Besijan «Besko» Kacorraj sitzt im Knast. Schon wieder. Das Besucherzimmer der Vollzugsanstalt Cazis Tignez ist weiss gestrichen, es wirkt steril, frei von Emotionen. Als wolle es Raum bieten für die dunklen Geschichten der Menschen, die darin Platz nehmen. Geschichten von Menschen wie Besko. Sein T-Shirt ist hochgekrempelt, seine tätowierten Arme zeichnen das Bild eines harten Mannes. Der müde Blick das Bild eines gebrochenen Mannes. Seine Worte; die perfekte Symbiose beider Männer.
Der Zürcher Rapper beschäftigt die Schweizer Medienwelt seit zehn Jahren. Vom schwierigen Jugendlichen, zum Vorzeigehäftling, der trotz grosser Solidarität in den Kosovo ausgeschafft wurde, nur um im Jahr 2019 in die Schweiz zurückzukehren, wo er abermals einen Überfall begeht. Und sich damit scheinbar alle Solidarität verspielt.
Seit dem Überfall sitzt Besko wieder im Gefängnis im Bündnerland. Seine letzte Hoffnung auf Rehabilitation: Ciril Tscheligi. Der Filmemacher lernte Besko vor über 20 Jahren kennen, als er für das SRF einen Dokumentarfilm über eine Realklasse im Zürcher Kreis 4 drehte. Seitdem begleitet Tscheligi Besko mit der Kamera.
Aus den Aufnahmen entstand ein SRF-Dok, die am Donnerstag ausgestrahlt wurde. Der Film nimmt den Zuschauer auf eine Achterbahnfahrt mit, Besko sitzt im vordersten Wagen, Tscheligi gleich nebenan, die Kamera stets auf den Rapper gerichtet. Er gibt Einblicke in das Leben eines Unverbesserlichen, der immerzu an seinen eigenen Dämonen scheitert. Und er wirft die Frage auf, wann ein Schweizer ein Schweizer ist.
Herr Tscheligi, wie viele Chancen hat ein Mensch verdient?
Ciril Tscheligi: Das kommt immer darauf an, was er gemacht hat. Man sagt ja, dass jeder eine zweite Chance verdient, eine dritte aber nicht. Das halte ich für falsch.
Also denken Sie, dass Besko auch eine dritte Chance verdient hat.
Bei Besko geht es ja nicht um eine dritte Chance. Es geht darum, dass er ausgeschafft wurde. Besko ist Schweizer, er fühlt sich auch als Schweizer. Er ist hier aufgewachsen. Er hatte nie die Chance, nach seiner Haftstrafe ein legales Leben in der Schweiz zu führen. Er musste gegen seine Ausschaffung kämpfen und war unter enormen Druck. Letztlich wurde er trotzdem ausgeschafft. Er hat eine weitere Chance verdient. In der Schweiz. Egal ob in Freiheit, oder im Gefängnis. Aber bestimmt nicht in einem anderen Land, mit dem er nichts am Hut hat. Das ist völliger Schwachsinn.
Das Leben Beskos ähnelt einem 3D-Bild: Verändert der Betrachter seinen Blickwinkel, so verändert sich auch das Bild. Oder in diesem Falle Besko.
Man kann im 36-Jährigen ein Opfer seiner Umstände sehen. Aufgewachsen als kosovarischer Secondo im Zürcher Kreis 4. Die Mutter trinkt, einen Vater gibt es nicht. Dafür einen kriminellen Stiefvater, der ihn schlägt. Die logische Konsequenz: Besko gerät selbst auf die schiefe Bahn und landet schliesslich im Knast. Für fünf Jahre.
Hätte er die Schweizer Staatsbürgerschaft, wäre seine Geschichte hier wohl fertig erzählt. Doch das hat er nicht. Also wird er in ein Land ausgeschafft, das er nur aus Besuchen in den Sommerferien kennt. Obwohl er einen Wandel hinter sich hat, als Integrationsfigur gilt und sich sogar SVP-Nationalrat Lukas Reimann für seinen Verbleib starkmacht. Dass Besko unter diesen Umständen wieder kriminell wird und bei einem genehmigten Besuch in der Schweiz 2019 eine Poststelle in Dübendorf überfällt – ein Paradebeispiel des Determinismus.
Oder man kann in Besko einen unverbesserlichen Delinquenten sehen. Jemand, der sich nicht um die hiesigen Gesetze schert. Jemand, der unzähligen Leuten Leid zugefügt hat und nichts daraus lernt. Jemand, der es nicht verdient hat, Teil dieser Gesellschaft zu sein.
Der Schweizer Justiz sind solche Gedankenspiele egal. Ciril Tscheligi nicht. Seine Bilder zeigen nicht Besko, den Gangster, sondern Besijan, den Mann mit schwerer Vergangenheit und noch schwerwiegenderen Fehlern, die er wiedergutzumachen versucht.
