers wurde übrigens kein Kokain gefunden. Ursprünglich wurde spekuliert, dass eine Überdosis Koks den Herztod verursacht haben könnte.
Der Tod von Mike Ben Peter löste in der Westschweiz eine grosse Debatte über institutionellen Rassismus und Polizeigewalt aus. Denn es war kein Einzelfall:
Jung + schwarz = verdächtig. Gegen dieses Vorurteil kämpft Mohamed Wa Baile von der Uni Bern. Er will dem «Racial Profiling» von Polizisten ein Ende setzen und kämpft dafür bis vor Bundesgericht. Zudem hat er ein Buch zu Racial Profiling mitverfasst.
Er zeigt sich bestürzt über die Ereignisse in den USA. «In der Schweiz habe ich nicht Angst, dass ich von Polizisten erschossen werde. Ich fürchte mich aber davor, eines Tages in einer Polizeizelle zu sterben», sagt er mit Blick auf die oben beschriebenen Ereignisse in der Westschweiz. In der Schweiz werde nicht offen über Rassismus gesprochen. Dabei sei Rassismus im Alltag omnipräsent. «Es ist kein Zufall, dass mir Ladendetektive in Geschäften folgen. Das heisst, ich bin nur wegen meiner Hautfarbe verdächtig. Das ist sehr unangenehm.»
Der Schweiz-Kenianer Baile wurde am 5. Februar 2015 am Zürcher Hauptbahnhof von zwei Stadtpolizisten kontrolliert. Wa Baile liess sich widerstandslos kontrollieren, weigerte sich aber, seinen Ausweis zu zeigen, weil er sich diskriminiert fühlte.
Schubladendenken war in der Steinzeit wichtig (grosse Katze = Gefahr), heute jedoch häufig Grund irrationaler Entscheidungen. Der Kreis muss gebrochen werden. Nur wie?