Die Gegner der 13. AHV-Rente sind nervös. Zwar ist der Ja-Anteil für die Volksinitiative des Gewerkschaftsbunds in der ersten SRG-Umfrage geringer als in jener von Tamedia. Eine Annahme scheint aber weiterhin möglich, weshalb die Gegnerschaft darauf verweist, dass es einer Mehrzahl der Rentnerinnen und Rentner finanziell gut bis sehr gut gehe.
Sie bräuchten den «AHV-Bonus» nicht. Und für Bedürftige gebe es Ergänzungsleistungen (EL), folglich sei eine 13. AHV-Rente unnötig und vor allem teuer. Was ist von diesem Argument zu halten? Zum einen ist das Phänomen Altersarmut gar nicht so selten. «Jede sechste Person im Rentenalter lebt in Armut oder an der Armutsgrenze», schreibt Pro Senectute.
Die Stiftung, die sich für die Belange älterer Leute einsetzt, ist politisch neutral und macht keine Empfehlung zu den beiden Volksinitiativen, über die am 3. März abgestimmt wird. Der Verweis auf die Ergänzungsleistungen als Alternative zur 13. AHV-Rente sei jedoch «ein zweischneidiges Argument», sagt Kommunikationschef Peter Burri auf Anfrage von watson.
Altersarmut trifft AHV-Bezüger, die keine oder nur eine geringe Pensionskassenrente erhalten. Oder die in einem Alters- und Pflegeheim wohnen und die damit verbundenen, oft happigen Kosten nicht alleine «stemmen» können. «Rund 50 Prozent der EL gehen an Menschen in Heimen», erklärt Burri. 5,5 Milliarden Franken betragen die Kosten für die EL pro Jahr.
Dieser Betrag dürfte bis 2030 auf 6,5 Milliarden ansteigen. Derzeit beziehen etwas mehr als zwölf Prozent der älteren Bevölkerung Ergänzungsleistungen zur AHV. Ein Teil der Menschen, die von Altersarmut betroffen sind, verzichtet darauf, aus Unkenntnis oder Scham. EL sind jedoch keine «Almosen», sondern ein Bestandteil der staatlichen Sozialversicherungen.
Trotzdem gibt es zusätzliche Gründe, warum es sich die Gegner der 13. AHV-Rente etwas gar einfach machen, wenn sie auf die Ergänzungsleistungen verweisen. So ist es teilweise ortsabhängig, wie viel Geld man bekommt. Für die Vergabe der EL sind die Kantone und Gemeinden zuständig, und einige davon bezahlen etwas mehr, als der Bund vorschreibt.
Es besteht somit eine gewisse «Ungleichheit» im System. Hinzu kommt, dass die Kriterien für die Ausrichtung mit der seit Anfang 2021 geltenden letzten EL-Reform von Bundesrat und Parlament verschärft wurden. «Man hat die Hürden heraufgesetzt», bestätigt Peter Burri von Pro Senectute. Drei Punkte sorgen für besonders viel Gesprächsstoff und Kritik.
Mit der Reform haben nur noch Personen mit einem Vermögen von weniger als 100’000 Franken Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Für Ehepaare liegt die Schwelle bei 200’000 Franken. Selbstbewohnte Liegenschaften sind davon ausgenommen, eine Ferienwohnung hingegen nicht. Sie muss unter Umständen verkauft werden, wenn man EL beantragt.
Überprüft wird neu auch, wie viel Vermögen eine Person verbraucht hat, die Anspruch auf Ergänzungsleistungen erhebt, und zwar rückwirkend auf zehn Jahre. Rentner, die nach der Pensionierung das Leben mit teuren Reisen und Autos geniessen und dann merken, dass ihre Rente nicht ausreicht, müssen sich diese Ausgaben als Vermögen anrechnen lassen.
Erlaubt ist ein maximaler Vermögensverbrauch von zehn Prozent pro Jahr. Ausnahmen gibt es auch in diesem Fall, etwa für den Liegenschaftenunterhalt oder (Zahn-)Arztkosten. Ein freiwilliger Vermögensverzicht, etwa indem man den Kindern ein Haus unter dem offiziellen Schätzwert vorzeitig «vererbt», kann hingegen zu Kürzungen bei den EL führen.
