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Wie Putin Bundespräsident Burkhalter über den Tisch zieht

Didier Burkhalter bemüht sich als OSZE-Vorsitzender um Vermittlung.
Didier Burkhalter bemüht sich als OSZE-Vorsitzender um Vermittlung.Bild: AP
Eskalation auf der Krim

Wie Putin Bundespräsident Burkhalter über den Tisch zieht

Bundespräsident Didier Burkhalter setzt in der Krim-Krise unverdrossen auf Diplomatie. Die Schweiz und die OSZE hängen am russischen Gängelband.
19.03.2014, 20:1820.03.2014, 12:02
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Die Schweiz und Russland nahmen vor genau 200 Jahren diplomatische Beziehungen auf. Aus diesem Anlass will Bundespräsident Didier Burkhalter zu Wladimir Putin nach Moskau reisen. «Im Lauf des Jahres ist ein Treffen auf Präsidialstufe vorgesehen, ein Datum ist aber noch nicht festgelegt», teilte des Departement für auswärtige Angelegenheit (EDA) auf Anfrage von watson mit und betonte, es handle sich «nicht um einen Staatsbesuch».

Die Wortwahl wirkt nicht zufällig. Nach der Eskalation auf der Krim und deren Annektierung durch Russland will das EDA den Ball offenkundig flach halten. Denn der geplante Besuch sorgt für Kritik: Jetzt sei nicht der Moment, mit Russland historische Beziehungen zu feiern, meinte der Zürcher SP-Nationalrat Andreas Gross im Gespräch mit dem Tages-Anzeiger: «Die Schweiz darf keinesfalls so tun, als wäre der Einmarsch der Russen auf die Krim ein Kavaliersdelikt.» Sein Genfer Parteikollege Carlo Sommaruga fordert ebenfalls eine Absage des Besuchs.

Burkhalter im Sandwich

Für EDA-Chef Didier Burkhalter ist die Situation ungemütlich. Er trägt in der aktuellen Krise zwei Hüte: Einen als Schweizer Aussenminister, den anderen als amtierender Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Diese wäre prädestiniert, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. 

«Die Handlungsfähigkeit der OSZE stärken» – so lautet ein Schwerpunkt des schweizerischen Vorsitzes. Derzeit sieht es jedoch eher so aus, als ob die Organisation ausgerechnet unter der Führung der neutralen Schweiz das Zeitliche segnen könnte. Denn faktisch schafft Putin vollendete Tatsachen, während Burkhalter nach wie vor auf eine diplomatische Lösung hofft.

Die OSZE
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) entstand 1975 mit der Schlussakte von Helsinki aus der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Sie hat 57 Mitglieder: Alle Staaten Europas ausser Kosovo, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die Mongolei, die USA und Kanada. Der Sitz des Generalsekretariats und der wichtigsten Gremien ist Wien. 

Die Ziele der OSZE sind die Sicherung des Friedens und der Wiederaufbau nach Konflikten. In der Praxis wird ihre Handlungsfähigkeit oft durch die Vorgabe eingeschränkt, dass bei wichtigen Entscheidungen Einstimmigkeit herrschen muss. Das führte immer wieder zu Konflikten: Das letzte Gipfeltreffen endete 2010 aufgrund grosser Differenzen zwischen westlichen und östlichen Ländern faktisch ergebnislos. 2014 wird die OSZE von der Schweiz präsidiert. (pbl)

Putin lässt Kontaktgruppe scheitern

Der Neuenburger Freisinnige hinterlässt als OSZE-Vorsitzender keinen vorteilhaften Eindruck. Vielmehr scheint er sich vom eiskalten Taktiker Putin regelrecht vorführen zu lassen. Am letzten Mittwoch telefonierten die beiden erstmals miteinander, um Lösungsmöglichkeiten für die Ukraine-Krise zu erörtern. Sie hätten über die Schaffung einer Kontaktgruppe gesprochen, hiess es im Anschluss. 

