«Sie haben über meine Brüste gesprochen, sobald ich ihnen den Rücken zudrehte. Und die ganze Runde lachte. Ich versuchte danach, sie noch besser zu verstecken», sagt die Rekrutin Milena* (*Name der Redaktion bekannt) im Gespräch mit watson. Sie habe viel Diskriminierung in der Armee erlebt, aber weil sie Angst habe vor weiteren Vorverurteilungen, möchte sie das nur anonym mitteilen.
Das Gleiche gilt für die Soldatin Rebekka*, die sagt: «Jede Frau, die das Militär gemacht hat, kann Beispiele nennen, wie sie diskriminiert oder sexistisch beleidigt wurde.» Übergriffige Kollegen oder Vorgesetzte, die einen unpassend anfassen, davon habe sie schon von anderen Soldatinnen erfahren.
Am meisten brodle die Gerüchteküche, sagt Rebekka: «Es heisst immer, Frauen hätten etwas mit diesem und jenem Soldaten gehabt. Oder dass sie mit dem Zugführer schlafen wollen. Manchmal wird uns sogar vorgeworfen, dass man als Frau nur wegen der Männer im Militär sei.» Rebekka selbst musste wegen solcher Gerüchte auch schon bei Vorgesetzten antraben. «Die haben mich schon von Anfang an verurteilt, anstatt mich zu fragen, ob es auch stimmt», sagt sie.
Aus diesem Grund hat sich Rekrutin Milena nicht getraut, mit Vorgesetzten über ihre Erlebnisse zu sprechen. Sie fand andere Lösungen, um sexistische und diskriminierende Sprüche zu vermeiden: «Wenn eine Gruppendynamik heikel wurde, versuchte ich, mich zu entfernen. Bei anzüglichen Sprüchen sucht man lieber das Weite, bevor es zu ungewolltem Körperkontakt kommt», sagt sie.
Die zwei Frauen gut verstehen kann Carmen Affentranger, Präsidentin des Vereins Frauen im TAZ (Tarnanzug). Der vom Militär unabhängige Verein setzt sich für Frauen in der Armee ein.
Affentranger selbst habe auch schon sexistische Sprüche im Militär über sich ergehen lassen müssen. Aber sie wisse von anderen, die «ausgeprägtere Erfahrungen» gemacht hätten. «Alle Frauen in der Armee, mit denen ich mich austausche, sehen das Problem und den Handlungsbedarf», sagt sie zu watson. Aktuell gebe es keine richtigen Massnahmen gegen Diskriminierung und sexuelle Gewalt.
«Als Frau wird man noch eher sensibilisiert, aber meistens auch stigmatisiert. Oft hat es eine Tendenz von Victim Blaming – durch Verhaltensregeln für Frauen oder Tipps, wie man sich anziehen soll, damit es nicht anstossend ist», sagt Affentranger.
Sie fordert generell eine bessere Aufklärung – speziell als Bestandteil der Führungsausbildung. Und zwar nicht nur, um Frauen zu schützen: «Von Diskriminierung können alle in der Armee betroffen sein – auch Männer. Gerade wenn sie einer Minderheit angehören durch ihre Religion oder Sexualität», sagt sie.
Die Erlebnisse der Frauen im Schweizer Militär sind keine Einzelfälle. Erst diese Woche wurde ein mutmassliches Sexualdelikt in der Armee bekannt. Es wurde eine Untersuchung gegen einen Mann eröffnet. Jährlich gebe es rund vier bis sechs solcher Fälle, wie Militärjustiz-Sprecher Florian Menzi auf Anfrage von watson mitteilt.
Zurzeit führe die Militärjustiz 17 Verfahren, bei welchen der Verdacht bestehe, dass ein Delikt gegen die sexuelle Integrität vorliegen könnte. «Diese Verfahren wurden teilweise wegen eines vagen Anfangsverdachts eröffnet und decken eine grosse Bandbreite ab. Diese kann von sexistischen Sprüchen, respektive sexueller Belästigung, bis hin zu schweren Sexualdelikten reichen», schreibt Menzi.
Um herauszufinden, wie gross das Problem tatsächlich ist, führt die Armee nun zum ersten Mal eine Umfrage zum Thema durch. Diese beschäftigt sich mit der Frage, wie Diskriminierung und sexuelle Gewalt im Schweizer Militär vorkommen. Bis Ende März sollen «3700 in die Armee eingeteilte Frauen sowie eine ähnlich grosse Stichprobe von Männern» ihre Erfahrungen dazu teilen, wie Armeesprecher Stefan Hofer auf Anfrage von watson mitteilt.
Bis Anfang 2024 soll dann ein «Sensibilisierungs- und Ausbildungssystem entwickelt werden», in das die Ergebnisse der Studie einfliessen werden. Gleichzeitig werde von der Armee eine neue Strategie zur Förderung und zum Umgang mit Diversität erarbeitet, so der Armeesprecher. Dafür wurde 2022 die Melde- und Beratungsstelle für Frauen in der Armee und Diversität (FiAD) eingeführt. Diese hilft einerseits bei frauenspezifischen Fragen und Bedürfnissen und berät andererseits allgemein in Diversitätsanliegen, erklärt Hofer.
fw_80
Rethinking
Wenn gegen 50% der Armeeangehörigen weiblich sind, wird die Kultur sich schnell ändern, solange es do wenige Frauen hat, sicher nicht…
felixJongleur