In einem Jahr wählt die Schweiz ein neues Parlament. Seit den letzten Wahlen im Jahr 2019 hat eine Krise die nächste gejagt: Coronakrise, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation.
Die polarisierenden Krisen dürfen sich auf die kommenden Wahlen im Herbst 2023 auswirken. Noch vor drei Jahren hatte die SVP massiv an Stimmen verloren, auch die SP und die FDP mussten eine Niederlage einstecken. Die Grüne und die GLP zählten hingegen zu den grossen Gewinnern.
Doch nun zeigen Wahlumfragen von Sotomo ein anderes Bild: Die SVP kann ihren Wähleranteil steigern. Einen weiteren Verlust erleidet die SP, die sich mit der FDP ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefert. Die höchste Niederlage müssen die Grünen einstecken.
Im Hinblick auf die Wahlen 2023 sowie auf die Ersatzwahl für Ueli Maurer lädt die «Arena» die Parteispitzen ein, um ihnen auf den Zahn zu fühlen. Zu den Gästen zählen:
Noch bevor die Hauptthemen zum Diskurs stehen, bekommen sich zu Beginn zwei Spitzenpolitiker in die Haare. Moderator Sandro Brotz möchte von den Parteispitzen wissen, ob Deutschland Munition aus der Schweiz an die Ukraine weiter geben dürfe. Der Nachbarstaat hat die Schweiz zum zweiten Mal um eine Munitionsbewilligung für den deutschen Gepard-Panzer gebeten. Beim ersten Versuch lehnte die Schweiz ab.
Gerhard Pfister, Präsident Die Mitte, antwortet als Erster: «Wer Waffen direkt aus Saudi-Arabien liefern kann, damit diese im Jemen eingesetzt werden können, kann auch Deutschland mit Munition unterstützen.»
FDP-Politiker und Rechtsanwalt Thierry Burkart hingegen bezieht sich auf geltendes Recht, obwohl er selbst mit der Gesetzgebung nicht einverstanden sei: «Die Schweiz muss sich an das Neutralitätsrecht halten. Dieses untersagt die Munitionslieferung nach Deutschland.»
Doch Pfister hat eine andere Auffassung: «Die Bundesverfassung besagt, dass der Bundesrat zur Wahrung der Landesinteressen eigene Massnahmen ergreifen kann. Der Bundesrat will es offensichtlich einfach nicht», kritisiert er. Burkard kontert: «Kollege Pfister, Sie wissen ganz genau, wenn das Parlament etwas anderes bestimmt, kann der Bundesrat nicht einfach das Notrecht anwenden.»
Cédric Wermuth (SP) relativiert die Debatte: «Es geht hier um 15-Minuten-Einsatzmunition. Wenn, dann sollte die Debatte grundsätzlich geführt werden.»
Doch darum geht es in dieser «Arena» nicht.
Sandro Brotz will den Politikern nun «so richtig» auf den Zahn fühlen. Er stellt jedem Politiker je zwei Fragen, die in nur einer Minute beantwortet werden müssen. So fragt er etwa Cédric Wermuth, warum die Sozialdemokraten ihren Wählern ein Leben in sozialer Sicherheit versprächen, aber in Kernthemen wie bei der Krankenkassenprämie versagen würden. Wermuth wehrt sich: «Wir haben hart an einem Vorschlag zur Erleichterung der Krankenkassenprämie gearbeitet, doch dieser ist blockiert durch den Ständerat.»
Nach der Bestandsaufnahme wendet sich Sandro Brotz dem Publikum zu. Von einem Jugendlichen will er wissen, ob ihn bislang jemand besonders überzeugen konnte.
Eine ehrliche und spontane Antwort macht einen jungen Erwachsenen zum Star des Abends: «Diese Fragerunde hat gezeigt, dass alle Herzblutpolitiker sind. Gleichzeitig verfolgen alle ein Parteiprogramm, das viel umfänglicher ist als diese zwei Fragen, die sie in einer Minute beantworten mussten. Ich finde es schwierig, mich voll und ganz hinter ein Parteiprogramm zu stellen, darum habe ich Abstimmungen lieber als Wahlen.»
