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Rassismus

Polizeigewalt in Lausanne: Nigerianer stirbt 2018 bei brutaler Verhaftung

Polizisten drückten in Lausanne den Nigerianer Mike Ben Peter minutenlang zu Boden. Mit fatalen Folgen.
Polizisten drückten in Lausanne den Nigerianer Mike Ben Peter minutenlang zu Boden. Mit fatalen Folgen. screenshot: rts

Auch die Schweiz hat einen Fall «George Floyd» – und er ist nicht minder dramatisch

Der Fall erinnert an die Tötung von George Floyd. 2018 starb der Nigerianer Mike Ben Peter bei einer Polizeikontrolle in Lausanne. Sechs Polizisten hatten sich während der brutalen Verhaftung auf den Mann gestürzt. Mit fatalen Folgen. Nun warten die Polizeibeamten auf ihren Prozess.
03.06.2020, 09:0604.06.2020, 05:53
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Eine Welle der Empörung brandete im März 2018 durch Lausanne. «Black lives matter» skandierten 500 meist dunkelhäutige Demonstrierende in den Gassen der Westschweizer Metropole. Nicht nur die Proteste weisen Parallelen zum Fall von George Floyd auf. Wie beim Gewaltexzess eines Polizisten in den USA starb auch in Lausanne ein dunkelhäutiger Mann bei einer brutalen Verhaftung.

2018 gingen in Lausanne hunderte Schwarze gegen Polizeigewalt auf die Strasse.
2018 gingen in Lausanne hunderte Schwarze gegen Polizeigewalt auf die Strasse. bild: screenshot rts

Der Fall

In der Nähe des Lausanner Bahnhofs führen Polizeibeamte am Abend des 28. Februar 2018 eine Aktion gegen Drogenhandel durch. Dabei gerät der 40-jährige Nigerianer Mike Ben Peter ins Visier der Fahnder. Dies, weil er ein verdächtiges Säckchen hinter einem Auto hervorgeholt hatte.

Ein Polizist will den 130 Kilo schweren Hünen alleine festnehmen. Peter wehrt sich nicht direkt. Er weigert sich jedoch, seine Hände auszustrecken, damit ihm der Polizist Handschellen anlegen kann. Dann artet die Verhaftung aus. Der Polizist tritt Peter mit dem Knie mehrmals in die Genitalien und sprüht ihm Pfefferspray ins Gesicht. Darauf ruft er Verstärkung.

Mike Ben Peter (40) starb bei einer Festnahme in Lausanne.
Mike Ben Peter (40) starb bei einer Festnahme in Lausanne.screenshot rts

Laut Untersuchungsbericht eilen fünf weitere Polizeibeamte herbei. Sie gehen unzimperlich vor: «Sechs Polizisten drückten Mike Ben Peter auf dem Bauch zu Boden und legten seine Hände hinter den Rücken. Sie hielten den Druck mit den Knien aufrecht, während sie seine Beine anhoben», erklärt Peters Anwalt Simon Ntah. Eine Zeugin hört, wie der Nigerianer vor Schmerz schreit. Laut dem Bericht wird Peter sechs Minuten lang in dieser Position am Boden arretiert. Gemäss Polizeihandbuch dürften es maximal zwei Minuten sein.

Plötzlich stellen die Polizisten fest, dass Peter nicht mehr atmet. Sie versuchen ihn wiederzubeleben und rufen die Ambulanz. Im Mund des zuvor mehrfach wegen Drogenhandels verhafteten Nigerianers finden sie vier Kügelchen Kokain. Mike Ben Peter stirbt tags darauf im Spital. Später stellt sich heraus: Die Polizei stellte im verdächtigen Säckchen – dem Auslöser des Personenkontrolle – ganze neun Gramm Cannabis sicher.

Die Doku in voller Länge:

Die Untersuchung

Die Autopsie ergab, dass Mike Ben Peter an einem Herzstillstand starb. Zudem wurden massive Blutergüsse im Genitalbereich festgestellt. «Es ist klar, dass das Herzversagen durch unverhältnismässige Rückhaltemassnahmen und starken Stress im Zusammenhang mit der Festnahme verursacht wurde», sagte Anwalt Ntah weiter.

Wurde der Herzstillstand aber tatsächlich durch den Polizeieinsatz verursacht? «Es gibt immer mehrere Faktoren. Aber selbst wenn es Veranlagungen gibt, muss sich der Richter fragen: Wäre der Mann ohne diese Intervention gestorben? Dies ist die relevante Frage», erklärt der Anwalt.

Die Lausanner Staatsanwaltschaft ermittelte gegen die sechs Polizisten wegen fahrlässiger Tötung. Im Herbst 2018 waren die Beamten immer noch im Dienst.

Wie Anwalt Ntah auf watson-Anfrage erklärt, läuft das Verfahren gegen die Polizisten über zwei Jahre nach dem Tod des Nigerianers immer noch. «Letzte Woche fand eine weiter Anhörung statt. Wir nähern uns dem Ende dieser Untersuchung und rechnen mit einem Prozess gegen die Angeklagten.»

