Jean César Scarcella ist seit 2015 Abt der Territorialabtei Saint-Maurice. Er ist Priester, aber nie zum Bischof geweiht worden. Trotzdem ist er Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz, da er einer Territorialabtei vorsteht.
Normalerweise gehören Klöster zu einem Bistum und sind der Jurisdiktionsgewalt des Bischofs unterstellt. Im Fall der Territorialabteien hingegen ist es so, dass die Klöster selbst wie Bistümer funktionieren, sie also keinem Bischof unterstellt sind – der jeweilige Abt übernimmt dann die Jurisdiktionsgewalt bzw. Funktion eines Bischofs, obwohl er in der Regel nicht zum Bischof geweiht ist. Es gibt auf der Welt nur noch elf Territorialabteien, von denen zwei in der Schweiz liegen: die Abtei Saint-Maurice im Wallis und das Kloster Einsiedeln im Kanton Schwyz. Anders als beim Kloster Einsiedeln unterstehen der Jurisdiktion der Territorialabtei Saint-Maurice auch mehrere Pfarreien mit ein paar Tausend Gläubigen.
Abt Jean César Scarcella trat 1984 in die Abtei Saint-Maurice ein und wurde 1990 zum Priester geweiht. Danach war er unter anderem in der Pfarreiseelsorge tätig. So war er zunächst Vikar (unterstützender Priester) in Aigle VD und ab 1992 Pfarrer in Bex VD. 2009 wurde Scarcella Prior und Generalvikar der Territorialabtei und übernahm damit leitende Aufgaben. Gleichzeitig war er als Novizenmeister tätig, also verantwortlich für die Ausbildung der Novizen im Kloster.
2015 wurde er vom Generalkapitel – der Versammlung der Mitglieder der Klostergemeinschaft – zum neuen Abt gewählt und in diesem Amt von Papst Franziskus bestätigt. Ausserdem ist er seit einem Jahr der Abtprimas der Konföderation der Augustiner-Chorherren – damit ist er auf internationaler Ebene der oberste Repräsentant seiner Ordensgemeinschaft.
Nun wird ihm sexuelle Belästigung eines Teenagers vorgeworfen. Der Fall wird vom Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain auf vatikanische Initiative hin untersucht. Weiter ist bei der Kantonspolizei eine Anzeige eingegangen und gemäss Nicolas Betticher, dem kirchlichen Whistleblower, der den Fall in Rom gemeldet hat, könnte es weitere Opfer geben.
Benannt ist das Kloster nach dem heiligen Mauritius. Dieser sei der Legende nach der Anführer der Thebäischen Legion Ende des 3. Jahrhunderts gewesen. Diese habe ihre Wurzeln in Ägypten gehabt, wobei alle etwa 6600 Mitglieder Christen gewesen seien.
Als diese sich geweigert hätten, den römischen Göttern zu opfern, sei auf Befehl des Kaisers die gesamte Legion hingerichtet worden – neben der katholischen Kirche verehren darum auch die koptisch-orthodoxe und weitere orthodoxe Kirchen die Legionäre als Märtyrer und Heilige.
Dies habe sich in der Nähe des heutigen Klosters zugetragen, wo der heilige Mauritius auch bestattet sei. Über den Reliquien der Märtyrer wurde ein Heiligtum errichtet und der heilige Sigismund, Sohn des Burgundenkönigs Gundobad, gründete am 22. September 515 das Kloster – dieses feierte 2015 sein 1500-jähriges Bestehen. Es ist das älteste ohne Unterbruch bestehende Kloster des Abendlandes, das heisst der Westkirche.
Die ursprünglichen Mönche wurden im 9. Jahrhundert durch regulierte Chorherren ersetzt. Diese sind auch oft Priester und vor allem in der Seelsorge ausserhalb der Klostermauern tätig. Im 12. Jahrhundert übernahm die Abtei Saint-Maurice die Augustinusregel, weshalb man von Augustiner-Chorherren spricht. Bis heute ist es diese Ordensgemeinschaft, die in der Abtei angesiedelt ist. Das unterscheidet sie von der anderen Territorialabtei in der Schweiz, dem Kloster Einsiedeln, wo Mönche des Benediktinerordens leben.
Mit Abt Jean César Scarcella ist zum ersten Mal ein ranghoher Kleriker in der Schweiz direkt des sexuellen Missbrauchs verdächtigt. Er ist, was seine Autorität angeht, auf einer Stufe mit den Bischöfen. Gleichzeitig mit den Vorwürfen ihm gegenüber wurden auch Vorwürfe der Vertuschung von sexuellem Missbrauch gegenüber mehreren Schweizer Bischöfen publik. Zusammen mit der am Dienstag publizierten Vorstudie der Universität Zürich über systematischen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche der Schweiz sorgen diese für den wohl grössten Imageschaden in der Geschichte des Katholizismus in der Schweiz.
Byzantine Cloisonné Enamel Water Jug presented to Charlemagne (742-814 CE) by Harun al Rashid, 5th Abbasid Caliph.
— Archaeo - Histories (@archeohistories) June 11, 2023
It belongs to the Treasury of the Abbey of Saint Maurice, Valais, Switzerland.#archaeohistories pic.twitter.com/UpUeqjD4Tj
Die Territorialabtei Saint-Maurice und ihr 1500-jähriges Bestehen als ältestes Kloster des Abendlandes ist der Stolz der Walliser Katholikinnen und Katholiken mit einem der wertvollsten Kirchenschätze Europas – so ist etwa eine goldene Wasserkanne in ihrem Besitz, die ihr von Karl dem Grossen geschenkt wurde. Die glänzende Fassade dürfte durch die Anschuldigungen gegen den 95. Abt tiefe Risse bekommen haben.
Als Antwort auf eine Anfrage unsererseits, was für Auswirkungen die jüngsten Entwicklungen auf das Kloster und die dazugehörigen Pfarreien haben, schreibt der Prokurator der Abtei Saint-Maurice:
Ich hoffe die Fassade wird nicht nur rissig sondern bricht endlich in der ganzen Kirche ein und alle verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen.
Auch in Zukunft muss sichergestellt werden dass die Kirche nicht mehr unter bestimmten Schutz steht.
Die Fassade soll und muss transparent sein und bleiben………
Ich verstehs einfach nicht.
Das ist doch Polizeiarbeit. Warum will dieser Bischof das untersuchen. Er hat keine Ausbildung zum Kriminalpolizisten gemacht. Eltern sollten immer direkt zur Polizei gehen. Wenn man merkt/vermutet, dass das eigene Kind von einem Bischoff missbraucht wurde, geht man doch nicht zur Kirche.
In diesem Fall wurde richtigerweise die Polizei eingeschaltet. So muss das untersucht werden.