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Wie sich die diplomlosen Lehrer im Unterricht bewähren

Vor ihnen wurde gewarnt: Wie sich die diplomlosen Lehrer im Unterricht bewähren

Sie haben keine Ausbildung und stehen dennoch im Klassenzimmer: Im Kanton Zürich unterrichten in diesem Schuljahr 530 Personen ohne Diplom. Sie tun es mit viel Elan – und sie brauchen viel Betreuung von erfahrenen Pädagogen.
22.12.2022, 20:03
Kari Kälin / ch media
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Sie freut sich über die Lernfortschritte ihrer Schüler: Panthea Derks unterrichtet in Küsnacht Deutsch als Fremdsprache auf Primarstufe.
Sie freut sich über die Lernfortschritte ihrer Schüler: Panthea Derks unterrichtet in Küsnacht Deutsch als Fremdsprache auf Primarstufe.Bild: Sandra Ardizzone/ch media

Es ist eine Notlösung, geboren im Kampf gegen den akuten Lehrermangel: Seit diesem Schuljahr unterrichten im Kanton Zürich 530 Personen ohne Ausbildung. Ihre Anstellung ist auf ein Jahr befristet, das durchschnittliche Pensum beträgt 45 Prozent. Den Diplomlosen schlug viel Vorschussskepsis entgegen. Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbandes der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer, sagte im August: «Wenn ich als Mutter erfahren würde, dass unsere Tochter zu einer Lehrerin kommt, die keine Ausbildung hat, dann weiss ich nicht, ob ich wirklich noch gut schlafen könnte.»

Auch diese Zeitung warnte, die Qualität bleibe auf der Strecke, wenn ein kurzer Crashkurs an der Pädagogischen Hochschule genüge, um Kindern Lesen, Rechnen und Schreiben beizubringen. Die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner hingegen hielt die Kritik für übertrieben – auch, weil von rund 18'000 Lehrpersonen verhältnismässig nur wenige kein Diplom aufweisen.

Ein erstes Kurzfazit nach wenigen Monaten Unterricht lautet: Es gibt keine Anzeichen, dass scharenweise Laienlehrer aus den Schulstuben flüchteten oder unlösbare Probleme generierten. Das Zürcher Volksschulamt habe kaum entsprechende Meldungen erhalten, sagt Amtschefin Myriam Ziegler – und die Anzahl Kündigungen in der Probezeit sei nicht auffällig.

Das dürfte auch damit zu zusammenhängen, dass zahlreiche Neueinsteiger bereits eine Affinität zum Lehrerberuf aufwiesen, zum Beispiel, weil sie bereits als Klassenassistenten im Einsatz standen. Myriam Ziegler formuliert es so: «Die Schulleitungen sind bei der Auswahl von Personen ohne Lehrdiplom sehr behutsam vorgegangen.»

Etwa 50 Neueinsteiger absolvieren bei der Firma Intrinsic, laut Selbstdeklaration ein Unternehmen für angewandte Bildungsrevolution, ein Begleitprogramm, den «Plan L». Die Ausbildung hat im Sommer begonnen, dauert bis zu den Winterferien und vermittelt im Expresstempo die wichtigsten Werkzeuge für den Unterricht. Dazu kommt ein regelmässiges Coaching durch erfahrene Lehrpersonen.

Etwa 200 Personen haben eine Kompaktwoche an der Pädagogischen Hochschule Zürich besucht und erhalten von dort weiterhin Support. Wie behaupten sich die sogenannten Laienlehrer im Schulalltag? CH Media hat sich mit vier von ihnen unterhalten.

Das sagen die Lehrpersonen ohne Diplom

Sie verdiente mit Nachhilfeunterricht Sackgeld, studierte Kommunikationswissenschaften an der Universität Freiburg und Sorbonne in Paris, arbeitete als Dolmetscherin und beherrscht sieben Sprachen: Panthea Derks verkörpert den Typus der Laienlehrperson, die mit geeigneten Voraussetzungen ins neue Berufsabenteuer steigt. Die 49-Jährige unterrichtet in einem 50-Prozent-Pensum in Küsnacht Deutsch für Fremdsprachige, die Kinder sind zwischen 7 und 11 Jahre alt.

Derks, selber Mutter von zwei Kindern im Primarschulalter, schwärmt von ihrer neuen Tätigkeit. Sie geniesse die volle Unterstützung von Schulleitung und Lehrerteam, habe eine gute Beziehung zu den Schülern aufgebaut und freue sich über deren Lernfortschritte. Dass Lehrerinnen wie sie kritisch beäugt werden, ist ihr bewusst. Derks aber sagt: «Mit dem Kommunikationsstudium, der Erfahrung im Dolmetscherwesen und dem Begleitprogramm von ‹Plan L› bringe ich gute Voraussetzungen mit. Ich gebe jeden Tag mein Bestes.» Bis jetzt habe sie von allen Seiten nur positive Rückmeldungen erhalten.

