«Wir sind erschüttert und wütend darüber, was Betroffene von sexualisierter Gewalt an der Universität Basel erlebt haben und immer wieder erleben müssen», heisst es im Ankündigungsflyer für eine Demonstration, die am kommenden Montag vor der Universität Basel stattfinden soll.
Anfang November hatte ein Beitrag der SRF-Sendung Kassensturz offengelegt: Zwei Professoren, denen 2018 und 2019 sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden, wurden abgemahnt, forschen und lehren aber weiterhin an der Universität Basel. Die zwei betroffenen Frauen haben die Universität mittlerweile verlassen. Die Universitätsleitung versuchte, die Fälle unter Verschluss zu halten.
Die externen Untersuchungen der beiden Fälle sind eigentlich längst abgeschlossen. Dass die Öffentlichkeit jetzt darüber diskutiert, liegt an einem Gerichtsstreit um die Herausgabe der Untersuchungsberichte, den ein SRF-Journalist nach drei Jahren für sich entschieden hat. «Kassensturz» hat watson die Untersuchungsberichte auf Anfrage zugänglich gemacht.
Der erste Fall, der in der Sendung beschrieben wird, war bereits 2019 durch Medienberichte publik gemacht und breit diskutiert worden. Seinen Anfang nahm er vor über zehn Jahren an einer anderen Universität. Der Professor nutzte dort seine Machtposition aus und wurde gegenüber einer 18 Jahre jüngeren Studentin, die hier Amelie N.* genannt wird, mutmasslich sexuell übergriffig, so ist es in einem online einsehbaren Erfahrungsbericht der Frau und in Medienberichten zu lesen. Bald darauf betreute derselbe Professor die Frau als Doktorandin, mittlerweile an der Universität Basel. Wie aus dem Untersuchungsbericht hervorgeht, setzte der Professor die Übergriffe in Basel fort. Er nutzte seine Stellung aus, um die Doktorandin zu «sexuellen Handlungen zu überreden». Die Frau brach ihr Doktorat nach sieben Jahren ab und verliess die Universität.
Der zweite geschilderte Fall war der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt. Die Betroffene ist eine ehemalige Studentin und studentische Hilfskraft, die hier Nora T.* genannt wird. Im Fernsehbericht schildert sie, wie ihr Professor und Vorgesetzter mehrfach versucht habe, ihr körperlich näherzukommen und verbal oder in E-Mails Grenzen überschritten habe. Auf einer beruflichen Reise sei es dann zu körperlichen Annäherungsversuchen gekommen, die die Studentin ablehnte.
Die Schilderungen der jungen Frau, die die Universität später trotz akademischer Ambitionen verlassen hat, sind beklemmend. Er habe versucht, sie zu küssen, liess sie nicht gehen, erzählt sie im «Kassensturz»-Bericht: «Ich wollte weg und er hielt mich fest.» Im Untersuchungsbericht heisst es allerdings, die sexuelle Belästigung könne «nicht als zweifelsfrei nachgewiesen erachtet werden», mangels Zeugen. Es handle sich aber um «einen Grenzfall» und das Verhalten des Professors sei «als nicht adäquat zu bezeichnen.»
Die zwei Fälle haben vier Dinge gemeinsam. Erstens befanden sich beide Frauen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den älteren Professoren, die nicht nur ihre Vorgesetzten waren, sondern auch ihre akademischen Leistungen bewerteten. Zweitens trauten sich die Betroffenen in beiden Fällen erst, Beschwerde bei der Universität einzureichen, als sie ihr Studium beendet oder das Doktorat abgebrochen hatten. Drittens erhielten beide Professoren eine Abmahnung, mit Verweis darauf, dass man nun «tadelloses» Verhalten erwarte, ansonsten drohe die Kündigung. Viertens fühlen sich beide Betroffenen von der Universität im Stich gelassen.
Die Schilderungen der ehemaligen Studentinnen sind Gesprächsthema in der Mensa, auf den Gängen, in studentischen Gruppen. Gegenüber watson sagt ein Student, er störe sich daran, dass die Universität nicht auf die Berichte reagiere:
Bei anderen Studierenden führt das Schweigen der Uni dazu, dass mangels Informationen ein Misstrauen gegenüber allen infrage kommenden Professoren entsteht. Eine Studentin sagt zu watson:
Die Studierendenvertretung des Studiengangs, in dem einer der mutmasslich übergriffigen Professoren unterrichtet, berichtet von einer angespannten Stimmung am Institut. Es herrsche eine grosse Unsicherheit, wie man aus juristischer Sicht über die Fälle sprechen könne. Die Berichte hätten aber auch wertvolle Diskussionen in Gang gesetzt. Gemeinsam mit anderen universitären Gruppen arbeitet die Studierendenvertretung an Forderungen zum Schutz der Studierenden und Mitarbeitenden, die an das Rektorat übergeben werden sollen. Die Studierendengruppe betont allerdings: Sie wolle keine Hetzjagd auf die Professoren machen.
