Schweiz
Wirtschaft

Kaufkraft in der Schweiz geht zurück: So will die Politik reagieren

Über die Hälfte der Schweizer Bevölkerung kann sich das Feierabendbier nicht mehr leisten oder muss öfter darauf verzichten.
Über die Hälfte der Schweizer Bevölkerung kann sich das Feierabendbier nicht mehr leisten oder muss öfter darauf verzichten. Bild: Shutterstock
Umfrage

Kaufkraft-Umfrage: «Menschen können sich Alltägliches nicht leisten»

Sechs von zehn Menschen in der Schweiz mussten im vergangenen Jahr auf ihr Erspartes zurückgreifen. Über die Hälfte der Bevölkerung geht weniger oder gar nicht mehr ins Restaurant. Die Politik hat unterschiedliche Rezepte, die Kaufkraft anzukurbeln.
20.11.2025, 12:1020.11.2025, 12:10

Die gefühlte Kaufkraft der Schweizer Bevölkerung nimmt ab. Das zeigt eine repräsentative Umfrage, die watson in Zusammenarbeit mit Demoscope exklusiv durchgeführt hat. Über die Hälfte der Befragten sagt, dass sie heute weniger Geld zur Verfügung hat als noch vor fünf Jahren.

watson hat bei führenden Politikerinnen und Politikern nachgefragt, wie sie die Menschen entlasten wollen und welche Rezepte sie gegen die Teuerung haben.

SP: «Abzockende Immobilienfirmen stoppen»

Für Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP, kommen die Resultate der Studie nicht überraschend. Mit den grössten Handlungsbedarf sieht sie bei den explodierenden Mieten, die für viele der Kostenfaktor Nummer Eins seien. «Sie steigen ungebremst weiter, weil Immobilienkonzerne immer mehr abzocken können dank Unterstützung im bürgerlichen Parlament.»

Darauf angesprochen, dass die Mieten insbesondere in den Städten besonders stark steigen, die oft von der SP regiert werden, sagt Meyer:

«Mit mehr gemeinnützigem Wohnungsbau bleiben die Mieten langfristig bezahlbar und der Druck auf die Mieterinnen und Mieter sinkt.»
Mattea Meyer (SP)

Das sei aber anspruchsvoll, weil der Anteil an profitorientierten Eigentümern, insbesondere Immobilienfirmen, stark gestiegen sei – auch in den Städten. «Darum braucht es endlich einen Renditedeckel», sagt Meyer.

Co-Praesidentin Mattea Meyer, SP-ZH, spricht beim Jahresauftakt-Apero der SP Schweiz, am Montag, 6. Januar 2025, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Renditen deckeln, Kaufkraft ankurbeln: Das eines der Rezepte von SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer.Bild: keystone

Die watson-Studie zeigt: 78 Prozent der Menschen mit einem Haushaltseinkommen von unter 5000 Franken können gar nicht mehr sparen.

«Mir macht es grosse Sorgen, dass sich viele Leute eine kurzfristige Ausgabe von 2500 Franken nicht mehr leisten können». Es gehe dabei nicht darum, sich keine Ferien mehr leisten zu können:

«Es genügt, einmal auf etwas Hartes zu beissen und dann kann man sich den Besuch beim Zahnarzt nicht mehr leisten. Wir sprechen von grundlegenden Dingen des Alltags.»
Mattea Meyer (SP)

Zoff zwischen FDP und SVP

Für FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt zeigt die Umfrage vor allem eines: Die Schweiz ist wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten. «Für Menschen, die etwas Unternehmerisches machen, wird es immer schwieriger in der Schweiz», sagt Silberschmidt. «Leider hat das Parlament in den letzten 20 Jahren vor allem die Steuern erhöht und neue Regulierungen geschaffen.»

Würde man die Wirtschaft stärken und die Menschen steuerlich entlasten, würde das dazu führen, dass die Kaufkraft der Menschen steigen würde, sagt Silberschmidt.

Was die SP vorschlägt, sei reine Umverteilungspolitik: «Das, was die Linken fordern, kostet Geld. Am Schluss muss das der Mittelstand über höhere Sozialversicherungsbeiträge, höhere Mehrwehrt- und Einkommenssteuern bezahlen», sagt Silberschmidt.

