Das Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union ist und bleibt kompliziert, und das seit Jahrzehnten. Auf das Nein zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) 1992 folgten jahrelange Verhandlungen, die vor 25 Jahren zur Unterzeichnung der bilateralen Verträge führten. Fünf Jahre später folgte mit den Bilateralen II ein weiteres Paket.
Aus Anlass dieses «Doppeljubiläums» hat das Forschungsinstitut GFS Bern im Auftrag der SRG eine Umfrage unter knapp 20’000 Stimmberechtigten durchgeführt. Die am Freitag veröffentlichten Resultate ergeben ein hochgradig ambivalentes Bild. Die Institution EU wird überwiegend negativ beurteilt, die Bilateralen hingegen stossen auf grosse Zustimmung.
Neu ist dieser Befund nicht. Er kommt auch in anderen Erhebungen zum Ausdruck, etwa in der jährlichen Sicherheitsstudie der ETH-Militärakademie. In der aktuellen Ausgabe vom März 2024 wollten nur gerade 17 Prozent der Befragten der EU beitreten, doch nicht weniger als 82 Prozent wünschten sich eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Nach einem Beitritt wurde in der SRG-Studie nicht gefragt. Doch 49 Prozent der Befragten empfinden eher oder sehr negative Gefühle gegenüber der EU. Nur 28 Prozent beurteilen die Union positiv. Für eine deutliche Mehrheit ist die EU ein «bürokratischer Moloch», der nicht fähig ist, «auf die grossen Herausforderungen dieser Welt richtig zu reagieren».
Dies ist eine stark klischierte Sicht, beeinflusst durch die Tatsache, dass die Schweiz in erster Linie mit der EU-Kommission in Brüssel zu tun hat. Dabei ist die EU die Summe ihrer 27 Mitgliedsstaaten. Und sie hat in den letzten Jahren etwa bei der Beschaffung von Corona-Impfstoffen gezeigt, dass sie in Krisen handlungsfähig ist.
Immerhin ist auch die Meinung der Schweizer Stimmberechtigten nicht nur schwarzweiss. 50 Prozent anerkennen, dass es dank der EU seit Jahrzehnten in Westeuropa keine Kriege mehr gibt. Und nur 41 Prozent glauben, es ginge den einzelnen Ländern besser, wenn sie die EU verlassen würden (der Brexit lässt grüssen). Die von der EU geschaffene Stabilität wird durchaus anerkannt.
Weitaus mehr als vom Friedensprojekt sind die Schweizer allerdings von der wirtschaftlichen Bedeutung der EU überzeugt. Eine satte Mehrheit von 88 Prozent der Befragten findet die bilateralen Verträge wichtig für die Schweizer Wirtschaft. Selbst bei den Anhängern der vehement EU-feindlichen SVP vertreten 72 Prozent diese Ansicht.
Eine ambivalente Haltung zeigt sich nicht unerwartet zur Personenfreizügigkeit. 69 Prozent anerkennen, dass die Wirtschaft dank den Bilateralen ihren Bedarf an Fachkräften decken kann. Allerdings findet eine Mehrheit auch, dass die Zuwanderung aus der EU zu einer Belastung der Sozialwerke führe und die Miet- und Immobilienpreise in die Höhe treibe.
Im Gesamtbild aber ist die Bilanz positiv. 54 Prozent finden, die bilateralen Verträge seien vorteilhaft für die Schweiz. Für 26 Prozent überwiegen die Nachteile. Und 71 Prozent stehen hinter dem Entscheid des Bundesrats, mit der EU über eine Weiterentwicklung der Bilateralen zu verhandeln. Die Gespräche laufen und sollen bis Ende Jahr abgeschlossen werden.
Selbst unter jenen Befragten, die dem Bundesrat tendenziell misstrauen, befürwortet eine Mehrheit die Verhandlungen über die «Bilateralen III». Und den grössten Einfluss auf ein allfälliges Abstimmungsergebnis haben laut der Umfrage die Exportwirtschaft und die Wirtschaftsverbände, gefolgt von der SVP und vom Bundesrat.
Die SRG-Umfrage zeigt: Die Schweizer Stimmberechtigten beurteilen das Verhältnis zur EU primär nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Das ist ein Dämpfer für jene EU-Gegner wie die Zuger Kompass-Milliardäre und ihre angejahrten Promis, die die eher abstrakten institutionellen Fragen und die angeblichen Gefahren für die direkte Demokratie betonen.
Ein neues Vertragspaket ist eben nicht so chancenlos, wie immer wieder ohne Faktenbasis behauptet wird. Es braucht aber einen engagierten Einsatz von Bundesrat und Wirtschaftsvertretern. Und besonders für eine Partei zeichnet sich eine Zerreissprobe ab, denn die EU wird nicht etwa von der Basis der proeuropäischen Grünliberalen am positivsten beurteilt.
Es ist der SP-Anhang, der sich am deutlichsten pro EU äussert. Nicht weniger als 75 Prozent wünschen sich eine noch stärkere Zusammenarbeit. Gleichzeitig positionieren sich die Gewerkschaften mit knallharten Forderungen zum Lohnschutz. Auf dieses Dilemma hat die SP bislang keine überzeugende Antwort oder gar eine Strategie gefunden.
Als Fazit bleibt die bekannte Erkenntnis, dass die Schweiz im Verhältnis mit der EU am liebsten den Fünfer und das Weggli hätte: möglichst grosse politische Distanz und möglichst grosse wirtschaftliche Nähe. Diese Ambivalenz und nicht etwa die Kontroverse um «Schutzklauseln» bleibt dies die eigentliche Knacknuss im Streit um die «Bilateralen III».
Aber immerhin können wir dank den Bilateralen die Nachteile der EU in vollen Zügen geniessen.
Danke für nichts, Christoph.