Auch auf Professorenstufe habe die Universität nicht über die Fälle informiert, wie ein Professor, der an einem der betreffenden Institute lehrt, gegenüber watson bestätigt. Er habe erst durch den «Kassensturz»-Bericht erfahren, dass eine Untersuchung wegen sexueller Belästigung an seinem Institut stattgefunden hatte.
Gegenüber watson bestätigt die Universität Basel, sie habe bewusst auf eine Kommunikation der untersuchten Fälle sexueller Belästigung verzichtet. Mediensprecher Matthias Geering sagt, man wolle keinen «Präzedenzfall» schaffen, da es sein könne, «dass betroffene Personen einen Fall melden möchten, ohne dass dieser später kommuniziert wird». Die zwei Betroffenen Amelie N. und Nora T. kritisierten im «Kassensturz»-Bericht allerdings, dass die Universität mit den Interessen der Betroffenen argumentiert habe, ohne diese zu fragen.
Die Universität dürfe diese Information zurückhalten, wenn ein privates Interesse dem öffentlichen gegenüberstehe, so der Mediensprecher der Universität Basel zu watson. Sie beruft sich dabei auf das kantonale Informations- und Datenschutzgesetz.
Die Strafrechtsprofessorin Brigitte Tag von der Universität Zürich findet es korrekt, dass die Öffentlichkeit nur einen beschränkten Einblick in die Untersuchungen zu sexueller Belästigung hat und dass die Universität Basel zunächst rechtlich abklären liess, ob und inwieweit sie die Untersuchungsberichte zu den zwei Fällen herausgeben muss. Die Opfer dürften nicht erneut viktimisiert werden und die Entscheidung, die Fälle öffentlich zu machen, müsse gerade auch bei den Betroffenen selbst liegen. Wenn es an der Universität aber zu Gerüchten komme, die ein ungutes Arbeits- und Studienklima erzeugten, halte sie eine sachliche Information vonseiten der Universitätsleitung oder der Institutsleitung für richtig.
Tag hält fest, dass sie der Universität Basel keine Ratschläge erteilen wolle, sondern nur aus ihrer Erfahrung sprechen könne.
Auch Brigitte Tag, Strafrechtsprofessorin an der Universität Zürich, weiss, dass Universitäten für sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch besonders anfällig sind. Universitäten und Bildungseinrichtungen allgemein wiesen ein klar hierarchisches Verhältnis auf.
Das sei nicht nur ein Problem von Schweizer Universitäten, sondern generell von Orten, die von Macht und steilen Gefällen geprägt seien.
An Hochschulen bündeln sich gleich verschiedene Risikofaktoren, die Übergriffe begünstigen: prekäre Anstellungsbedingungen, starke Abhängigkeitsverhältnisse, hierarchische Strukturen. Die Dunkelziffer der Vorfälle sexueller Belästigung ist hoch, die Angst der Betroffenen vor negativen Konsequenzen gross. In einer gemeinsamen Kampagne lancierten Schweizer Hochschulen vor einem Jahr deswegen einen Aktionstag gegen sexuelle Belästigung, den «Sexual Harassment Awareness Day». Auch die Universität Basel beteiligte sich daran.
Matthias Geering, Mediensprecher der Universität Basel, betont, dass die Universität im Nachgang der beiden Untersuchungen Veränderungen angestossen habe.
Geändert hat sich nach den Fällen tatsächlich einiges, zumindest formal: So gibt es an der Universität ein neues Reglement zum Schutz der persönlichen Integrität und einen Code of Conduct, und eine Koordinationsstelle «Persönliche Integrität» wurde geschaffen.
Studierende und Mitarbeitende äussern allerdings Zweifel daran, dass die Veränderungen in zukünftigen Fällen greifen werden. Dass Professoren, die in der Vergangenheit Grenzüberschreitungen begangen haben, weiterhin an der Universität unterrichten, alarmiere sie, wie diese Studentin zu watson sagt:
Eine andere Studentin erzählt nach Bekanntwerden der zwei Fälle und dem Umgang der Universität mit diesen, dass ihr Vertrauen in die universitären Strukturen beschädigt sei.
