Der Zug aus Chur kommt verspätet im Zürcher Hauptbahnhof an, der Reisende muss dort umsteigen auf den Interregio nach Baden–Brugg–Basel. Wie lange wartet nun dieser Anschlusszug? Solche Überlegungen haben sich die SBB in den vergangenen Monaten gemacht. Jede einzelne Verbindung – insgesamt rund 10'000 – wurde auf die eingeplante Reservezeit überprüft. Die «Schweiz am Sonntag» hatte im Oktober über den Versuch mit dem Namen «Pilot Wartefrist 0 Minuten» berichtet; dieser ist seit dem 12. Dezember abgeschlossen.
Die Auswertung läuft noch, doch schon jetzt ist klar, dass das Fazit positiv ist: «Die Resultate aus dem Pilotversuch im Dreieck Zürich/Bern/Basel zeigen, dass knappere Wartezeiten einen positiven Beitrag zur Kunden- und Anschlusspünktlichkeit und zur Netzstabilität leisten», sagt SBB-Sprecher Christian Ginsig. So seien beispielsweise die Züge ab Basel und Bern im Monat Oktober pünktlicher in Zürich eingetroffen. «Dadurch haben mehr Kunden ihre Anschlüsse erreicht», so Ginsig.
Zurück zum Beispiel am Anfang. Bisher war es Praxis, dass die SBB den Interregio nach Baden–Brugg–Basel zwei Minuten warten liessen. Im Pilotversuch wurde gar nicht mehr abgewartet. Und diese Regel gilt nun auch weiterhin: Die Züge fahren neuerdings pünktlich los, auch wenn in Zürich ankommende Züge zu spät eintreffen. Die Nulltoleranz gilt auch für andere Verbindungen: «Generell kann man sagen, dass ab Zürich die Züge Richtung Westen nicht mehr auf verspätete Anschlusszüge warten», sagt Ginsig.
Denn: «Es fahren sechs Züge innerhalb weniger Minuten kurz nacheinander. Wenn also der erste dieser sechs Züge eine Verspätung abwartet, so fahren die fünf Folgezüge, alle ebenfalls mit Pendlern unterwegs, auch verspätet ab.» Dies wiederum hätte zur Folge, dass diese deutlich grössere Zahl an Pendlern beispielsweise den Busanschluss am nächsten Haltepunkt verpassen würden.
Keine oder kürzere Wartezeiten gelten auch für andere Richtungen. So wartete im Zürcher HB der ICN nach St.Gallen bislang 3 Minuten auf verspätete Züge, jetzt ist es noch 1 Minute.
Hintergrund der neuen Praxis sind das immer dichter befahrene SBB-Netz und die vielen Baustellen, die es zurzeit gibt. Verspätungen führen zu einem Rattenschwanz von Folgeverspätungen, die kaum mehr aufgeholt werden können. SBB-Chef Andreas Meyer sagt: «Es geht den SBB darum, dass mehr Kunden ihr Ziel pünktlich erreichen.» Die SBB sind überzeugt, dass der grösste Teil der Kunden besser fahren wird als bisher. Sollte dies nicht der Fall sein, so Meyer, «wird das Projekt gestoppt». Die Konzernleitung werde diesen Versuch deshalb «eng begleiten».
Kürzere Wartefristen gelten vor allem zu den Hauptverkehrszeiten. Am Abend und am Wochenende ist das Netz weniger belastet, hier warten die SBB auch künftig mehr verspätete Anschlüsse ab. Ausserdem gibt es am Abend vor allem in den Randregionen nicht mehr so gute Verbindungen; da ist wichtig, dass die Reisenden die Anschlüsse erreichen.
SBB-Chef Andreas Meyer sagt: «Es ist kein Thema, schweizweit auf Wartefristen zu verzichten. Das Projekt fokussiert auf das Kernnetz, wo einerseits die Auswirkungen von verspäteten Zügen auf weitere Züge gross und andererseits das Angebot sehr gut ausgebaut ist.»