Den Durchblick zu behalten, ist im Bundeshaus nicht immer einfach. Noch schwieriger war dies für die Parlamentarier am Montag, als die Herbstsession begann: Die Ratssäle sind voller Plexiglastrennwände. Wer zuhinterst sitzt, muss durch mehrere Glasscheiben nach vorne blicken. Es führt, einmal mehr, zu leicht verzerrten Wahrnehmungen bei einigen Politkern.
Derweil ist SP-Nationalrätin Franziska Roth stolz auf ihre Stimme: Ein Kollege habe sie hinter der Maske nicht erkannt, aber an der Stimme, lacht die Solothurnerin. Es war ein Sessionsbeginn, von dem wohl jedem Parlamentarier Anekdoten in Erinnerung bleiben werden.
Bei der SVP ist die Maskentragrate am tiefsten unter allen Parteien. Dass Ex-Parteipräsident Albert Rösti keine trägt, ist in diesem Moment aber verständlich: Der Berner Nationalrat ist zu spät dran und rennt im Eiltempo die grosse Treppe im Bundeshaus hoch. Später wird er in der Wandelhalle noch immer keine Maske tragen.
Die St. Galler SVP-Nationalrätin Esther Friedli verteidigt dies: «Man kann sich im Bundeshaus gut an die Distanzregeln halten, da braucht es keine Maske.» In ihrem Landgasthof im Toggenburg trage sie auch keine, und bis heute habe es keinen Coronafall gegeben. «Wir müssen nun mal mit diesem Virus leben lernen, kühlen Kopf bewahren und eigenverantwortlich handeln», findet Friedli. Demokratie heisse auch, sein Gesicht zu zeigen.
Das Tragen von Masken wird im Bundeshaus zwar «dringend» nahegelegt. Drinnen in den Ratssälen freilich, zwischen den Plexiglasscheiben, hält sich nur eine Minderheit an diese Empfehlung. Besonders beflissen zeigt sich die SP-Spitze, die fast geeint in der hintersten Reihe mit Maske sitzt. Die einfachen Fraktionsmitglieder sehen es meist lockerer und bleiben «oben ohne».
Ja, man kann sich drinnen noch so vorbildlich verhalten. Spätestens wenn man eine Zigarette rauchen will, wird es schwierig mit der Maske. Und wer sich auf dem engen Raucherbalkon Feuer geben will, muss noch näher zusammenrücken. So sündigen mal kurz Parlamentarierinnen wie Christa Markwalder oder Aline Trede.
Von Beginn weg einfacher macht es sich Jacqueline Badran (SP). Sie eilt auf den Raucherbalkon und verwirft, angesprochen auf die fehlende Maske, die Hände. «Ich bin total dagegen, das ist nichts für mich.»
Lobbyisten haben teils einen schlechten Ruf, und nicht alle Parlamentarier sind unglücklich, dass sie derzeit draussen bleiben müssen. Doch CVP-Nationalrätin Marianne Binder (AG) bricht eine Lanze für den Berufsstand. Lobbyisten, etwa Vertreter von Behindertenorganisationen, gehörten zum Meinungsbildungsprozesses in der Demokratie. Die Bundespolitik dürfe sich nicht abschotten, warnt Binder. «Wir sind hier ja nicht im Kreml.»
Andreas Aebi, SVP-Nationalrat aus Bern, genehmigt sich am Eingang zur Wandelhalle ein Stück Schokolade. «Da kann ich die Maske abnehmen», erklärt er. Angesprochen darauf, dass die Parlamentarier in ihren Plexiglas-Boxen im Saal etwas an das aufgereihte Vieh im Stall erinnern, sagt er: «Nein, das da ist nicht tierschutzgerecht. Es muss zwei in einer Box haben.»
Bitte bedienen! Der Obstverband stellt immer Äpfel und Birnen hin, bei denen sich die Parlamentarier bedienen können. Sogar Plastikhandschuhe sind nun da, damit sich Parlamentarier coronakonform an den Kistchen bedienen können. Ob die Maske für einen Rückgang der Konsumation sorgt? Immerhin heisst es doch: «An apple a day, keeps the doctor away!»
FDP-Fraktionschef Beat Walti und Parteichefin Petra Gössi unterhalten sich auf einem Sofa in der Wandelhalle – in neutraler Maske. Erstaunlich: Eben erst verteilte die FDP Werbemasken, «Freiheit» und «Selbstverantwortung» stand drauf. Doch die FDP-Spitze trägt diese Botschaft heute nicht in die Welt hinaus.
Nicht sonderlich wohl im Bundeshaus fühlt sich Lorenz Hess. «Wir erleben hier gerade den Versuch, ein wenig Sessionsromantik zu erzeugen», kritisiert der Berner BDP-Nationalrat. Er hätte es bevorzugt, wenn die Ratskammern sich weiterhin in den weitläufigen Hallen der Bernexpo getroffen hätten. Gleicher Meinung ist FDP-Nationalrat Kurt Fluri: «In den Expohallen war es ruhiger, da konnten wir uns wunderbar auf unsere Arbeit konzentrieren.»