Die Schweiz und Russland nahmen vor genau 200 Jahren diplomatische Beziehungen auf. Aus diesem Anlass will Bundespräsident Didier Burkhalter zu Wladimir Putin nach Moskau reisen. «Im Lauf des Jahres ist ein Treffen auf Präsidialstufe vorgesehen, ein Datum ist aber noch nicht festgelegt», teilte des Departement für auswärtige Angelegenheit (EDA) auf Anfrage von watson mit und betonte, es handle sich «nicht um einen Staatsbesuch».
Die Wortwahl wirkt nicht zufällig. Nach der Eskalation auf der Krim und deren Annektierung durch Russland will das EDA den Ball offenkundig flach halten. Denn der geplante Besuch sorgt für Kritik: Jetzt sei nicht der Moment, mit Russland historische Beziehungen zu feiern, meinte der Zürcher SP-Nationalrat Andreas Gross im Gespräch mit dem Tages-Anzeiger: «Die Schweiz darf keinesfalls so tun, als wäre der Einmarsch der Russen auf die Krim ein Kavaliersdelikt.» Sein Genfer Parteikollege Carlo Sommaruga fordert ebenfalls eine Absage des Besuchs.
Für EDA-Chef Didier Burkhalter ist die Situation ungemütlich. Er trägt in der aktuellen Krise zwei Hüte: Einen als Schweizer Aussenminister, den anderen als amtierender Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Diese wäre prädestiniert, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln.
«Die Handlungsfähigkeit der OSZE stärken» – so lautet ein Schwerpunkt des schweizerischen Vorsitzes. Derzeit sieht es jedoch eher so aus, als ob die Organisation ausgerechnet unter der Führung der neutralen Schweiz das Zeitliche segnen könnte. Denn faktisch schafft Putin vollendete Tatsachen, während Burkhalter nach wie vor auf eine diplomatische Lösung hofft.
Der Neuenburger Freisinnige hinterlässt als OSZE-Vorsitzender keinen vorteilhaften Eindruck. Vielmehr scheint er sich vom eiskalten Taktiker Putin regelrecht vorführen zu lassen. Am letzten Mittwoch telefonierten die beiden erstmals miteinander, um Lösungsmöglichkeiten für die Ukraine-Krise zu erörtern. Sie hätten über die Schaffung einer Kontaktgruppe gesprochen, hiess es im Anschluss.
Heute steht fest: Der russische Präsident dachte nie daran, sich mit der neuen ukrainischen Regierung – die er als illegitim betrachtet – an einen Tisch zu setzen. Didier Burkhalter räumte dies in einem Interview mit der NZZ vom Dienstag selber ein: «Herr Putin hat erklärt, dass sich diese Gruppe nur um die internen Probleme der Ukraine kümmern solle.» Ohne Russland aber mache eine Kontaktgruppe keinen Sinn.
Zusätzlich soll eine diplomatische Beobachtermission der OSZE in die Ukraine entsandt werden. Nach einer Sondersitzung am Hauptsitz in Wien sprach der Schweizer OSZE-Botschafter Thomas Greminger am letzten Donnerstag vom «Ansatz zu einem Durchbruch». Am Montag sagte Bundespräsident Didier Burkhalter nach einem erneuten Telefonat mit Wladimir Putin, man sei «sehr nahe an einem Konsens aller 57 Mitgliedstaaten». Ein solcher ist nötig, damit die Mission ihre Arbeit aufnehmen kann.
Es gehe noch «um wenige Worte», präzisierte der Aussenminister im NZZ-Interview. Die Chancen, dass die Mission zustande kommt, bezifferte er auf «98 Prozent». Bei 57 OSZE-Mitgliedern entspricht ein Land, das sich querlegt, etwa zwei Prozent. Im konkreten Fall kann es sich nur um Russland handeln. Das EDA wollte dazu nicht Stellung nehmen, es verwies auf eine Mitteilung der OSZE, in der Burkhalter die jüngsten Schritte Russlands als «Bruch der grundlegenden OSZE-Verpflichtungen und nicht vereinbar mit internationalem Recht» bezeichnete.
Noch ist unklar, ob Moskau einlenken wird. Militärbeobachtern der OSZE wurde der Zugang zur Krim mehrfach verweigert. Umgekehrt war die OSZE nicht bereit, Beobachter zur Abstimmung auf der Krim vom letzten Sonntag zu entsenden, die ihrer Ansicht nach «illegal» war. Derweil lässt Wladimir Putin die Muskeln spielen und die Eingliederung der Krim auch mit militärischen Mitteln vorantreiben. Erstmals seit dem Kalten Krieg hat sich ein Staat in Europa eigenmächtig einen Teil eines anderen Staats einverleibt.
Für die Lösung solcher Krisen war die OSZE geschaffen worden. Russlands einseitiges Vorgehen stellt nichts weniger als ihre Existenz in Frage. In den internationalen Medien wird der «Wiener Debattierklub», so die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», ohnehin kaum zur Kenntnis genommen. Der amerikanische OSZE-Botschafter Daniel Baer hat seinen Ärger über die Blockade durch Russland offen zum Ausdruck gebracht. Den Schweizer Sondergesandten Tim Guldimann bezeichnete er laut «NZZ am Sonntag» als russlandfreundlich.
Didier Burkhalter aber setzt unverdrossen auf Diplomatie: «Offener und ehrlicher Dialog und entschlossene Bemühungen zum Brückenschlag sind jetzt wichtiger denn je», liess er nach dem «Anschluss» der Krim an Russland . Fragt sich, ob auf der anderen Seite der Brücke jemand zuhören will. am Dienstag mitteilen