Bis zu seinem siebten Lebensjahr wuchs er bei einer Pflegefamilie auf dem Land auf. Er war ein «Oberschweizer». Als er zurück zu seiner Mutter geschickt wurde, nannte man ihn in der Stadt Zürich den «Schwipi».
Doch das ändert sich schnell. Besko macht erste Erfahrungen mit der Welt der Delinquenz. Sein Stiefvater war «professioneller Dieb». Waffen, Bargeld, Drogen, «wir hatten alles zu Hause, das zu einer kriminellen Welt dazugehört».
Tscheligi trifft Besko zum ersten Mal, als dieser 16 war. Ein verschmitzt lachender Halbstarker, der Sachen in die Kamera sagte wie:
Schnitt. Fritschtiwiese, nach fünf Jahren Knast. «Was ist Integration? Ab wann ist man Schweizer? Machen Schweizer keine Fehler mehr?» Besko erzählt von Spielschulden und Kredithaien. «Es musste dazu kommen. Es war dumm, aber ich bin froh, damals verhaften worden zu sein».
Ausschnitte aus dem Kampf eines Mannes, dem die Ausschaffung droht. Es war die Zeit seiner Läuterung. Besko beginnt zu rappen. Er schreibt auf, was er in seiner Jugend erlebt hat, schildert, wie er mit seiner Vergangenheit hadert, dass er Menschen Leid angetan hat und ihm das jetzt leid tut. Er rappt:
Er wird in Fernsehshows eingeladen, Journalisten bitten ihn zum Interview. Er gibt Workshops an Schulen, macht seiner Freundin einen Heiratsantrag, sie wird schwanger.
Schnitt. Standesamt Zürich, der Film auch eine Stadtführung durch Beskos Heimat: Fritschiwiese, Industriequartier, Lochergut, Altstadt.
Die Standesbeamtin – Frau Schweizer – führt Besko in den Bund der Ehe. Seine Frau braucht keinen internationalen Eheschein, sie hat den roten Pass. «Ich bin auch 100 Prozent Schweizer», sagt Besko, «ich habe nur nie den Pass bekommen».
Herr Tscheligi, was ist Besko für ein Mensch?
Er hat eine sehr herzliche und freundliche Seite. Er ist äusserst clever. Aber er ist auch ein Gefangener seiner Selbst. Er ist stets im Überlebensmodus. Das wurde ihm von Kindesbeinen an so eingetrichtert, als Junge in einer kriminellen Familie.
Glauben Sie, Beskos Leben wäre in anderen Bahnen verlaufen, wenn er einen Schweizer Pass gehabt hätte?
Klar, er wäre nicht ausgeschafft worden. Ob er vorher nicht trotzdem auf die schiefe Bahn geraten wäre, da bin ich mir nicht sicher. Da kann man nur spekulieren. Aber er hätte die Chance gehabt, den Gefängnisaufenthalt, die Therapie, alles, was er durch die Massnahmen gelernt hat, auch wirklich anzuwenden.
Also ist sein grösstes Verschulden jenes, keinen Schweizer Pass zu besitzen.
Nein. Besko ist kein Opfer. Er hat schlimme Taten begangen, für die er verantwortlich ist. Er sagt ja auch selbst, dass die Schuld für seine Taten alleine bei ihm liegen. Aber wieso verbannt man jemanden aus seinem Heimatland, nur weil er keinen Pass besitzt? Er ist als Baby in die Schweiz gekommen, er ist hier aufgewachsen, er hat seine Straftaten in der Schweiz begangen. Also soll die Schweiz auch die Verantwortung für ihn übernehmen und ihn nicht in ein Land ausschaffen, mit dem er praktisch nichts zu tun hat.
Alle Solidarität bringt nichts. Besko wird 2016 ausgeschafft. Tscheligi besucht ihn elf Monaten später im Kosovo. Der Rapper fängt sich langsam, macht Musik, arbeitet. Er steht auf eigenen Füssen, hat ein eigenes Callcenter, gibt sich als strenger und verantwortungsvoller Chef. Inbound-Area, Administration, ein Konferenzraum mit Bonsaibäumchen auf dem Tisch. Besko, der Business-Man mit südosteuropäischem Duktus. Eine neue Persönlichkeit, erschaffen in elf Monaten.
Vier Monate später. Besko kurvt durch Pristina, träumt vom ersten Besuch in der Schweiz und dem Wiedersehen mit seinem Sohn. Aus den Boxen singt Adrian Stern:
Besko singt lauthals mit. «Er will nach Amerika, ich wieder zurück in die Schweiz. Lieber bin ich eingeschlossen in der Schweiz, aber fühle mich zu Hause, anstatt hier, wo ich jeden Tag kämpfen muss.»