Nicht alle Laienlehrpersonen äussern sich mit Namen. Es gibt Schulleitungen, die den Eltern den Einsatz von Diplomlosen verschweigen – um sie vor allfälliger Kritik zu schützen. Dies erzählt eine Akademikerin, die früher erwachsenen Expats Deutsch beibrachte. Jetzt unterrichtet sie an einer Primarschule Sport, Deutsch und Deutsch als Zweitsprache. Auch ihr gefällt der neue Job, auch sie findet sich gut zurecht im Schulalltag.

Eine weitere sogenannte Laienlehrerin unterrichtet im Kanton Aargau und nicht wie ursprünglich beabsichtigt in Zürich. Der Begriff «Laie» wird ihr, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, nicht gerecht. Die 46-Jährige sammelte nicht nur während sechs Jahren Erfahrung als Klassenassistentin auf der Sekundarstufe, sondern übernahm auch zahlreiche Stellvertretungen. «Ich unterrichte mit Power und Begeisterung, erweitere mein didaktisches Repertoire, auch dank einem hervorragenden Coach.» Sie stellt fest, dass junge Lehrerinnen bei den Eltern oft einen schwereren Stand haben als sie.

Spezielle Herausforderung: David Buri Lehrer an der Hardwaldschule in Kloten.
Spezielle Herausforderung: David Buri Lehrer an der Hardwaldschule in Kloten.Bild: zvg

David Buri, Autor von zwei Kindermusicals und ehemaliger Yogalehrer, hat eine spezielle Herausforderung angenommen. Er ist verantwortlich für den Aufbau der Hardwaldschule in Kloten. Der Unterricht in der Natur funktioniere gut, sagt Buri. Er kümmert sich um vier Kinder von der ersten bis zur dritten Primarklasse. Er freut sich über viele Freiheiten, aber auch er muss sich an die Vorgaben des Lehrplans 21 halten. Er lerne selber gerade sehr viel, sagt Buri. Und: «Die Eltern haben kein Problem damit, dass ich Laienlehrer bin.»

Lernen in der Natur: Szene in der Hardwaldschule in Kloten.
Lernen in der Natur: Szene in der Hardwaldschule in Kloten.Bild: zvg

Das läuft nicht rund

Funktioniert also alles bestens? Nicht ganz. Die Rückmeldungen aus den Schulen fielen unterschiedlich aus, schreibt der «Tages-Anzeiger». In der Zeitung kommen anonym zwei erfahrene Primarlehrerinnen zu Wort, die Lehrpersonen ohne Ausbildung coachen. Ihre Kernaussagen: Den Laienlehrern fehlt das Wissen der Vollausbildung, der Unterricht könnte besser rhythmisiert, individualisiert und stufengerechter sein. Und: «Viele dieser Lehrpersonen haben die Belastung des Lehrerberufs unterschätzt, und es droht bereits die Gefahr des Ausbrennens.»

Dass nicht bei allen alles rund läuft, weiss auch David Buri. Im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, die sich wie er mit einer Kurzausbildung für den Einsatz als pädagogische Nothelfer vorbereitet haben, hört er, wie sehr einige sich mit Disziplinproblemen abmühen. Dass Stühle durchs Klassenzimmer fliegen. Dass es manchmal 10 bis 15 Minuten dauert, bis überhaupt an Unterricht zu denken ist. Dass es darum geht, sich irgendwie durchzuwursteln.

Das sagen Lehrer- und Schulleiterverbände – und Ausbildner von Laienlehrpersonen

Christian Hugi, Präsident des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands, sagt, die Anstellung von Laienlehrpersonen bedeute für das bestehende Lehrerteam beträchtlichen Mehraufwand. Der Grund liegt auf der Hand: Die Neulinge wenden sich mit vielen Fragen an die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen. Diese unterstützten die Laienlehrpersonen gerne, sagt Hugi. Er kritisiert aber, dass der Kanton Zürich keine Vorgaben dazu machen wolle, welche zeitlichen Ressourcen den erfahrenen Lehrpersonen für das teils aufwendige Coaching zur Verfügung gestellt werden.

Irritierend sei dies auch, weil sich die Lage bei den Abgängerinnen und Abgängern aus Pädagogischen Hochschulen genau anders präsentiert: Sie werden standardmässig von einer erfahrenen Lehrperson begleitet, die für das Coaching zeitliche Ressourcen erhält.

Sarah Knüsel, Präsidentin des Verbandes der Zürcher Schulleiterinnen und Schulleiter, teilt Hugis Einschätzungen und ergänzt. «Längerfristig kann das bestehende Lehrpersonenteam diesen Aufwand nicht stemmen.» Eine grosse Herausforderung sei unter anderem die Bewertung der Schülerleistungen und das Klassenzimmermanagement. Knüsel empfiehlt den Schulen, die Eltern über fehlende Diplome zu informieren. Sie müssten sich keine Sorgen machen, mit der Unterstützung der erfahrenen Lehrkräfte und der Schulleitungen gelinge der Unterricht. Doch langfristig könne dieser Support nicht geleistet werden ohne zusätzliche Ressourcen.