Harsche Kritik an der Universitätsleitung im Umgang mit sexualisierter Gewalt kommt vom Kollektiv Dulifera, das sich vor zwei Jahren aufgrund des Falls der Doktorandin Amelie N. gebildet hat. Das Kollektiv wandte sich im Oktober 2022 in einem offenen Brief an die Universität. Ihre Forderungen: Transparenz und Trainings im Umgang mit sexualisierter Gewalt, eine Dokumentationsstelle für Mikro-Diskriminierungen oder eine stärkere Sanktionierung in Fällen, in denen sexuelle Belästigung nachgewiesen werden kann.
Im Gespräch mit watson sagen Personen aus dem Kollektiv: «Die Universität sieht nicht, welches Ausmass das Problem der sexualisierten Gewalt an der Universität hat.» Seitdem die Vorwürfe sexueller Belästigung an der Uni Basel mediale Aufmerksamkeit erlangt haben, hätten sie mehrere Anfragen von verunsicherten Studierenden erreicht. Die von der Universität initiierten Veränderungen nach den zwei Fällen, die 2018 und 2019 untersucht wurden, sieht das Kollektiv zwar positiv. Mit Veränderungen allein sei es aber nicht getan:
Zu einer Aufarbeitung gehöre eine klare Positionierung der Universität auf der Seite der Betroffenen und strengere Massnahmen, in den Fällen, in denen Grenzüberschreitungen festgestellt würden, so die Mitglieder des Kollektivs.
Warum durften die Professoren bleiben? Vonseiten der Universität Basel heisst es, dass man in den beiden Fällen, die nun öffentlich diskutiert werden, den Empfehlungen gefolgt sei, die die externe Untersuchungsperson damals gemacht hatte.
Damit es zu einer Kündigung komme, müssten «gravierende Verletzungen» vorliegen, so Geering. In Bezug auf die beiden Fälle sei die untersuchende Person offenbar nicht zu diesem Schluss gekommen, so die Uni Basel. Unter diesen Umständen sei es schwierig, ein öffentlich-rechtliches Arbeitsverhältnis zu kündigen.
Brigitte Tag, die an der Universität Zürich Untersuchungen in Fällen sexueller Belästigung durchführt, weist darauf hin, dass es für eine Kündigung auch die Prognose brauche, dass die Person in Zukunft untragbar sei. Dies könne sich zum Beispiel aus dem vergangenen Verhalten ableiten.
Komme die Universität zum Schluss, dass es nicht verhältnismässig ist, einer Person nach sexueller Belästigung zu kündigen, könne sie das unter Beachtung des rechtlichen Rahmens machen.
Auf Anfrage von watson sagt die Universität Basel, sie betreibe kein Monitoring, um zu überprüfen, ob das Verhalten der beiden Professoren seit den Untersuchungen tadellos geblieben sei. Im Umfeld der betreffenden Professoren wurde somit auch nicht nach möglichen weiteren Fällen gesucht, Betroffene müssten sich von sich aus bei der Anlaufstelle melden.
Dieses Vorgehen stösst beim Kollektiv Dulifera auf Kritik. Es signalisiere, dass die Positionierung der Universität gegen sexuelle Belästigung scheinbar ohne konkrete Folgen bleibt.
Für die Strafrechtsprofessorin Brigitte Tag handelt es sich hierbei auch um ein rechtliches Problem. Man könne zwar sagen, dass solche Fälle für die Institution hohe Priorität haben sollten und dass bei einem Verstoss im Rahmen des Rechts durchgegriffen werde.
Zwei Wochen, nachdem der «Kassensturz» über die zwei Vorfälle sexueller Belästigung berichtet hat, bleibt die Universität Basel dabei, dass sie auch über zukünftige Fälle nicht informieren wolle. Während die Universität gerne über angestossene Veränderungen spricht, thematisiert sie die Fälle sexualisierter Gewalt, die diese ausgelöst haben, nicht. Selbst, wenn die Betroffenen dies öffentlich einfordern. So bleibt der Eindruck, dass im Zentrum des Handelns weiterhin die eigene Reputation steht. Eine offene Debatte über das Ausmass der sexualisierten Gewalt an der Universität wird damit erschwert. Die heftigen Reaktionen unter Studierenden, Mitarbeitenden und universitären Gruppen zeigen allerdings, wie gross das Informationsbedürfnis und der Wunsch nach einer klaren Haltung der Universität sind.
Seit 2020 seien zwei weitere Beschwerden wegen sexueller Belästigung eingegangen, sagt die Universität Basel zu watson. Weitere Angaben werden keine gemacht. So dürften auch diese Fälle so lange unsichtbar bleiben, bis Betroffene damit an die Öffentlichkeit gehen.
Die UNI müsste zumindest einen Wechsel des Studienleiters/Doktorvaters anbieten.
es braucht erst einen grossen skandal wie bei der rkk, bis die universitäten handeln wollen und können.