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Warum die Schweiz die lahmste Bahn Europas hat

Herr Füglistaler, warum hat die Schweiz die lahmste Bahn Europas?

Die SBB sind in der Schweiz mit Bummeltempo unterwegs. Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamts für Verkehr, findet das richtig. Die Schweiz sei ungeeignet für hohes Tempo.
17.02.2022, 06:5318.02.2022, 06:44
Francesco Benini / ch media
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Eine Studie des Informationsdienstes für den öffentlichen Verkehr hat ergeben: Der öffentliche Verkehr ist in der Schweiz langsamer als in anderen Ländern.
Peter Füglistaler: Das ist keine Überraschung.

Gut ist es trotzdem nicht.
Warum nicht? Nach den Fahrzeitverkürzungen, die wir mit «Bahn 2000» umgesetzt haben, kommt heute beim Bahnausbau Kapazität vor Geschwindigkeit. Wir wollen einen ÖV für alle und nicht nur schnelle Züge für wenige. In Einzelfällen kann das sogar dazu führen, dass wir Fahrzeiten etwas verlängern müssen. Zum Beispiel auf der Jurasüdfusslinie, wo dereinst Doppelstöcker zum Einsatz kommen. Die Züge brauchen dann drei Minuten länger, haben aber viel mehr Kapazität für mehr Kunden.

peter flügistaler
«Es gab Überlegungen, eine schnellere Verbindung zwischen Zürich und der Alpentransversale zu bauen»: Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamts für Verkehr.Bild: BAV

Ein schnellerer Zug zieht mehr Passagiere an.
Wichtig ist, dass die Bahn gegenüber der Strasse wettbewerbsfähig ist. Zwischen Bern und Zürich haben wir das erreicht: Man ist mit dem Zug schneller als im Auto. Klar könnte man eine Schnellstrecke zwischen Zürich und Bern bauen und die Fahrzeit auf eine halbe Stunde senken. Das wäre für unser Land letztlich aber nicht nur vorteilhaft.

«Wollen wir, dass zum Beispiel viele Menschen am Bodensee wohnen und in der Stadt Zürich arbeiten?»

Wo liegt das Problem?
die Pendler lange Strecken schnell zurücklegen können, fördert das die Zersiedelung. Wollen wir, dass zum Beispiel viele Menschen am Bodensee wohnen und in der Stadt Zürich arbeiten? Weder ökologisch noch raumplanerisch ist das erwünscht.

Zur Person:
Peter Füglistaler, 62, ist seit dem Jahr 2010 Direktor des Bundesamts für Verkehr. Zuvor war der Ökonom in verschiedenen Funktionen bei den Schweizerischen Bundesbahnen sowie bei der Eidgenössischen Finanzverwaltung tätig.

Die Schweiz hat es bisher verpasst, eine schnelle Ost-West- und eine Nord-Süd-Achse zu bauen.
Das ist nicht ganz richtig: Mit der Neat haben wir eine ausgezeichnete, schnelle Nord-Süd-Verbindung. Auf einigen Abschnitten der Ost-West-Achse ist die Bahn aber noch zu wenig wettbewerbsfähig. Die Fahrt von Zürich nach St.Gallen dauert zu lange. Auch von Bern nach Lausanne müssen wir eine Beschleunigung erreichen. Hier sind Ausbauten in Umsetzung oder Prüfung. Aber für Hochgeschwindigkeitstrassen wie im Ausland ist die Schweiz zu klein. Solche Strecken ergeben Sinn zwischen grossen Agglomerationen, die relativ weit voneinander entfernt sind, zwischen Mailand und Rom etwa. In der kleinen Schweiz bringt das wenig. Das Land ist dezentral besiedelt. Bevölkerung und Politik erwarten, dass die Züge in den grösseren Orten halten und nicht erst 200 Kilometer später. Milliarden zu investieren, um ein paar Minuten schneller von der Ost- in die Westschweiz zu reisen, ist weder mehrheitsfähig noch ökologisch und ökonomisch sinnvoll. Zudem fehlen freie Flächen, weil das Mittelland sehr dicht besiedelt ist.

Die Swiss bietet bis zu zehn Flüge pro Tag zwischen Zürich und Genf an. Das ist ein ökologischer Unsinn; die beiden Städte liegen nur 225 Kilometer voneinander entfernt. Wäre die Bahn zwischen Zürich und Genf nicht fast drei Stunden unterwegs, hätte die Swiss ihre Flüge längst einstellen müssen.
Dass dieser Flug ökologisch fragwürdig ist – einverstanden. Man muss das aber einordnen. Nehmen wir an, es fliegen 1500 Personen pro Tag zwischen Zürich und Genf. Damit füllt man einen einzigen Zug, was sehr wenig ist. Es wäre unsinnig, für dieses Segment eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Zürich und Genf zu bauen. Der Effekt wäre nicht primär Verlagerung vom Flugzeug auf die Bahn, sondern zusätzlicher Verkehr. Das ist auch nicht ökologisch.

«Wir hängen niemanden ab, das würde der Kultur der Schweiz nicht entsprechen.»