Die Grünen verlieren gemäss Wahlbarometer an Wählerinnen und Wähler – trotz Klimakrise, die laut der Umfrage zu den grössten politischen Herausforderungen gehören. «Was können die Grünen machen, damit Ihnen bis zum Herbst nicht den ‹Pfuus› ausgeht», will Sandro Brotz von Balthasar Glättli wissen.
Putins Krieg wird erneut zum Thema: «Die Power ist da. Die Inflation, unter der wir alle leiden, hat genau einen Grund: unsere Abhängigkeit von fossiler Energie. So auch unsere Strompreise, denn auch diese steigen, weil Putin uns den Gashahn zudreht. Wenn wir uns also unabhängiger von fossiler Energie machen, dann machen wir etwas für den Klimaschutz, für unser Portemonnaie und für unsere Unabhängigkeit», so Glättli.
Alle sind sich einig: In Zukunft muss mehr in alternative Energiequellen investiert werden, nur einer ist nicht zufrieden mit dem «neuen Stromfressergesetz» – Marcel Dettling, der einzige Nicht-Parteipräsident in der Runde. Er sagt: «Die neue Energiestrategie ist möglicherweise schuld an einem Blackout in diesem Winter».
Weiter kritisiert der SVPler: «Indem wir funktionierende Heizungen in einer Strommangellage mit Wärmepumpen ersetzen, setzen wir falsche Anreize. Das führt ins Absurdum.» Für ihn ist klar: «Wenn das AKW Mühleberg noch laufen würde, hätten wir nun kein Problem.»
Wermut und Glättli schütteln gleichzeitig den Kopf. Grossen ergreift das Wort: «Aber Marcel Dettling, in drei Minuten mehr ‹Seich› zu erzählen als Sie, das ist wirklich rekordverdächtig.»
Selbst Dettling muss ein bisschen schmunzeln.
Grossen spricht weiter: «Fakt ist, diese Energiestrategie ist 2018 in Kraft getreten, sie dauert bis 2050. Es ist nicht möglich, alle Ansätze in nur vier Jahren umzusetzen.» Glättli äussert sich etwas verärgert zu Wort: «Ich verstehe nicht, warum man Geld im Ausland ausgibt, statt es hier beispielsweise in Solarenergie zu investieren. Die Sonne scheint gratis, das Öl hingegen muss man immer wieder kaufen.»
Still wird es, als Sandro Brotz Fragen zur Ersatzwahl für Ueli Mauer stellt. Keine der Politiker möchte verraten, wen er bevorzugt. Doch Brotz bleibt hartnäckig und versucht die Politiker aus der Reserve zu locken: Soll es eine Frau werden? Wer finde wen am ehesten wählbar?
Es bricht ein Gelächter aus.
Cédric Wermuth übernimmt kurz das Zepter und fragt Sandro Brotz, wen denn er am besten fände. Doch auch dieser will sich nicht äussern. «Wissen Sie, was das schönste ist, an meinem Job? Ich muss hier keine Stellung beziehen», antwortete der Moderator.
Dieser Satz findet Anklang im Publikum. Auf die Frage, ob eine Jugendliche nun mit einer Partei sympathisiere, kommt ein schlagfertiges: «Ja, aber ich muss als Zuschauerin auch nichts sagen», zurück.
Und erneut bricht ein Gelächter aus.
Damit sage ich nicht, dass es falsch ist, diese Themen zu behandeln. Es ist ja auch gut, dass damit Erfolge erzielt wurden. Aber man hat das Mass verloren und verliert damit die Wählerschaft.
Dass die Grünen auf diesen Zug aufgesprungen sind und deshalb trotz Klimakrise die Zeche bezahlen müssen ist sowohl ein Fiasko wie auch ein Drama.