Thomas Hildbrand, Staatsanwalt des Bundes, will anscheinend um jeden Preis anklagen. Das dürfte bedeuten: Nächstes Jahr werden sich Sepp Blatter (85) und Michel Platini (66) als Beschuldigte vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona verantworten müssen.
«Es ist wohl davon auszugehen, dass die Bundesanwaltschaft noch dieses Jahr Anklage erhebt; derzeit läuft eine Beweismittelfrist», sagt Platinis Schweizer Anwalt Dominic Nellen. Die Anklage erfolgte somit noch vor Amtsantritt des neuen Bundesanwalts Stefan Blättler.
Ist es ein Krimi, ist es eine Intrige? Es ist jedenfalls ein Verfahren, das eine lange und undurchsichtige Geschichte hat. Eröffnet wurde es im Herbst 2015 vom Staatsanwalt des Bundes Olivier Thormann - er ist heute Richter am Bundesstrafgericht in Bellinzona. Unklar ist, wer ihn auf einen alten Vorgang aufmerksam machte: Eine Zahlung von 2 Millionen Franken, die die Fifa unter Präsident Blatter 2011 an Uefa-Präsident Platini geleistet hatte.
Laut Blatter und Platini handelte es sich um ein geschuldetes Honorar aus der Zeit, als der ehemalige Fussballer als Berater für den Fifa-Chef arbeitete. Es sei mündlich vereinbart worden, was sich aber durch Dokumente belegen lasse.
Aber Staatsanwalt Hildbrand will offenbar partout beweisen, dass Platini das Geld erhielt, weil er auf eine Kandidatur gegen Blatter als Fifa-Chef verzichtete und auch nicht den Gegenkandidaten Mohamed bin Hammam unterstützte. Beweise für diese These sind allerdings bislang nicht bekannt.
Platini vermutet im Gegenteil eine Intrige, die ab Sommer 2015 unter Führung des heutigen Fifa-Chefs Gianni Infantino ablief (was dieser vehement bestreitet). Demnach wurden der damalige Bundesanwalt Michael Lauber und sein Chef Wirtschaftskriminalität Thormann gezielt instrumentalisiert, um ein Verfahren gegen die beiden Topfunktionäre zu eröffnen.
Das geschah am 25. September 2015. Die Bundesanwaltschaft publizierte eine Medienmitteilung mit den Namen von Blatter und Platini. Damit waren Blatter und sein wahrscheinlicher Nachfolger schachmatt gesetzt; die Fifa suspendierte alle beide. Die Bahn auf den Fifa-Thron war frei für Infantino.
Platini-Anwalt Nellen ist nach wie vor der Ansicht, dass eine Anklage «absurd» wäre. «Man könnte das Verfahren aufgrund der Beweislage längst einstellen. Vermutlich ist die Bundesanwaltschaft aber unter Druck der Fifa, die Beschwerde gegen eine Einstellung erheben würde.»
Klar ist für den Berner: «Fifa-Präsident Infantino hat alles Interesse daran, den Fall möglichst lange am Kochen zu halten, denn während dieser Zeit ist Platini als möglicher Herausforderer für das Fifa-Präsidium so gut wie ausgeschaltet.»
Für die Vorgänge im Sommer 2015 - es gab zwei Monate vor der Eröffnung des Verfahrens ein ungeklärtes Treffen von Infantinos Jugendfreund Rinaldo Arnold mit Bundesanwalt Lauber - interessierte sich auch Sonderermittler Stefan Keller. Er untersuchte die Hintergründe der «Schweizerhof»-Geheimtreffen zwischen Infantino und Lauber, bis er durch einen umstrittenen Entscheid des Bundesstrafgerichts ausser Gefecht gesetzt wurde
Zwei der drei Richter, die den Entscheid fällten gehören wie Infantinos Anwalt Dave Zollinger der Zürcher SVP an. Die Richterin, die das Urteil vorbereitete, war zudem einst Stellvertreterin Zollingers bei der Zürcher Staatsanwaltschaft - dies geht aus einem Entscheid des Bundesgerichts in anderer Sache hervor.
Auch Blatters Anwalt Lorenz Erni ist, wie jener von Platini, dem Vernehmen nach «optimistisch» in Bezug auf ein allfälliges Verfahren vor Gericht. Das Blatter-Lager begrüsst es, sagen Eingeweihte, wenn es nach sechs langen Jahren der Untersuchung durch die Bundesanwaltschaft endlich zu einer Verhandlung komme und Blatter sich verteidigen könne.
Handkehrum: Blatters Gesundheitszustand ist nach wie vor fragil. Im letzten Winter lag er nach einer Herz-OP über eine Woche im künstlichen Koma, litt zudem an Corona. Es vergehe keine eine Woche ohne Arztbesuch.
Die Bundesanwaltschaft will sich zum exakten Stand des Verfahrens, das theoretisch auch mit Einstellung oder Strafbefehl enden kann, nicht äussern. Sie ermittelt sowohl gegen Blatter wie Platini wegen Verdacht auf Betrug und Urkundenfälschung. Gegen Blatter zudem wegen Veruntreuung und ungetreue Geschäftsbesorgung, Platini wird hier jeweils Teilnahme vorgeworfen.
Blatter sieht sich inzwischen durch neue Fakten gestärkt. Die USA sprachen der Fifa eine Entschädigung von 201 Millionen Dollar zu. Das Geld war bei korrupten amerikanische Fifa-Funktionären beschlagnahmt worden. Der Ball war noch unter Blatter ins Rollen gebracht worden, so hatte die Fifa 2014 Strafanzeige gegen unbekannt eingereicht. Infantino könne jetzt auch diese Früchte ernten, sticheln Blatter-Freunde. (aargauerzeitung.ch)