Eigentlich hätten SVP, FDP und Mitte im Parlament eine stabile Mehrheit. In wirtschaftspolitischen Fragen greife die aber zu wenig, sagt Silberschmidt:

«Wie die Mitte und die SVP teilweise abstimmen, ist oft nicht im Sinne der Kaufkraft der Menschen.»
Andri Silberschmidt (FDP)

Die Mitte habe in den letzten Jahren zusammen mit der SP einige Beschlüsse gefasst, um die Abgaben hochzufahren. «Und die SVP torpediert das Abkommen mit der EU, sie torpediert generell die internationale Offenheit der Schweiz». Auch das sei wirtschaftlich schädlich, weshalb Silberschmidt sagt: Mit einer liberalen Wirtschaftspolitik sei die FDP regelmässig in der Minderheit.

Andri Silberschmidt, Sieger 5vor12 und Praesident Jungfreisinnige am Event "5vor12" (Swiss Venture Club und StrategieDialog21) fotografiert am 18. September 2018 im Berner Rathaus. (PPR/Manu ...
Andri Silberschmidt fühlt sich in der Wirtschaftspolitik von den anderen bürgerlichen Parteien im Stich gelassen.Bild: PPR

Diesen Vorwurf lässt Thomas Matter nicht auf sich sitzen. Der Nationalrat ist Mitglied der SVP-Parteileitung. «Herr Silberschmidt fordert immer wieder, dass in der Wirtschaft bürokratische Hürden abgebaut werden. Sollten wir das Vertragspaket mit der EU annehmen, werden wir eine Bürokratie erleben, wie sie die Schweiz noch nie gesehen hat», sagt Matter.

Aussenpolitische Öffnung sei nicht die Lösung, sondern die Ursache für die wirtschaftlichen Probleme. Die Kaufkraft sinke und die Mieten stiegen wegen der Zuwanderung, so Matter:

«Jedes Jahr wächst die Schweiz um die Bevölkerung der Stadt St. Gallen an – wegen der Zuwanderung.»
Thomas Matter (SVP)

Die Schweiz baue so viele Mietwohnungen wie nie zuvor und das sei trotzdem zu wenig – wegen der Zuwanderung.

Seit Einführung der Personenfreizügigkeit sei die Wirtschaftsleistung pro Kopf kaum mehr gewachsen – wegen der Zuwanderung.

Für Matter ist darum klar, dass man die Kaufkraft nur wieder ankurbelt, wenn die Zuwanderung beschränkt wird.

Thomas Matter, Nationalrat SVP-ZH, spricht waehrend einer Medienkonferenz zur Reform der Verrechnungssteuer, am Dienstag, 23. August 2022 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Zuwanderung nach unten, Kaufkraft nach oben: So die Rechnung von SVP-Nationalrat Thomas Matter.Bild: keystone
Kannst du nicht sparen?
Studien zeigen: Immer weniger Menschen können Geld auf die Seite legen. Arbeitest du Vollzeit und hast trotzdem am Monatsende kaum etwas übrig? Wir recherchieren für eine watson-Serie, wie sich finanzielle Unsicherheit in der Schweiz anfühlt. Melde dich anonym oder offen bei kilian.marti@watson.ch

Mitte: «Kinderbetreuung ist zu teuer»

Für Marianne Binder-Keller, Mitte-Ständerätin und Parteileitungsmitglied, sind die Umfrage-Ergebnisse ein Warnsignal. «Wenn die Leute das Gefühl haben, sie können sich weniger leisten als früher, muss man das ernst nehmen», sagt sie.

Dass so viele Menschen nicht mehr sparen können, bereite ihr Sorgen. «Wenn das Verhältnis zwischen Einkommen und Fixkosten nicht mehr stimmt, braucht es Massnahmen.»

Bei den Lösungsvorschlägen setzt sich die Mitte-Politikerin von SP und SVP ab. Einen Renditedeckel bei Mieten, wie ihn Mattea Meyer vorschlägt, bezeichnet sie als linkes Rezept. «Sicher braucht es eine Kontrolle bei missbräuchlich festgesetzten Mieten, aber Deckelungen habe Auswirkungen auf Investitionen und die Qualität der Wohnungen». Sie will den Fokus stärker auf die Erwerbstätigkeit von Paaren mit Familien legen, Kinderbetreuung sei in der Schweiz enorm teuer.:

Wenn sich die Erwerbstätigkeit für beide Elternteile rechnet, stärkt das direkt die Kaufkraft.»
Marianne Binder-Keller (Die Mitte)
Marianne Binder-Keller, Mitte-AG, spricht im Staenderat, waehrend der Fruehjahrssession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 11. Maerz 2025 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Marianne Binder-Keller hat ein anderes Rezept als SP und SVP.Bild: keystone

Gleichzeitig widerspricht sie der SVP-Linie, die Zuwanderung zum Hauptproblem zu erklären. Die Schweiz sei ein Einwanderungsland und laufe wegen der tiefen Geburtenrate und der Alterung der Gesellschaft ohnehin «in eine schrumpfende Gesellschaft» hinein: «Wenn die Gesellschaft schrumpft, schrumpft auch der Wohlstand.» Statt nur über Ausländer zu klagen, solle man stärker ins einheimische Potenzial investieren – indem ältere Arbeitnehmende länger im Erwerbsleben gehalten würden oder Frauen besser integriert.