Für rote Köpfe sorgt insbesondere die Regel, dass Erben nach dem Tod eines Bezügers die Ergänzungsleistungen neu zurückzahlen müssen. Ausgenommen ist ein Freibetrag von 40’000 Franken. Konkret bedeutet dies, dass Menschen, die EL erhalten, weiter in ihrem Haus wohnen dürfen, die Erben es nach ihrem Tod aber womöglich verkaufen müssen.
Urheberin der Idee war die frühere Aargauer Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel. «Es gibt kein Menschenrecht auf Erbschaft», sagte sie gegenüber «10vor10». Dennoch hat die Sozial- und Gesundheitskommission (SGK) des Nationalrats letztes Jahr eine Motion beschlossen, die den Bundesrat auffordert, die Rückerstattungspflicht rückgängig zu machen.
Auch SVP-Vertreter stimmten dafür, aus Sorge um die Bauernfamilien. Unter ihnen gibt es viele bedürftige Rentnerinnen und Rentner, weil sie oft keine Pensionskassenrente haben. Die Rückerstattungspflicht könne dazu führen, dass die Erben den Hof verkaufen oder einen Kredit aufnehmen müssen, so die Befürchtung. Der Bundesrat will die Motion annehmen.
Vertreter kantonaler Ausgleichskassen zeigten sich gegenüber dem «Tages-Anzeiger» erstaunt. Sie halten die Befürchtungen für überzogen. Allerdings gab es bei der EL-Reform eine dreijährige Übergangsfrist. Sie ist erst 2024 vollständig in Kraft getreten, doch bereits zeigen sich erste Konsequenzen für EL-Bezüger, wie der «Sonntagsblick» berichtete.
Mehrere Tausend Rentnerinnen und Rentner müssen Kürzungen oder gar den Verlust der Ergänzungsleistungen in Kauf nehmen, vor allem wegen der verschärften Vermögensregeln. Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) erwartet demnach, dass schweizweit rund 8000 EL-Berechtigte ihren Anspruch verlieren. Zwei Drittel davon sind Pensionierte.
Rund 70'000 Personen erhielten zudem seit Anfang Jahr weniger EL. «In den letzten Jahren hat die Politik auf nationaler und kantonaler Ebene die Hürden für EL- und Sozialhilfebezug in vielen Bereichen erhöht», sagte SKOS-Geschäftsführer Markus Kaufmann dem «Sonntagsblick». Viele Menschen schämten sich deshalb, die Hilfen zu beanspruchen.
In der Politik gibt es folglich Bestrebungen, die tiefsten AHV-Renten anzuheben. Der Nationalrat hat einen entsprechenden Vorstoss der Berner Grünliberalen Melanie Mettler in der Wintersession ohne Gegenstimme überwiesen. Im Ständerat ist eine gleichlautende Motion von Beat Rieder (Mitte) hängig. Die EL sollen davon ausdrücklich nicht tangiert sein.
Peter Burri von Pro Senectute bezeichnet die Idee als «spannend». Er gibt jedoch zu bedenken, dass damit der heutige Umlage-Mechanismus bei der AHV «strapaziert» werde. Deshalb seien Ergänzungsleistungen «vielleicht wirkungsvoller und zielgerichteter». Allerdings müsse man sie ausbauen und etwa auch die Betreuung zu Hause stärker fördern.
Ein weiteres, von Pro Senectute schon im Dezember beklagtes Problem sind die Mietzinsmaxima bei der Berechnung der EL-Ansprüche. Sie wurden zwar per 2023 angepasst, doch im letzten Jahr wurde der Referenzzinssatz zweimal erhöht. Das bringe «Menschen am Existenzminimum in Not», warnte Pro Senectute in einer Mitteilung.
Ergänzungsleistungen sind im Prinzip ein sinnvolles Mittel, um Armut im Alter zu lindern. Als Argument gegen die 13. AHV-Rente aber taugen sie nur mit Abstrichen. Denn man muss gerade mit der letzten Reform einiges auf sich nehmen, um Ergänzungsleistungen zu beanspruchen. Während ein «Zustupf» bei der AHV automatisch aufs Konto überwiesen wird.