Kaufkraft-Umfrage: «Menschen können sich Alltägliches nicht leisten»
Die gefühlte Kaufkraft der Schweizer Bevölkerung nimmt ab. Das zeigt eine repräsentative Umfrage, die watson in Zusammenarbeit mit Demoscope exklusiv durchgeführt hat. Über die Hälfte der Befragten sagt, dass sie heute weniger Geld zur Verfügung hat als noch vor fünf Jahren.
watson hat bei führenden Politikerinnen und Politikern nachgefragt, wie sie die Menschen entlasten wollen und welche Rezepte sie gegen die Teuerung haben.
SP: «Abzockende Immobilienfirmen stoppen»
Für Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP, kommen die Resultate der Studie nicht überraschend. Mit den grössten Handlungsbedarf sieht sie bei den explodierenden Mieten, die für viele der Kostenfaktor Nummer Eins seien. «Sie steigen ungebremst weiter, weil Immobilienkonzerne immer mehr abzocken können dank Unterstützung im bürgerlichen Parlament.»
Darauf angesprochen, dass die Mieten insbesondere in den Städten besonders stark steigen, die oft von der SP regiert werden, sagt Meyer:
Das sei aber anspruchsvoll, weil der Anteil an profitorientierten Eigentümern, insbesondere Immobilienfirmen, stark gestiegen sei – auch in den Städten. «Darum braucht es endlich einen Renditedeckel», sagt Meyer.
Die watson-Studie zeigt: 78 Prozent der Menschen mit einem Haushaltseinkommen von unter 5000 Franken können gar nicht mehr sparen.
«Mir macht es grosse Sorgen, dass sich viele Leute eine kurzfristige Ausgabe von 2500 Franken nicht mehr leisten können». Es gehe dabei nicht darum, sich keine Ferien mehr leisten zu können:
Zoff zwischen FDP und SVP
Für FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt zeigt die Umfrage vor allem eines: Die Schweiz ist wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten. «Für Menschen, die etwas Unternehmerisches machen, wird es immer schwieriger in der Schweiz», sagt Silberschmidt. «Leider hat das Parlament in den letzten 20 Jahren vor allem die Steuern erhöht und neue Regulierungen geschaffen.»
Würde man die Wirtschaft stärken und die Menschen steuerlich entlasten, würde das dazu führen, dass die Kaufkraft der Menschen steigen würde, sagt Silberschmidt.
Was die SP vorschlägt, sei reine Umverteilungspolitik: «Das, was die Linken fordern, kostet Geld. Am Schluss muss das der Mittelstand über höhere Sozialversicherungsbeiträge, höhere Mehrwehrt- und Einkommenssteuern bezahlen», sagt Silberschmidt.
Eigentlich hätten SVP, FDP und Mitte im Parlament eine stabile Mehrheit. In wirtschaftspolitischen Fragen greife die aber zu wenig, sagt Silberschmidt:
Die Mitte habe in den letzten Jahren zusammen mit der SP einige Beschlüsse gefasst, um die Abgaben hochzufahren. «Und die SVP torpediert das Abkommen mit der EU, sie torpediert generell die internationale Offenheit der Schweiz». Auch das sei wirtschaftlich schädlich, weshalb Silberschmidt sagt: Mit einer liberalen Wirtschaftspolitik sei die FDP regelmässig in der Minderheit.
Diesen Vorwurf lässt Thomas Matter nicht auf sich sitzen. Der Nationalrat ist Mitglied der SVP-Parteileitung. «Herr Silberschmidt fordert immer wieder, dass in der Wirtschaft bürokratische Hürden abgebaut werden. Sollten wir das Vertragspaket mit der EU annehmen, werden wir eine Bürokratie erleben, wie sie die Schweiz noch nie gesehen hat», sagt Matter.
