Die Freude war gross, beim Arbeitgeberverband, am Abstimmungssonntag vom 24. September 2017. Volk und Stände hatten soeben die grosse Vorsorgereform des damaligen Innenministers Alain Berset versenkt, mit der die Mehrwertsteuer zugunsten der AHV sowie das Rentenalter der Frauen von 64 auf 65 Jahre erhöht und der Umwandlungssatz in der 2. Säule von 6,8 auf 6 Prozent hätte gesenkt werden sollen.
Der Preis für die Reform und den dadurch entstehenden Rentenabbau wäre ein AHV-Zustupf von 70 Franken pro Person und Monat gewesen. Zu viel für die Wirtschaftsverbände. «Das Volk will keine Experimente mit unserer AHV», keinen «AHV-Ausbau mit der Giesskanne», wie der Arbeitgeberverband noch am gleichen Tag verkündete. Und er versprach: Es könne «rasch eine nachhaltige, breit abgestützte Reformvorlage ausgearbeitet werden».
Es kam bekanntlich anders. Die Mehrwertsteuer wurde zwar erhöht, das Frauenrentenalter dann fünf Jahre später auch, wenn auch das Abstimmungsresultat äusserst knapp ausfiel. Und der AHV-Zustupf ist – gegen den Willen des Arbeitgeberverbands – mit der 13. Rente auch Realität geworden, wobei er nun deutlich höher ausfällt. Einzig bei der 2. Säule gibt es keine Lösung. Nicht einmal ein Drittel der Stimmbevölkerung mochte am 22. September die Reform der beruflichen Vorsorge unterstützen. Auf der Verliererseite: der Arbeitgeberverband.
Dass die Arbeitgeber zu den grössten Verlierern gehörten, hat wohl niemand gemerkt, denn der Verband ist seit dem Abgang seines langjährigen Präsidenten Valentin Vogt in der Bedeutungslosigkeit versunken. Oder wie es ein Beobachter ausdrückt: «Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst». Vogts Nachfolger Severin Moser jedenfalls wird kaum gesichtet, höchstens an den Wettkämpfen seiner Tochter, der medaillendekorierten Stabhochspringerin Angelica Moser. Dort sei sein Herz, dort sei sein Kopf, sagen jene, die mit ihm zu tun haben.
Nun rächt sich die Machtverschiebung, die unter der Ära Vogt stattgefunden hat – weg vom Verbandsdirektoren hin zum Präsidenten. Von 2011 bis 2023 war der Industrieunternehmer im Rang eines Oberstleutnants der Kopf und die Stimme des Arbeitgeberverbands, er war vom Habitus her der CEO mit Militärerfahrung. Vogt war es, der Bundesräte und Parlamentarier traf, der mit Bundesbeamten feilschte, an Runden Tischen Platz nahm und medial gegen aussen auftrat. Der von ihm ausgesuchte Direktor Roland Müller konnte nie in die grossen Fussstapfen seiner Vorgänger treten, von Heinz Allenspach, Peter Hasler oder Thomas Daum.
Kritiker beklagen eine «Deprofessionalisierung». Vielleicht ist es auch ein Zeichen der Zeit, ist doch diese Rollenverschiebung ebenfalls bei anderen Verbänden zu beobachten. Der einst verliehene Titel des vermeintlich achten Bundesrats gehörte dem Direktor der Economiesuisse-Vorläuferorganisation «Vorort», nicht etwa dem Präsidenten. Spätestens mit der Nomination des früheren FDP-Präsidenten und -Nationalrats Gerold Bührer haben sich auch beim Wirtschaftsdachverband die Gewichte Richtung Präsidium verschoben.
Vogt war der Arbeitgeberverband, hundert Prozent Einsatz zu null Franken Lohn. Moser hingegen hat die Entlöhnungsfrage zuerst offengelassen. «Es ist noch nicht definitiv entschieden», sagte er kurz vor seiner Wahl im Interview mit CH Media. «Aber ich mache es sicher nicht wegen des Geldes.» Doch offensichtlich auch nicht ohne. Er lässt sich seine Arbeit fürs Arbeitgeberpräsidium, die offiziell mit einem 50-Prozent-Pensum veranschlagt ist, mit rund 100'000 Franken entlöhnen, wie aus Verbandskreisen zu hören ist. Der Arbeitgeberverband selbst will die Zahl nicht kommentieren.
Nun gesellt sich also beim Arbeitgeberverband zum unscheinbaren Direktor ein unsichtbarer Präsident. Während die Gewerkschaften unter dem Duo Daniel Lampart und Pierre-Yves Maillard die politische Arena beherrschen, Siege einfahren und die Schweiz in ressourcenraubende Abstimmungskämpfe verwickeln, hat die Gegenseite nichts zu bieten. «Die Gewerkschaften sind besser aufgestellt als wir», sagt ein Mann aus der Wirtschaftsverbandswelt.
