Endlich nicht mehr aufstehen, dachten sich die geneigten TV-Zuschauer, die es sich Ende Vierziger in ihren Sesseln gemütlich machten. 1948 kam es in den USA zur Erfindung der Fernbedienung. Im selben Jahr wurde Mahatma Gandhi erschossen und US-Präsident Harry S. Truman unterzeichnete den Marshallplan. Und ebenfalls 1948 wurden in der Schweiz die ersten AHV-Renten ausbezahlt. Das mit Abstand wichtigste Schweizer Sozialwerk war geboren.
Bis heute deckt die AHV im Alter das Existenzminimum und sorgt gleichzeitig für intensive Debatten, so geschehen am Freitag in der SRF-«Arena». In der ersten von zwei AHV-Sendungen – beide Vorlagen gelangen am 3. März zur Abstimmung – ging es um die Renteninitiative der Jungfreisinnigen. Folgende Gäste kreuzten in Leutschenbach die Klingen.
Die Befürworter:
Die Gegner:
Auffallend war, dass die geladenen Politiker trotz diametral unterschiedlichen Positionen gesittet miteinander diskutierten. Zwar wurden Gegenargumente regelmässig als völlig falsch betitelt und regelrecht zerpflückt, verbale Giftpfeile flogen aber nur vereinzelt durch das «Arena»-Studio. Mit einer Ausnahme.
Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher – er vertritt in seiner Funktion die Interessen der Tech-Industrie – redete sich wiederholt in Rage. Es wirkte, also müsste der FDP-Politiker die über 100 Milliarden, die der AHV gemäss Bund bis 2050 fehlen, aus eigener Tasche berappen. Speziell die Argumente seines Konterparts, Adrian Wüthrich vom Gewerkschaftsdachverband Travail Suisse, waren regelrechte Triggerpunkte.
Möglicherweise hatte dies nebst den inhaltlichen Dissonanzen auch mit der Art und Weise zu tun, wie der ehemalige SP-Nationalrat seine Argumente vorbrachte. Wüthrich wirkte die ganze Sendung hindurch entspannt und gut gelaunt, als sässe er im Garten einer Finca auf den Balearen.
Der AHV gehe es sehr gut, führte der Travail-Suisse-Präsident aus, man sehe, dass genug Geld da sei. Kritik äusserte der Gewerkschaftsvertreter jedoch in Richtung Parlament.
Wüthrich wies darauf hin, dass das Parlament sich gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,7 Prozent für eine nachhaltige Finanzierung der AHV ausgesprochen hatte. Auf Jahresbeginn 2024 betrug der Anstieg deswegen nur 0,4 Prozent.
Stefan Brupbacher – er sass gleich neben Wüthrich sozusagen auf der Rückbank im «Arena»-Studio – bemängelte die mangelnden AHV-Reserven des Bundes. Die AHV sei ein Tanker mit Jahresausgaben von rund 50 Milliarden Franken. Genau dieser Betrag müsste gemäss Gesetz als Rücklage vorhanden sein. Gehe es so weiter, nehme das AHV-Defizit immer mehr zu.
Ein weiterer Zankapfel der beiden Verbandsvertreter war die Tatsache, dass ein Ja zur Renteninitiative eine Änderung der Bundesverfassung zur Folge hätte. Gemäss Wüthrich liege der Fokus zu stark nur auf dem Rentenalter, alle andere Parameter würden weggelassen.
Brupbacher entgegnete: «Wenn etwas in der Verfassung steht, muss das Parlament danach ein Gesetz daraus machen.» Der schwierigste Punkt, der Automatismus des Rentenalters, müsse früh in der Verfassung festgeschrieben sein. Danach könne das Parlament weitere Elemente der AHV-Handhabung ausgestalten.
Die automatische Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung ist einer der Hauptgründe, weshalb die Gegner sich für eine Ablehnung der Initiative stark machen. Der Automatismus sei Humbug, so Flavia Wasserfallen vom Nein-Komitee, «da können wir ja gleich heimgehen». Man wolle politisch gestalten, wie es der Altersvorsorge und den Menschen gehe – Automatismen machten dies «völlig kaputt».
Man habe ausserdem schon immer gehört, dass es der AHV schlecht gehe und sie bald kein Geld mehr habe. Die herbeigeredeten Prognosen seien im Schnitt immer eine Milliarde zu pessimistisch gewesen.
Das Geniale der AHV sei die Umverteilung von den «sehr sehr wenigen Reichen zu allen anderen», deswegen wollten die Befürworter sie schwächen, so Wasserfallen. Das sei das Einzige, das durch den Automatismus passiere. Das Parlament sei in der Lage, die AHV zu sichern. «Ich kann diese Angstmacherei nicht mehr hören.»
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt, einer der Köpfe der Renteninitiative, verteidigte das Instrument des Automatismus am Beispiel der Schuldenbremse, die in der Verfassung verankert ist. «Fast alle in der Schweiz sind froh, haben wir einen Automatismus, damit der Bund nicht mehr Geld ausgibt, als er einnimmt.»
Die Initiative führe zudem – ein Vorwurf der Gegner – nicht zu einer Schwächung, sondern einer Stärkung der AHV. Sie erhalte mehr Einnahmen, weil Schweizerinnen und Schweizer länger einbezahlen, und es werde weniger Geld ausgegeben, weil man weniger lang Renten beziehe.
Letztendlich sei die Renteninitiative für die Schweizer Bevölkerung eine einmalige Chance, die AHV langfristig zu sichern, damit dies nicht immer über mehr Steuern und Abgaben geschehe. Die Finanzierung der AHV sei heute nicht sichergestellt – und das trotz der Tatsache, dass die Altersvorsorge regelmässig eine der grössten Sorgen der Bevölkerung darstelle.
Obwohl in der «Arena» zur Renteninitiative vor Milliardenlöchern in der AHV gewarnt wurde, vor sogenannten Rentensklaven, blieb die Stimmung bei den Gästen im Studio mehrheitlich locker. Nur Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher sah seine Nerven auch zu fortgeschrittener Stunde strapaziert.
Man höre immer wieder, Arbeit sei etwas Schlechtes. Zudem werde systematisch erzählt, Arbeitgeber würden sich nicht um ihre Mitarbeitenden kümmern. «Das geht mir sowas auf den Wecker, gerade wenn es aus dieser Ecke kommt», sagte Brupbacher und zeigte auf Travail-Suisse-Präsident Adrian Wüthrich.
Der Angegriffene blieb cool. Wüthrich erwähnte den zuvor als Beispiel thematisierten Baumeisterverband und bezweifelte, dass dieser bei einer Annahme der Renteninitiative weiterhin gewährleisten werde, dass sich Bauarbeiter mit 60 Jahren pensionieren lassen können.
Etwas kurios wurde es, als Wüthrich Studien zitierte, die aufzeigten, was mit Menschen passierte, die – er spielt auf die Renteninitiative an – gezwungen wurden, länger zu arbeiten. Stieg das Rentenalter, stieg auch die Sterblichkeit. «Überspitzt kann man sagen, diese Initiative ist für gewisse Leute tödlich.»
Über die Renteninitiative der Jungfreisinnigen entscheidet das Stimmvolk am 3. März.