Heute steht fest: Der russische Präsident dachte nie daran, sich mit der neuen ukrainischen Regierung – die er als illegitim betrachtet – an einen Tisch zu setzen. Didier Burkhalter räumte dies in einem Interview mit der NZZ vom Dienstag selber ein: «Herr Putin hat erklärt, dass sich diese Gruppe nur um die internen Probleme der Ukraine kümmern solle.» Ohne Russland aber mache eine Kontaktgruppe keinen Sinn.

Russland blockiert Beobachtermission

Zusätzlich soll eine diplomatische Beobachtermission der OSZE in die Ukraine entsandt werden. Nach einer Sondersitzung am Hauptsitz in Wien sprach der Schweizer OSZE-Botschafter Thomas Greminger am letzten Donnerstag vom «Ansatz zu einem Durchbruch». Am Montag sagte Bundespräsident Didier Burkhalter nach einem erneuten Telefonat mit Wladimir Putin, man sei «sehr nahe an einem Konsens aller 57 Mitgliedstaaten». Ein solcher ist nötig, damit die Mission ihre Arbeit aufnehmen kann. 

Es gehe noch «um wenige Worte», präzisierte der Aussenminister im NZZ-Interview. Die Chancen, dass die Mission zustande kommt, bezifferte er auf «98 Prozent». Bei 57 OSZE-Mitgliedern entspricht ein Land, das sich querlegt, etwa zwei Prozent. Im konkreten Fall kann es sich nur um Russland handeln. Das EDA wollte dazu nicht Stellung nehmen, es verwies auf eine Mitteilung der OSZE, in der Burkhalter die jüngsten Schritte Russlands als «Bruch der grundlegenden OSZE-Verpflichtungen und nicht vereinbar mit internationalem Recht» bezeichnete.

Uniformierte und maskierte Kräfte verweigern Militärbeobachtern der OSZE den Zugang zur Krim.
Uniformierte und maskierte Kräfte verweigern Militärbeobachtern der OSZE den Zugang zur Krim.Bild: EPA/OSCE

Noch ist unklar, ob Moskau einlenken wird. Militärbeobachtern der OSZE wurde der Zugang zur Krim mehrfach verweigert. Umgekehrt war die OSZE nicht bereit, Beobachter zur Abstimmung auf der Krim vom letzten Sonntag zu entsenden, die ihrer Ansicht nach «illegal» war. Derweil lässt Wladimir Putin die Muskeln spielen und die Eingliederung der Krim auch mit militärischen Mitteln vorantreiben. Erstmals seit dem Kalten Krieg hat sich ein Staat in Europa eigenmächtig einen Teil eines anderen Staats einverleibt.

Wie weiter mit der OSZE?

Für die Lösung solcher Krisen war die OSZE geschaffen worden. Russlands einseitiges Vorgehen stellt nichts weniger als ihre Existenz in Frage. In den internationalen Medien wird der «Wiener Debattierklub», so die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», ohnehin kaum zur Kenntnis genommen. Der amerikanische OSZE-Botschafter Daniel Baer hat seinen Ärger über die Blockade durch Russland offen zum Ausdruck gebracht. Den Schweizer Sondergesandten Tim Guldimann bezeichnete er laut «NZZ am Sonntag» als russlandfreundlich.

Tim Guldimann ist als Sondergesandter der OSZE in der Ukraine tätig.
Tim Guldimann ist als Sondergesandter der OSZE in der Ukraine tätig.Bild: AP

Didier Burkhalter aber setzt unverdrossen auf Diplomatie: «Offener und ehrlicher Dialog und entschlossene Bemühungen zum Brückenschlag sind jetzt wichtiger denn je», liess er nach dem «Anschluss» der Krim an Russland am Dienstag mitteilen. Fragt sich, ob auf der anderen Seite der Brücke jemand zuhören will.

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