Schon bei der Wahl Mosers zum Arbeitgeber-Präsidenten waren die ersten skeptischen Stimmen zu hören. Denn mit Moser übernahm erstmals ein Mann der Versicherungswelt das Amt, das bisher von Industriellen gehalten wurde. Moser, der seine Karriere bei der Allianz-Gruppe gemacht hat und nun im Verwaltungsrat von Swiss Life sitzt, hat weder Erfahrung mit Sozialpartnerschaften noch mit der Politik. Er selbst sah das nicht als Problem, im Gegenteil: «Vielleicht ist das ja auch gut, wenn man jemanden nicht kennt. Dann muss man sich ein bisschen mehr anstrengen, sich ein bisschen mehr Mühe geben, ihn zu verstehen», sagte er zu CH Media.
Nun sollten die Skeptiker recht behalten. Unter der Bundeshauskuppel ist man ratlos, in Wirtschaftskreisen schon leicht alarmiert – und bei den Gewerkschaften besorgt, weil sie kein Gegenüber mehr haben. Auch im Verband selbst ist die Stimmung gedrückt, ob der zunehmenden eigenen Bedeutungslosigkeit. Eine Abgrenzung zum viel grösseren Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, der seine Büros ebenfalls an der Zürcher Hegibachstrasse 47 hat, sei kaum noch wahrnehmbar. Der Arbeitgeberverband sei zu einer Zweigstelle von Economiesuisse verkommen, monieren Kritiker.
Gian-Luca Lardi, Präsident des Baumeisterverbands und Vize beim Arbeitgeberverband, widerspricht: «Die engere Zusammenarbeit ist gewollt und richtig.» Die drei tonangebenden Verbände, Economiesuisse, der Arbeitgeberverband und der Gewerbeverband, müssten mehr kollaborieren, um ihre Interessen zu vertreten. Severin Moser habe das erkannt und setze das auch um.
Beim Arbeitgeberverband selber sehen das nicht alle so. In der kleinen, einst verschworenen Truppe sind Risse sichtbar. Mehrere Mitarbeitende haben den Verband nach Vogts Abgang verlassen. Zuletzt der langjährige Chefökonom Simon Wey.
Bleibt die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte? Moser sass als Versicherungsvertreter seit fünf Jahren im Vorstandsausschuss des Arbeitgeberverbands, als er sich gegen Ende 2022 bereit erklärte, das Präsidentenamt zu übernehmen. Seine Nomination zuhanden der Mitgliederversammlung jedenfalls sei unbestritten gewesen, erinnern sich Beteiligte. Andere wollen wissen, dass es viel Überredungskunst gebraucht habe, um ihn dafür zu motivieren. Und wieder andere glauben zu wissen, dass Moser vor allem von jenen Kräften portiert wurde, die den Vizepräsidenten Lardi als Vogt-Nachfolger verhindern wollten. Das wäre vielleicht etwas übereifrig gewesen. «Ich habe die diesbezüglichen Anfragen stets abschlägig beantwortet», sagt Gian-Luca Lardi.
Moser zeigt sich auf Anfrage erstaunt, ob der Kritik. Der Arbeitgeberverband sei überhaupt nicht unbedeutend geworden. Er untermauert dies etwa mit der Rolle des Arbeitgeberverbands als Sozialpartner, der Teilnahme an politischen Debatten wie Hearings, der permanenten Arbeit in eidgenössischen Arbeitsgruppen und mit dessen grossem Einsatz gegen die 13. AHV-Rente und für die Reform der beruflichen Vorsorge. «Ich war in beiden Abstimmungskämpfen auch persönlich sehr präsent», sagt Moser. Das dritte gewichtige Thema des Jahres ist für den Arbeitgeberverband die potenzielle Anpassung des Lohnschutzes im Rahmen der EU-Verhandlungen.
Moser hat sich zwar grundsätzlich für die Bilateralen ausgesprochen. «Aber», ergänzt er, «wir werden unser liberales Arbeitsrecht nicht opfern, auch nicht für die Bilateralen.» Der EU-Deal wird zur Bewährungsprobe für seinen Verband. Und für ihn selbst.
Heute wird nur noch abgesahnt 😉
Der Arbeitnehmer ist nämlich nicht dumm und hat in den letzten Jahrzenten gesehen, dass er von den durchaus florierenden Jahren nicht profitieren konnte.
AG und AN sind ein Team und jeder dieser Parteien ist gegenseitig aufeinander Angewiesen!