Die Arena war schon ziemlich weit fortgeschritten, da verriet Alex Kuprecht, wie hoch seine Rente ausfallen wird. Der SVP-Ständerat wird monatlich 7000 Franken erhalten. «Damit bin ich zufrieden», meinte der Schwyzer, der im Oktober pensioniert wird.
Viele Rentnerinnen und Rentner können dies jedoch nicht behaupten. Rund 300'000 Personen leiden in der Schweiz unter Altersarmut, wie eine Studie von Pro Senectute zeigt. Frauen sind demnach fast doppelt so oft betroffen wie Männer.
Doch durch die BVG-Reform soll dieses Problem verkleinert werden, behaupteten die bürgerlichen Diskussionsteilnehmer in der «Arena». «Mit diesem Modell bringen wir 200'000 Personen neu in die 2. Säule rein», sagte Pirmin Bischof, Mitte-Ständerat aus Solothurn. Vor allem Frauen und Geringverdienende würden von der geplanten BVG-Reform profitieren.
Aktuell muss jemand einen Jahreslohn von mindestens 22'050 Franken erzielen, damit er in der beruflichen Vorsorge versichert ist. Der Ständerat will diese Schwelle auf 17'640 senken, weshalb viele Teilzeitarbeitende neu versichert würden.
Das ist jedoch nur eine von mehreren Stellschrauben bei der geplanten BVG-Reform. Unter anderem soll auch der Umwandlungssatz sinken, was für einen Teil der Rentner weniger Geld im Portemonnaie bedeuten würde. Als Gegenleistung bekämen diese wiederum Rentenzuschläge. Dass aber nicht alle einen Zuschlag erhalten würden, stösst der SP sauer auf. Sie hat ein Referendum angekündigt.
«Alle, die über 50 Jahre alt sind und ein Einkommen von mehr als 4300 Franken haben, werden einen Rentenverlust erleiden», sagte SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen. «Das sind genau jene Personen, die jetzt jahrelang zuschauen mussten, wie ihre Rente schmilzt. Diese Leute leiden jetzt nochmals. Das ist eine Rechnung, die man so nicht akzeptieren kann.»
Zudem gebe es aktuell eine Teuerung von drei Prozent und die Krankenkassenprämien würden immer weiter ansteigen, so Wasserfallen. Und genau jetzt wolle man zusätzlich die Rente kürzen. «Das ist für viele Leute ganz schwierig, das ist eine falsche Reform.»
Kuprecht von der SVP sieht dies anders. Man habe sich im Ständerat 18 Personen-Beispiele angeschaut. Nicht ein einziges Mal habe die BVG-Reform zu einem Minus geführt. Im Gegenteil, einige Leute hätten aufgrund des Zuschlags sogar profitiert.
Der Schwyzer erklärte auch, warum dies so sei: «Bei jenen Leuten, die in einer umhüllenden Kasse sind, die ein Überobligatorium haben, da entscheidet gar nicht das Gesetz.» Da entscheide das Reglement der Vorsorgeeinrichtung, wie gross der Umwandlungssatz und die Rente sei.
Gegenwind erhielt Wasserfallen auch von Regine Sauter. «Die SP stellt unser Drei-Säulen-System in Frage», behauptete die FDP-Nationalrätin. «Am liebsten hätte sie eine grosse AHV und auf keinen Fall eine zweite Säule.»
Dabei sei das Konzept der drei Säulen stabil, meinte Sauter und zeigte auf ein Duplo-Häuschen (mit drei Säulen), das Moderator Sandro Brotz vor sich aufgestellt hatte. «Jetzt müssen wir nicht darüber diskutieren, ob wir die AHV ausbauen sollen, das steht jetzt nicht zur Diskussion.»
Wasserfallen stellte mit einem Lächeln fest, dass das Häuschen von Brotz nicht einstürzen würde, wenn man die zweite Säule entfernen würde.
In Sachen Statik hatte die SP-Frau recht. Das war für alle Zuschauerinnen und Zuschauer schnell zu erkennen. Ging es jedoch um die Zahlen und Statistiken, die sich die Politikerinnen und Politiker an diesem Abend um die Ohren warfen, wurde es oft kompliziert.
Umso erfrischender war der Reality-Check von Rentner Marcel Bislin. Er referierte nicht über Umwandlungssätze und Überobligatorien, sondern erzählte aus seinem Leben. Er und seine Frau erhalten zusammen monatlich 5'800 Franken Rente. Das sei momentan genug. Dennoch macht sich der Churer Sorgen.
«Was passiert, wenn meine Frau oder ich einen Unfall haben oder in ein Pflegheim müssen?», fragte Bislin und gab gleich selbst die Antwort. «Dann geht all unser Erspartes den Bach runter. Und dafür haben wir 45 Jahre lang gearbeitet.»
Bischof meinte, er könne die Sorgen des Bündners gut verstehen. Für solche Fälle gebe es jedoch die Ergänzungsleistungen. «Das ist eine nicht so schlechte Lösung», sagte der Mitte-Ständerat.
Bislin wollte die Sache damit jedoch nicht abhaken. «Ich will Herrn Bischoff zu bedenken geben, dass immer jemand auf die Gemeinde gehen und die Ergänzungsleistungen beantragen muss.» Die Ergänzungsleistungen bekomme man nicht automatisch, man müsse vor den Behörden eine «Fürbitte» vortragen. Und das, obschon man ein Leben lang gearbeitet habe.
Man müsse sich nicht dafür schämen, Ergänzungsleistungen in Anspruch zu nehmen, entgegnete darauf Bischoff, nur um wenig später einzugestehen, dass der Schweizer sich wahrscheinlich eben doch schäme. «Der Schweizer ist so, das ist an und für sich eine gute Eigenschaft des Schweizers. Man probiert die eigenen Probleme möglichst lange selber zu lösen und erst wenn es wirklich nicht mehr geht, geht man einen Schritt weiter.»
Dies führt wahrscheinlich auch dazu, dass laut der eingangs erwähnten Pro-Senectute-Studie nur 7,3 Prozent der älteren Menschen Ergänzungsleistungen beziehen, obschon 20 Prozent von Armut betroffen sind. Für viele Armutsbetroffene ist das Drei-Säulen-System eben doch nicht so stabil, wie es einige gerne darstellen.
Ob sich die deren Lage mit der BVG-Reform verbessert, darüber scheiden sich derzeit die Geister. Bislin jedenfalls bleibt skeptisch. «Es wird viel geredet, aber gehandelt wird zu wenig», meint der Bündner und wünscht sich, dass auch diejenigen Personen mit wenig Rente, mal Ferien machen können.
https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/das-protokoll-die-unbekannte-geschichte-der-2--saeule?urn=urn:srf:video:e66ef78a-52e6-438b-a42b-7d809262a00d
Es dauert zwar 50 Minuten. Aber es lohnt sich.
Da sieht man, wie wir bei der Einführung des BVG alle beschissen wurden und als Folge davon noch immer werden.