Bei den Krankenkassen verweist Binder-Keller darauf, dass bisher keine mehrheitsfähigen Lösungen gefunden wurden. «Die Prämien sind aber zuoberst auf unserem Radar. Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass wir die Qualität des Gesundheitssystems nicht kaputtsparen.» Angesichts von Schuldenbremse, steigenden Sicherheitsausgaben und Sparprogrammen warnt sie davor, die gesamte Last auf die Haushalte abzuwälzen: Es brauche mehr Spielraum bei der Finanzierung ausserordentlicher Ausgaben, «damit nicht am Schluss genau dort gespart wird, wo die Menschen es im Alltag am stärksten spüren».

GLP: «Familien geraten immer mehr unter Druck»

Tiana Angelina Moser, Ständerätin der GLP, rückt den Mittelstand und die Familien in den Fokus. «Es leiden nicht mehr nur die Menschen mit den geringsten Löhnen, sondern auch der Mittelstand gerät immer mehr unter Druck», sagt Moser.

Sie führt aus: «Er erhält keine Entlastung bei den Steuern, wird von den hohen Krankenkassenprämien stark getroffen, die Familien ächzen unter den Kita-Kosten.»

Portrait von Staenderaetin Tiana Angelina Moser, GLP-ZH, am Rand der Fruehjahrssession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 5. Maerz 2025 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Tiana Angelina Moser sorgt sich um mittelständische Familien.Bild: keystone

Darum macht sich die GLP für eine Individualbesteuerung stark: «Sie schafft eine steuerliche Entlastung für Familien. Und sie macht auch die Erwerbstätigkeit wieder attraktiver, was im Zusammenhang mit den Diskussionen um Zuwanderung und Fachkräftemangel wichtig ist.»

Die GLP setzt sich darum im Parlament für die Kita-Vorlage ein. Damit soll eine Betreuungszulage für Eltern geschaffen werden, die ihre Kinder in eine Kita schicken.

«Womit habt ihr das verdient?» – das sagen Menschen aus Zug zur Prämiensenkung

Video: watson/hanna dedial, hanna hubacher
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
507 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Fakten_Checker
20.11.2025 10:08registriert September 2025
Andri Silberschmidt sagt ernsthaft, dass in den letzten Jahren die Steuern erhöht wurden und verschweigt die unzähligen Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche. Kann man sich nicht ausdenken.
34941
Melden
Zum Kommentar
avatar
M
20.11.2025 10:28registriert September 2015
Es macht mich wütend, dass die Bürgerlichen den Linken immer wieder vorwirft, "dass sie umverteilen wollen." Die Realität ist doch, dass insbesondere die FDP seit Jahrzehnten von unten nach oben umverteilen.
31450
Melden
Zum Kommentar
avatar
Platon
20.11.2025 10:01registriert September 2016
«Leider hat das Parlament in den letzten 20 Jahren vor allem die Steuern erhöht und neue Regulierungen geschaffen.»
Das ist einfach de facto mit den beiden Ausnahmen wie 0.3% Lohnprozente und 0.5% MWSt. für die AHV falsch. Im gleichen Zeitraum wurden Steuern gesenkt, insbesondere für Unternehmen. Und wenn wir auf die Kantone schauen, wurden insbesondere Unternehmens, Vermögens- und Grenzsteuersätze auf hohe Einkommen gesenkt. Es wurden landauf landab Steuern gesenkt, einfach für die Falschen!
22219
Melden
Zum Kommentar
507
«Nerven liegen blank»: Bitcoin-Kurs derzeit im freien Fall
Am Kryptomarkt ist es am frühen Freitag zu einem heftigen Ausverkauf gekommen. Der bekannteste Vertreter Bitcoin befand sich quasi im freien Fall und war zeitweise auf rund 82'000 US-Dollar abgesackt.
Zur Story