Aussenpolitische Öffnung sei nicht die Lösung, sondern die Ursache für die wirtschaftlichen Probleme. Die Kaufkraft sinke und die Mieten stiegen wegen der Zuwanderung, so Matter:
Die Schweiz baue so viele Mietwohnungen wie nie zuvor und das sei trotzdem zu wenig – wegen der Zuwanderung.
Seit Einführung der Personenfreizügigkeit sei die Wirtschaftsleistung pro Kopf kaum mehr gewachsen – wegen der Zuwanderung.
Für Matter ist darum klar, dass man die Kaufkraft nur wieder ankurbelt, wenn die Zuwanderung beschränkt wird.
Mitte: «Kinderbetreuung ist zu teuer»
Für Marianne Binder-Keller, Mitte-Ständerätin und Parteileitungsmitglied, sind die Umfrage-Ergebnisse ein Warnsignal. «Wenn die Leute das Gefühl haben, sie können sich weniger leisten als früher, muss man das ernst nehmen», sagt sie.
Dass so viele Menschen nicht mehr sparen können, bereite ihr Sorgen. «Wenn das Verhältnis zwischen Einkommen und Fixkosten nicht mehr stimmt, braucht es Massnahmen.»
Bei den Lösungsvorschlägen setzt sich die Mitte-Politikerin von SP und SVP ab. Einen Renditedeckel bei Mieten, wie ihn Mattea Meyer vorschlägt, bezeichnet sie als linkes Rezept. «Sicher braucht es eine Kontrolle bei missbräuchlich festgesetzten Mieten, aber Deckelungen habe Auswirkungen auf Investitionen und die Qualität der Wohnungen». Sie will den Fokus stärker auf die Erwerbstätigkeit von Paaren mit Familien legen, Kinderbetreuung sei in der Schweiz enorm teuer.:
Gleichzeitig widerspricht sie der SVP-Linie, die Zuwanderung zum Hauptproblem zu erklären. Die Schweiz sei ein Einwanderungsland und laufe wegen der tiefen Geburtenrate und der Alterung der Gesellschaft ohnehin «in eine schrumpfende Gesellschaft» hinein: «Wenn die Gesellschaft schrumpft, schrumpft auch der Wohlstand.» Statt nur über Ausländer zu klagen, solle man stärker ins einheimische Potenzial investieren – indem ältere Arbeitnehmende länger im Erwerbsleben gehalten würden oder Frauen besser integriert.
Bei den Krankenkassen verweist Binder-Keller darauf, dass bisher keine mehrheitsfähigen Lösungen gefunden wurden. «Die Prämien sind aber zuoberst auf unserem Radar. Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass wir die Qualität des Gesundheitssystems nicht kaputtsparen.» Angesichts von Schuldenbremse, steigenden Sicherheitsausgaben und Sparprogrammen warnt sie davor, die gesamte Last auf die Haushalte abzuwälzen: Es brauche mehr Spielraum bei der Finanzierung ausserordentlicher Ausgaben, «damit nicht am Schluss genau dort gespart wird, wo die Menschen es im Alltag am stärksten spüren».
GLP: «Familien geraten immer mehr unter Druck»
Tiana Angelina Moser, Ständerätin der GLP, rückt den Mittelstand und die Familien in den Fokus. «Es leiden nicht mehr nur die Menschen mit den geringsten Löhnen, sondern auch der Mittelstand gerät immer mehr unter Druck», sagt Moser.
Sie führt aus: «Er erhält keine Entlastung bei den Steuern, wird von den hohen Krankenkassenprämien stark getroffen, die Familien ächzen unter den Kita-Kosten.»
Darum macht sich die GLP für eine Individualbesteuerung stark: «Sie schafft eine steuerliche Entlastung für Familien. Und sie macht auch die Erwerbstätigkeit wieder attraktiver, was im Zusammenhang mit den Diskussionen um Zuwanderung und Fachkräftemangel wichtig ist.»
Die GLP setzt sich darum im Parlament für die Kita-Vorlage ein. Damit soll eine Betreuungszulage für Eltern geschaffen werden, die ihre Kinder in eine Kita schicken.
