Zu viele Pestizide, zu viel Gülle: 80 Prozent unseres Trinkwassers ist belastet. Bei der Abstimmung vom 13. Juni 2021 sieht es nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus. Laut der ersten Umfrage des Forschungsinstituts gfs.bern vom Freitag liegen die Befürworter der Trinkwasser-Initiative mit 54 Prozent vorne. Wer ist schon gegen sauberes Wasser? Die Frage ist einfach, der Sachverhalt äusserst komplex.
Dementsprechend liefern sich die Protagonisten in der Arena einen harten Schlagabtausch. Franziska Herren, Initiantin der Trinkwasser-Initiative: «Derzeit zerstören wir mit Steuergeldern unserer Biodiversität. Im Wasserschloss Europas müssen wegen Pestiziden Wasserquellen geschlossen werden. Da läuft etwas gewaltig schief», sagt der «Bauernschreck der Nation», wie sie SRF-Moderator Sandro Brotz betitelt.
Das Volksbegehren will das Wasser schützen, würde den Bauernstand aber so richtig durchschütteln. Denn die Vorlage «für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» fordert nicht weniger als ein massives Umdenken in der Landwirtschaft. Und setzt bei den Direktzahlungen an, die pro Jahr 2,8 Milliarden Franken betragen.
Belastetes Wasser hin oder her, kann ein Anliegen ökologisch sein, das mit «Bio Suisse» selbst die führende Bio-Organisation der Schweiz deutlich ablehnt? «Die Trinkwasser-Initiative ist ein Eigentor für die Umwelt. Damit zerstören sie die Struktur unserer Landwirtschaft. Die Folge sind weniger Lebensmittel, wir werden noch abhängiger vom Ausland.» Auch der Einkaufstourismus werde gefördert, sagt Bundespräsident und Ex-Weinbauer Guy Parmelin (SVP).
Trinkwasser-Experte Roman Wiget attackiert – mit einem schelmischen Lächeln auf dem Gesicht – den Bundesrat. «Wissen Sie, wer die grössten Einkaufstouristen sind? Die Bauern!», sagt er Richtung Parmelin. Viele Landwirte hätten aber inzwischen verstanden, dass es grossen Handlungsbedarf beim Gewässerschutz gebe. «Denn unserem Trinkwasser geht es wirklich schlecht», so der Berner.
Herren fügt an: Sichere Ernährung basiere auf hoher Biodiversität. Zudem werde wegen Foodwaste beispielsweise 30 Prozent des Rindfleisches weggeworfen. «Wenn wir die Verschwendung reduzieren, müssen wir wenig oder gar nicht importieren», so die Parteilose.
Biobäuerinnen fürchten sich vor einem Preiszerfall, wenn mehr Landwirte auf Bio umsteigen. Markus Ritter (Die Mitte), Präsident des schweizerischen Bauernverbandes, ist seit 38 Jahren Bio-Imker – und kämpft mit vollem Einsatz gegen die Initiative. «Die Schweiz hat bereits das strengste Pestizidgesetz Europas. Wir sind im internationalen Vergleich hervorragend unterwegs», so der Ostschweizer.
Da explodiert der Trinkwasser-Profi Roman Wiget erneut: Sicher sei unser Wasser besser als in Indien oder Bangladesh. «Das Schönreden und Verharmlosen regt mich extrem auf. In Anbetracht, dass wir so nahe an den Wasserquellen sind, ist die Wasserqualität himmeltraurig», sagt der Vertreter der Interessensgemeinschaft «4aqua». Dem Trinkwasser gehe es wirklich schlecht. Das Nitratproblem etwa sei sei 30 Jahren ungelöst.
Es ist ein erfrischendes Pingpong der Argumente, das sich in dieser Ausgabe der Arena abspielt. Gabi Schürch führt in Bütikofen BE einen Bio-Betrieb und kämpft ebenfalls gegen die Initiative. «Wir haben kein Interesse, die Natur kaputtzumachen. Der Boden ist unser höchstes Gut. Kein Landwirt setzt aus purer Freude Pestizide ein», sagt die Vizepräsidentin des Schweizerischer Bäuerinnen- und Landfrauenverband SBLV. Aber ohne Pestizide sei nun mal jeder zweite Apfel von Würmern befallen. Die Trinkwasserinitiative führe nicht zum Ziel, die Auswirkungen wären sogar nachteilig für die Umwelt.
Ganz anders tönt es von Bio-Weinbauer Roland Lenz. Er erreicht laut eigenen Angaben ohne jeglichen Einsatz von Chemie eine «wunderbare» Traubenqualität. Pro Quadratmeter müsse man mindestens 200 Regenwürmer ansiedeln, die für einen fruchtbaren Boden sorgten. «Die Natur ist unser bester Mitarbeiter. Wir müssen in der Landwirtschaft weg vom Chemie- und rein ins Biozeitalter», so der Thurgauer.
Bauern-Präsident Ritter wirft ein, dass bei Annahme der Initiative einfach deutlich mehr Produkte aus dem Ausland importiert würden. Das Problem werde exportiert. «Das führt indirekt zur Abholzung des Regenwaldes. Unser ökologischer Fussabdruck verschlimmert sich.»
Da schüttelt GLP-Nationalrätin Tiana Angelina Moser den Kopf. «Ritter erzählt immer wieder Geschichten, die einfach nicht stimmen. Das ist pure Angstmacherei.» Der Rückgang der Nahrungsmittelproduktion betrage nur 3 Prozent. Die Bauernlobby bekämpfe seit Jahren sämtliche Bestrebungen für mehr Umweltschutz. In der Schweiz würden eine Million Menschen pestizidbelastetes Wasser trinken. Das müsse ein Ende haben.
Parmelin verspricht, dass die Pestizid-Regeln so oder so verschärft würden. So hat der Bundesrat Ende April einen Massnahmenplan für sauberes Wasser vorgestellt. Ins Visier nimmt er überschüssigen Dünger. «Das Wasser in der Schweiz ist sauber, so soll es auch bleiben», sagt Parmelin. Noch stehen ihm bis im Juni viele Redeschlachten bevor, damit er der Trinkwasser-Initiative tatsächlich das Wasser abgraben kann.
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