Kinder, die an Weihnachten Geburtstag haben, sind nicht zu beneiden: kaum Gäste am Geburtstagsfest und von den Verwandten gibt’s nur ein Geschenk für Geburtstag und Weihnachten zusammen.
Und jetzt kommen noch schlechtere Nachrichten: Adventskinder sind auch in der Schule im Nachteil. Eine Studie des renommierten European University Institute in Florenz zeigt, dass die Klassenjüngsten deutlich schlechtere Noten haben als die ältesten Kinder derselben Klasse.
In den meisten südeuropäischen Staaten ist der 31. Dezember der Stichtag. Die Adventskinder sind somit die Klassenjüngsten. Sie haben eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, eine Klasse wiederholen zu müssen als ihre früh im Jahr geborenen Klassenkameraden.
Der Stichtag für die Einschulung ist nicht überall der gleiche. Doch das Datum ändert nichts am Befund. Die Bildungssoziologen des European University Institute haben auch internationale Daten über den Schulerfolg ausgewertet und festgestellt, dass die jüngsten Kinder der Klassen überall ihre ganze Schulzeit hinweg im Nachteil sind. Im Durchschnitt werden die Leistungen der Klassenjüngsten um rund einen Zehntel schlechter beurteilt als die der Klassenältesten, fand Anne Christine Holtmann heraus.
Allerdings spielt das Einschulungsalter eine grosse Rolle: «In den Ländern, in denen Kinder erst mit sieben Jahren eingeschult werden, ist der Nachteil, den die Klassenjüngsten haben, weniger gross als in den Ländern, in denen bereits vier oder fünfjährige die Schulbank drücken.» sagt Holtmann.
In England ist der 31. August der Stichtag. Somit sind die im August geborenen Kinder die jüngsten einer Klasse, die im September geborenen die ältesten.
Eine Untersuchung der Nuffield Foundation aus London hat den schulischen Werdegang und das Wohlbefinden von englischen Schulkindern untersucht. Ihre Erkenntnisse decken sich mit jenen der Untersuchungen des European University Institute in Florenz. Die Leistungen der jüngsten Kinder werden deutlich schlechter eingestuft.
Englische Schulkinder, die im August geboren wurden, brachten in den Hauptfächern Lesen, Schreiben und Mathematik drei Mal häufiger ungenügende Noten nach Hause als die im September Geborenen. Zudem zeigt die englische Studie auch, dass die Klassenjüngsten doppelt so oft Opfer von Mobbing werden und sich in der Schule weniger wohl fühlen als ihre älteren Klassenkameraden.
Bei kleinen Kindern fallen die eigentlich kleinen Altersunterschiede deshalb so stark ins Gewicht, weil sie relativ gesehen viel mehr Lebenserfahrung ausmachen als bei Erwachsenen. Ein fünfjähriges Kind hat bei der Einschulung einen Fünftel mehr Lebenserfahrung als ein Kind, das erst vier Jahre und einen Monat alt ist. Doch beide kommen in die gleiche Klasse, sind mit den gleichen Lernzielen konfrontiert und werden am gleichen Tag mit dem gleichen Test geprüft.
Die Untersuchungen zeigen auch, dass die Unterschiede zwischen den jüngeren und älteren Kindern mit der Zeit verschwinden, allerdings ungleich verteilt und erst zu einem späten Zeitpunkt – für gewisse Weichenstellungen im Leben ist es dann bereits zu spät. In England gehen beispielsweise deutlich weniger Augustkinder auf eine der Eliteunis als Septemberkinder.
Die Untersuchungen der Forscher aus Florenz konnten ebenfalls nachweisen, dass die Klassenjüngsten die Startnachteile in der Schule vor allem dann unbeschadet überstehen, wenn sie aus privilegiertem Elternhaus kommen. Kinder aus bildungsfernen Familien, die bereits zu Beginn ihrer Schulzeit schlecht beurteilt werden, holen dies kaum mehr auf. Insbesondere dann nicht, wenn die erste Selektion früh stattfindet.