Der Bund will den Anteil des Personenverkehrs, der im ÖV zurückgelegt wird, von 20 auf 40 Prozent verdoppeln. Das wird nicht gelingen mit der Bummelbahn.
Der Bund hat sich dies nie als Ziel gesetzt. Vielmehr handelt es sich um eine bewusst konzipierte Annahme, die dazu dient, herauszufinden, mit welchen Massnahmen der ÖV-Anteil am Gesamtverkehr gesteigert werden kann. Das Resultat ist, dass es vor allem in verschiedenen Agglomerationen ein noch besseres Angebot braucht. Ich komme aus Wohlen im Aargauer Freiamt, da hat der ÖV Nachholbedarf. Zwischen den grösseren Städten wird zudem nach und nach die Taktfrequenz erhöht: Zuerst hatten wir den Stundentakt, dann den Halbstundentakt, nun zeichnet sich auf den Hauptlinien der Viertelstundentakt ab. So machen wir den öffentlichen Verkehr attraktiv.

Bild

Das Bahnnetz ist Stückwerk. Auf der Fahrt von Zürich nach Lugano schleicht die Bahn den Zugersee entlang; es gibt dort nur ein Gleis. Man hat es verpasst, eine gute Verbindung zwischen Zürich und dem Gotthard-Basistunnel zu bauen. Und nun hält der vorgebliche Schnellzug auch noch in Altdorf. Halleluja!
Altdorf ist ein gutes Beispiel für zwei Dinge. Erstens, der Halt in Altdorf verlängert die Fahrzeit um drei Minuten. Von Altdorf führen Bahn- und Busverbindungen bis in die hinterste Ecke des Kantons Uri. Damit stellen wir auch ausserhalb der Zentren eine gute Erreichbarkeit sicher. Mit unserem ÖV bieten wir ein dichtes Netz in allen Regionen. Das ist wichtiger als Hochgeschwindigkeit zwischen wenigen Städten. Wir hängen niemanden ab, das würde der Kultur der Schweiz nicht entsprechen.

Und zweitens?
Zweitens gab es Überlegungen, eine schnellere Verbindung zwischen Zürich und der Alpentransversale zu bauen. Man liess es bleiben. Die Kosten hätten sich auf rund 10 Milliarden Franken belaufen. Mit dieser Summe kann man in Basel ein gutes S-Bahn-Netz bauen, das sich bis in die französische und deutsche Grenzregion erstreckt. In Basel ist die S-Bahn noch zu klein. In der Region Zürich hat ein dichtes Netz einen gewaltigen Schub für den ÖV gebracht.

«Eine Swiss Metro ist ein Wunschtraum, der sich nicht erfüllen wird.»

In der Coronazeit hat sich das Arbeiten im Homeoffice verbreitet. Für die SBB bedeutet das weniger Kunden.
Wir sehen, dass im öffentlichen Verkehr der Städte die Passagiere schnell zurückkommen. Es wird hingegen weniger Pendler geben, die jeden Tag längere Distanzen zurücklegen. Das ist eine positive Entwicklung. Die Strecke zwischen Bern und Zürich wird dadurch ein Stück weit entlastet.

Es gibt Leute, die das Projekt Swiss Metro nach wie vor vorantreiben. «Von Bern nach Zürich in 12 Minuten, von Bern nach Genf in 12 Minuten», lautet der Leitspruch. Wäre das nicht schön?
Das sind Wunschträume, die sich nicht erfüllen werden. Das Projekt zu realisieren, wäre sehr teuer. Und für die Fahrt im unterirdischen Vakuumtunnel würde viel zu viel Beton und Strom gebraucht. Auch der ÖV muss ökologische Kriterien erfüllen, er ist nicht einfach per se gut.

Der ÖV wird in der Schweiz noch langsamer, weil die grösseren Städte Tempo 30 auch auf Durchfahrtsstrassen einführen – was die Trams und Busse bremst.
Langsamere Busse sind nicht wünschenswert. Es gibt zwei Lösungen: Entweder man richtet eigene Trasses für Trams und Busse ein. Oder man hebt einige Haltestellen auf, so dass sich die Fahrzeit nicht verlängert. Der ÖV in den Städten muss attraktiv bleiben. (saw/aargauerzeitung.ch)

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130 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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goschi
17.02.2022 07:27registriert Januar 2014
Sorry, aber dieses dauernde benutzen von Begriffen wie Bummelbahn, zu langsam, usw ist unnötig.

Wieso muss die Schweiz die schnellsten Züge haben?
Das ist so eine Quartettkartenlogik.
23012
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arcane
17.02.2022 07:15registriert September 2021
Ihr wisst aber wie gross die Schweiz ist? Und wie lange die Strecken..? Mir scheint der/die Fragesteller:in fährt kein öV..
20212
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bärnergiu
17.02.2022 07:34registriert Februar 2016
Was sind das für Schülerzeitung-Fragen?

Herr Füglistaler zeigt jedoch sehr gut auf, warum das Schweizer Bahnnetz ist, wie es ist.
1928
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Das ist höchst ungewöhnlich. Energiespezialist Imark greift SVP-Vizepräsidentin Martullo-Blocher offen an. Sein Vorwurf: Mit ihrem Nein zum Stromgesetz gefährde sie langfristige Parteiinteressen.

Auf der einen Seite steht Christian Imark. Der SVP-Nationalrat aus Solothurn brachte am 2021 das CO₂-Gesetz praktisch im Alleingang zum Absturz. Im Februar 2024 reichte er als Mitglied des Initiativkomitees die Blackoutinitiative ein, die neue AKW wieder erlauben will. Und 2023 war er als Vertreter der Energiekommission (Urek) verantwortlich dafür, dass die SVP-Fraktion das Stromgesetz von SVP-Bundesrat Albert Rösti mit 36:18 Stimmen absegnete. Die Volksabstimmung findet am 9. Juni statt.

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