«Die meisten Neulehrpersonen sind stark gefordert in ihrem neuen beruflichen Umfeld. Viele davon haben grosse Freude am neuen Beruf und gehen richtiggehend auf in den neuen Aufgaben und Verantwortlichkeiten», sagt derweil Christian Müller, Co-Geschäftsführer von Intrinsic. Die Firma stehe in Kontakt mit vielen Schulleitungen, bei denen «Plan L»-Teilnehmende arbeiten. «Die Rückmeldungen sind weitestgehend positiv, auch wenn einzelne Neulehrpersonen teilweise beträchtlichen Coaching-Aufwand generieren würden», sagt Müller.

Das plant die Zürcher Bildungsdirektion

Die Zürcher Bildungsdirektion will Laienlehrpersonen, die sich in der Praxis bewähren, eine langfristige Perspektive bieten – und damit gleichzeitig dem Lehrermangel entgegenwirken. Voraussetzung dafür sind eine abgeschlossene Berufslehre, mindestens drei Jahre Berufserfahrung und ein Mindestalter von 30 Jahren. Wer diese Kriterien erfüllt, darf sich zur vollwertigen Lehrperson ausbilden lassen an der Pädagogischen Hochschule – wenn diese den Interessenten die Studierfähigkeit bescheinigt. Parallel dazu dürfen sie weiter unterrichten. Voraussetzung dafür ist eine neue Anstellung.

Das sagt Dagmar Rösler

Dagmar Roesler, Zentralpraesidentin LCH, spricht waehrend einer Medienkonferenz des Dachverbands der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), am Montag, 8. August 2022 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
«Wir sind froh, dass sie uns in dieser Notsituation helfen.»: Dagmar Rösler über die Laienlehrer.Bild: keystone

Und Dagmar Rösler? Würde die Schlafqualität der Präsidentin der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer immer noch beeinträchtigt, wenn ihre Tochter von einem Laienlehrer unterrichtet würde? «Ich mache mir Sorgen um die Bildungsqualität. Das habe ich mit dieser Aussage zum Ausdruck gebracht», sagt Rösler. Sie habe nichts gegen die Laienlehrer. «Wir sind froh, dass sie uns in dieser Notsituation helfen.» Rösler sagt aber auch: «Solche Massnahmen dürfen nicht zum Dauerzustand oder zur Regel werden. Sonst wird unser Beruf entwertet. Man könnte den Eindruck gewinnen, nach einem Schnellkurs könne man problemlos eine Klasse unterrichten.»

Rösler begrüsst es, dass die Zürcher Regierung den Laienlehrpersonen eine Ausbildung ermöglicht. Laut Szenarien des Bundesamtes für Statistik wird sich der Lehrermangel in den nächsten Jahren zuspitzen. Rösler fordert weitere Massnahmen, zum Beispiel eine bessere finanzielle Unterstützung von jenen, die als Quereinsteiger ein PH-Studium in Angriff nehmen. Und sie verlangt, dass der Bund systematische Gründe erhebt, weshalb Lehrpersonen den Beruf aufgeben – oder ihm treu bleiben.

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115 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dan Rifter
22.12.2022 22:21registriert Februar 2015
Die beiden Lehrpersonen, die mit Namen und Bild näher vorgestellt werden, sind halt nicht wirklich gut gewählte Beispiele.

DaZ wird in Kleingruppen unterrichtet, die Hardwaldschule ist ein Verein .. solche Settings haben mit den Herausforderungen, die sich Klassenlehrpersonen in der Volksschule stellen wenig bis gar nichts zu tun.

Wer ohne Ausbildung eine Klasse im Vollpensum führt - da ziehe ich meinen Hut doppelt und dreifach.
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SpitaloFatalo
22.12.2022 22:13registriert März 2020
Ungelernte unterrichten unsere Kinder und der Volksaufstand bleibt aus. Warum? Weil landauf landab sowieso die Meinung herrscht, dass jede und jeder Schule kann. Ich bringe Erstklässlern seit 14 Jahren lesen und schreiben bei und errachte mich deshalb als Experten. Laien würden nie einem Schreiner oder sonstigem Berufsprofi in fachlicher Hinsicht widersprechen, bei Diskussionen über das Schreibenlernen macht man es bei mir aber ständig. Es steckt ein wenig mehr dahinter als Motivation. So wie ich jedem Patienten geschultes Gesundheitspersonal wünsche, wünsche ich das gleiche für die Schule.
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Unterwasser
22.12.2022 21:19registriert Oktober 2020
Das Traurige ist, dass Mängel in der Bildungsqualität vermutlich erst nach Jahren sichtbar werden. Diese Situation ist ein Armutszeugnis für die Bildungsdirektion. Der Mangel hatte sich bereits seit Jahren abgezeichnet und ist teilweise selbstverschuldet. Silvia Steiner ist seit 2015 im Amt und sollte mit einem sofortigen Rücktritt die Verantwortung übernehmen.

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