In der Schweiz werden die Kinder nicht mehr als Jahrgang eingeschult, seit das Schuljahr im Sommer beginnt. Mittlerweile ist die interkantonale Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS) im Gang. Die 15 Kantone, die dem Konkordat bisher beigetreten sind, sind dabei, den Stichtag für die Einschulung schrittweise auf den 31. Juli zu verlegen.
Die beschriebenen Effekte haben allerdings für jeden Stichtag Gültigkeit. Die jüngsten Kinder einer Klasse sind immer im Nachteil. In der Schweiz werden praktisch alle Kinder zum regulär vorgesehenen Zeitpunkt eingeschult. Nur ungefähr zwei von hundert Kindern treten ein Jahr später in die erste Klasse ein als vorgesehen. Ob es dabei vor allem um relativ gesehen junge Kinder handelt, ist nicht bekannt.
In einigen Kantonen besteht im Moment noch eine gewisse Flexibilität, früher in den Kindergarten einzutreten, was in der Regel auch eine frühere Einschulung zur Folge hat. Es existieren für die Schweiz bisher keine Langzeitstudien, die den Schluss zulassen würden, dass die Klassenjüngsten systematisch schlechter beurteilt würden.
«Kleinere Studien zeigen aber, dass es Unterschiede gibt zwischen den Kindern, die früh eingeschult werden, und solchen, die später eingeschult werden», sagt Margrit Stamm, emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften der Universität Fribourg. «In der Tendenz werden die Forschungsarbeiten unterstützt.» Eine frühe Einschulung könne aber, etwa bei hochbegabten Kindern, auch einen positiven Effekt haben, sagt die Expertin (lesen Sie hier das ganze Interview).
Fixe Stichtage für die Selektion haben aber nicht nur einen Einfluss auf den Bildungsweg. «Aus der Sportwissenschaft ist dieser Zusammenhang hinlängst bekannt», sagt Etienne Bütikofer vom Büro für Bildungsfragen in Bern. Überproportional viele Leistungssportler gehören zu den ältesten ihrer Altersgruppe.
Die Eidgenössische Hochschule für Sport in Magglingen hat in diesem Zusammenhang den Schweizer Nachwuchs der Skifahrerinnen und Skifahrer analysiert. Die Forscher stellten fest, dass im Nachwuchskader der sogenannte «Relative Age Effect» klar nachgewiesen werden kann. Dies, weil die ältesten der kleinen Pistenflitzer gegenüber ihren um einige Monate jüngeren Mitkonkurrenten im Vorteil sind. Sie haben einen körperlichen und geistigen Entwicklungsvorsprung, der oft zu einer besseren Gesamtleistung führt.
Dieser Umstand hat Auswirkungen auf ihr Weiterkommen im Sport: Weil sie zum Zeitpunkt der Auswahl für Talentförderungsmassnahmen auf Grund ihres Entwicklungsvorsprungs besser abschneiden, kommen sie in den Genuss von speziellen Förderprogrammen, auch wenn sie später gar keine Karriere im Sport anstreben.
Gleichzeitig werden geeignete Nachwuchsathleten von Talentförderungsmassnahmen ausgeschlossen, weil sie aufgrund ihres niedrigeren relativen Alters und den damit verbundenen Konsequenzen am Wettbewerbstag eine schlechtere Leistung zeigen.
Experten beurteilen diese Effekte langfristig als ungünstig. Sie sind der Meinung, dass Selektionen nicht nur anhand von Geburtsdaten und punktuellen Leistungen durchgeführt werden sollten, sondern mehrere Faktoren berücksichtigen müssten.
Michael Romann, der an der EHSM forscht, führt aus, dass bei der Talentauswahl die Skitechnik der kleinen Sportler stärker beachtet werden sollte: «Die Sportler mit dem grössten Potenzial in der Zukunft und nicht die aktuell Leistungsstärksten sollten gefördert werden».
Etienne Bütikofer ist zudem der Ansicht, dass der Übertritt vom Kindergarten in die Primarschule wesentlich flexibler gehandhabt werden sollte als bisher – unabhängig von fixen Daten, sondern nur auf den individuellen Reifegrad eines Kindes abgestützt. Im Lehrplan 21, der sich in der Vernehmlassung befindet, ist dies bislang aber nicht vorgesehen.
Quellen