Im Blut des Opfers wurde übrigens kein Kokain gefunden. Ursprünglich wurde spekuliert, dass eine Überdosis Koks den Herztod verursacht haben könnte.

Weitere Fälle

Claudio war auf einer Joggingrunde, als er fälschlicherweise von Polizisten attackiert wurde.
Claudio war auf einer Joggingrunde, als er fälschlicherweise von Polizisten attackiert wurde. bild: screenshot srf

Der Tod von Mike Ben Peter löste in der Westschweiz eine grosse Debatte über institutionellen Rassismus und Polizeigewalt aus. Denn es war kein Einzelfall:

  • 2016 wurde der in der Schweiz aufgewachsene Kongolose Hervé Mandundu bei einem Polizeieinsatz in Bex von einem Polizisten erschossen, weil Mandundu mit einem Messer herumfuchtelte.
  • Claudio, ein in Lausanne aufgewachsener Kapverdier, wurde auf einer Joggingrunde von Polizisten fälschlicherweise für einen flüchtigen Dealer gehalten. Die Beamten traten ihm unvermittelt in die Genitalen und verletzten ihn am Arm. Claudio ging nach dem Vorfall an die Öffentlichkeit und löste die Debatte über rassistische Polizeigewalt aus.
  • Im selben Jahr starb der 23-jährige Gambier Lamine Fatty in einer Gefängniszelle, nachdem er fälschlicherweise verhaftet worden war.

Das sagt der Experte

Jung + schwarz = verdächtig. Gegen dieses Vorurteil kämpft Mohamed Wa Baile von der Uni Bern. Er will dem «Racial Profiling» von Polizisten ein Ende setzen und kämpft dafür bis vor Bundesgericht. Zudem hat er ein Buch zu Racial Profiling mitverfasst.

Er zeigt sich bestürzt über die Ereignisse in den USA. «In der Schweiz habe ich nicht Angst, dass ich von Polizisten erschossen werde. Ich fürchte mich aber davor, eines Tages in einer Polizeizelle zu sterben», sagt er mit Blick auf die oben beschriebenen Ereignisse in der Westschweiz. In der Schweiz werde nicht offen über Rassismus gesprochen. Dabei sei Rassismus im Alltag omnipräsent. «Es ist kein Zufall, dass mir Ladendetektive in Geschäften folgen. Das heisst, ich bin nur wegen meiner Hautfarbe verdächtig. Das ist sehr unangenehm.»

Der Schweiz-Kenianer Baile wurde am 5. Februar 2015 am Zürcher Hauptbahnhof von zwei Stadtpolizisten kontrolliert. Wa Baile liess sich widerstandslos kontrollieren, weigerte sich aber, seinen Ausweis zu zeigen, weil er sich diskriminiert fühlte.

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366 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Corahund
03.06.2020 12:05registriert März 2014
Ihr seid nicht besser als der Trump. Nun heizt ihr hier unnötig die Stimmung an. Die Polizisten sind noch nicht verurteilt. Es wird sauber abgeklärt, was wirklich geschah. In dubio pro reo; das gilt für beide Seiten. Es ist abzuwarten, dass ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Dann könnt ihr das kommentieren. Lasst es also ruhen, es bringt nur Unruhe und unrechtmässige Anschuldigungen. Man sieht das an den Kommentaren.
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Laborant
03.06.2020 09:33registriert November 2019
Es ist ein Teufelskreis. Wer aus ärmlichen Verhältnissen kommt, gerät eher auf die schiefe Bahn. Teilt man mit Leuten, die auf der schiefen Bahn sind, ein deutliches Körpermerkmal (z.B. dunkle Hautfarbe) kommen Vorurteile entgegen. Gegen dauernde Vorurteile ankämpfend kommt schliesslich auch der Ehrliche nicht aus dem Sumpf heraus. Die Nachkommen kommen dann wieder aus ärmlichen Verhältnissen und so weiter...

Schubladendenken war in der Steinzeit wichtig (grosse Katze = Gefahr), heute jedoch häufig Grund irrationaler Entscheidungen. Der Kreis muss gebrochen werden. Nur wie?
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JJTheBigDog
03.06.2020 14:14registriert April 2017
Vor ein paar Jahren habe ich gut ein Jahr im Lausanner Stadtzentrum gewohnt und gearbeitet - auf ca. 10 min. Fussarbeitsweg im Schnitt sicher 3x von Kokain-Dealern angehauen und das waren ohne Ausnahme immer Schwarzafrikaner. Auch neben einem Gymnasium wurde gedealt. Ist natürlich scheisse für Unbescholtene unter Generalverdacht zu stehen, aber soll die Polizei als Ausgleich vermehrt weisse Rentnerinnen kontrollieren? Beim SRF lief mal ein Bericht:
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