Der einzige, der neben Besko zu Wort kommt, ist Tscheligi. Aus dem Off spricht er zu seinem Freund, hält ihm seine eigene Geschichte vor. «Du warst gehetzt, bist meinen Fragen ausgewichen. Wie jemand, der auf der Flucht ist.» Der Rapper bricht den Kontakt nach dem ersten Besuch in der Schweiz ab, erst 18 Monate später erfährt Tscheligi, dass Besko ein zweites Mal nach Hause gereist ist. Und dabei eine Poststelle in Dübendorf überfallen hat.
«Du bist rückfällig geworden. Wieder hat dich die Kriminalität eingeholt. Ich frage mich: Warum? Warum hast du das getan? Du hättest doch nur noch zwei Jahre im Kosovo durchhalten müssen.»
Schnitt. Besko zurück in der Schweiz, hinter Plexiglasscheiben. Er erklärt sich. Ein kosovarischer Clan habe Schutzgeld verlangt, Besko jedoch nicht bezahlen wollen. Es kam zu Schlägereien, dann zu einer Schiesserei. Letztlich mussten die Dorfältesten vermitteln. Ihr Verdikt: Besko muss dem Clan Geld bezahlen und den Kosovo für zwei Jahre verlassen. Er wurde wieder ausgeschafft. Und sah rot.
Glauben Sie, die Geschichte mit den Clans, dem Schutzgeld und der Verbannung durch die Dorfältesten ist wahr?
Es ist nicht ungefährlich, darüber zu sprechen. Es geht um zwei Clans, und die gibt es. Die Rundschau hat ja bereits dazu recherchiert und eine sehr ähnliche Geschichte wie Besko erzählt. Viel davon ist also wahr. Auch ich habe recherchiert, aber man kommt schnell an einen Punkt, an dem es unangenehm wird.
Entschuldigt das seinen erneuten Überfall im Jahr 2019?
Nein, aber es bietet eine Erklärung. Es spielen sicher viele Faktoren hier mit. Er hat keinen Ausweg mehr gesehen und seine Sicherungen sind durchgebrannt. Er wurde ja doppelt ausgeschafft, auch aus dem Kosovo wurde er verbannt. Ich glaube, er wollte tatsächlich einfach nach Hause. Ich weiss, es klingt wie in einem Mafiafilm und es ist schwer zu überprüfen – aber grosse Teile der Story sind wahr.
Der Film endet dort, wo auch Besko immer wieder endet. Im Gefängnis. «Die Schweiz trägt keine Schuld daran, dass ich wieder hier drin sitze.» Er sei ganz alleine verantwortlich für seine Taten. Seine Stimme klingt verbittert. «Aber man macht eine Therapie, eine Ausbildung, man kämpft so fest und zeigt, dass sich Menschen ändern können. Und dann kriegt man einen Schuh in den Arsch. Geh, haben sie gesagt. Aber wohin?»
Herr Tscheligi, was wollen Sie mit dem Film bewirken?
Ich hoffe, dass der Film bei gewissen Menschen etwas in Gang setzt. Eine Art innere Häutung. Viele werden sich den Film mit ganz vielen Vorurteilen ansehen. Ich würde mir wünschen, dass einige Schichten Vorurteile danach abfallen. Dass man hinter dem Objekt Besko, Gangsterrapper, Krimineller, einen Menschen sieht, auch wenn er viel Scheisse gebaut hat. Und vielleicht auch, dass man Menschen, die nicht klassisch schweizerisch aussehen, anders gegenübertreten kann.
Aber Sie prangern auch die Ausschaffungspraxis in der Schweiz an.
Ja. Man sollte darüber nachdenken, ob diese sinnvoll ist. Dabei geht es nicht nur um Besko, sondern um ganz viele Menschen, die zum Teil wegen kleineren Delikten ausgeschafft werden, obwohl sie ihr ganzes Leben in der Schweiz verbracht haben.
Es gibt sehr viele Leute auf dieser Welt, denen das Schicksal übel mitgespielt hat. Trotzdem begehen sie keine Gewaltverbrechen. Es gibt keine Entschuldigung dafür, seinen Mitmenschen gegenüber gewalttätig zu werden.
In solchen Fällen bin ich immer ratlos - warum begeht man Straftaten, wenn man nur davon träumt in der Schweiz mit der Familie zu leben? Offenbar war die Liebe zu seinem Sohn nicht gross genug.
Und nein - trinkende Mütter und schlagende Stiefväter sind keine Entschuldigung, um selber kriminell zu werden. Es ist eine Erklärung, ja - aber schlussendlich weiss er selber, was Recht und Unrecht ist.