Irgendeinmal ging es dem Publikum im Nationalratssaal wie der Hochzeitsgesellschaft beim Dia-Vortrag des Schwiegervaters: Das war ja alles ganz interessant und mitunter sogar unterhaltsam – doch irgendeinmal wiederholten sich die Sujets und auch die Pointen. Nicht weniger als 68 Rednerinnen und Redner hatten sich eingetragen, um für oder gegen die Individualbesteuerung zu referieren.
Der Tag war lang, draussen dämmerte es, dann wurde es dunkel. Und schliesslich mochte man die entscheidende Frage am späten Montagabend doch noch nicht beantworten: Ja oder Nein zur Individualbesteuerung. Der Nationalrat, die Braut, die sich nicht traut. Es war der Schlusspunkt unter einen Tag, der zeigte, was für die Parteien bei dieser heiklen Frage auf dem Spiel steht.
Montagmorgen, 8.56 Uhr: Die Mitte-Partei verschickt eine erste Medienmitteilung. Die Debatte um die Individualbesteuerung startet im Nationalrat zwar erst am späten Nachmittag. Doch die Partei um Präsident Gerhard Pfister will einen ersten Pflock einschlagen – um ja nicht in Vergessenheit zu geraten. Die Individualbesteuerung, wie sie die FDP-Frauen mit einer Volksinitiative fordern, sei schlecht, so die Botschaft. Die Mitte wirbt für ihre eigene Initiative und verspricht, nur diese schaffe Gerechtigkeit und faire Steuern für alle Paare. Dumm nur: die Mitte-Initiative wurde erst später eingereicht und stand gestern gar nicht zur Debatte.
Fair und gerecht: Es sind die zwei Schlagworte des Tages. Die Mitte nennt ihr Volksbegehren «Fairness-Initiative». Die FDP-Frauen haben den Titel «Steuergerechtigkeits-Initiative» gewählt. Das Ziel ist dasselbe: Die steuerliche Heiratsstrafe soll beseitigt werden. Denn wegen der Steuerprogression müssen Ehepaare, deren Einkommen zusammengezählt werden, auf Bundesebene deutlich mehr Steuern bezahlen als Konkubinatspaare mit separater Kasse in der gleichen wirtschaftlichen Situation.
Der Weg, den die beiden Parteien vorschlagen, ist aber unterschiedlich: Die Mitte will, dass Ehepaare auch künftig gemeinsam besteuert werden. Die FDP-Frauen sprechen sich für eine separate Veranlagung für alle aus.
Diesen Konflikt gibt es seit 40 Jahren. Seit 1984 das Bundesgericht festgestellt hat, dass Ehepaare steuerlich benachteiligt sind. Auf Bundesebene wird seither um eine Lösung gerungen. Vergebens. Weil zwischen Konservativen und Progressiven ein Patt herrscht.
Die Mehrheiten im Parlament sind knapp. Das wissen auch die Befürworter der Individualbesteuerung. Im Grundsatz sind FDP, GLP, SP und Grüne für diesen Systemwechsel. Und sie wissen: Im Nationalrat sind die Chancen grösser als im Ständerat. Deshalb wirkte die Allianz daraufhin, dass das Geschäft zunächst in die grosse Kammer kam. Die Befürworter wissen auch: Verabschiedet der Nationalrat keinen indirekten Gegenvorschlag zur FDP-Frauen-Initiative, ist es mit der Individualbesteuerung vorbei.
Deshalb raufen sich diese Parteien zusammen, auch wenn sie über die Ausgestaltung des Gegenvorschlags nicht einig sind. Denn SP und Grüne stören sich an den Steuerausfällen von einer Milliarde Franken. Zu viel finden sie. Zumal mit der Einführung der Individualbesteuerung vor allem Doppelverdiener mit hohen Einkommen entlastet werden. «Diese Allianz ist brüchiger als die Ampelkoalition in Deutschland», wird Mitte-Präsident Gerhard Pfister später in den Ratssaal rufen.
FDP, GLP, SP und Grüne kommen im 200-köpfigen Nationalrat auf 102 Stimmen. Das ist eine äusserst knappe Mehrheit. Die Befürworter wissen bereits am Morgen, dass eine Grünen-Nationalrätin ausscheren wird. Teppichetagen-Feministinnen nennen Gewerkschafter jene Frauen gerne und despektierlich, welche sich für die Individualbesteuerung einsetzen. Die Befürworter rechnen deshalb mit 101 Stimmen, falls alle zur Abstimmung erscheinen. Akribisch haben sie in den letzten Tagen Buchhaltung geführt über Befürworter und Gegnerinnen. Und sehr wichtig: über jene, die sich enthalten wollen.
Davon gibt es in der SVP-Fraktion einige. Vorwiegend Frauen. Etwa die Zürcher Nationalrätin Nina Fehr Düsel. Sie sagt, es sei wichtig, dass nun etwas gehe, sie wolle primär die Heiratsstrafe abschaffen. Falle der Gegenvorschlag durch, werde wieder 15 Jahre lang nichts passieren. Fehr Düsel sagt aber auch, es sei ein schwieriges Thema. Denn die SVP ist offiziell gegen die Individualbesteuerung. Sie sei ein Angriff auf die Ehe und kompliziert in der Umsetzung, gibt etwa der Glarner SVP-Nationalrat Markus Schnyder zu Protokoll.
Nicht nur die SVP, sämtliche Fraktionen erwarten von ihren Parlamentariern, dass sie die Parteihaltung vertreten. Die Individualbesteuerung als strategisches Geschäft, wie es im Berner Politikjargon heisst. Abweichler werden nicht geduldet, Enthaltung oder Abwesenheit sind die maximale Form des Ungehorsams.
Unter Beobachtung steht auch Mike Egger, SVP-Nationalrat aus St.Gallen. Seine Schwiegermutter in spe ist FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz- Stauffacher. Sie ist gleichzeitig Präsidentin der FDP-Frauen und der Kopf hinter der Volksinitiative für die Individualbesteuerung. Egger lässt sich nicht in die Karten blicken. Doch unter der Bundeshauskuppel munkelt man, er selbst könne nicht Nein stimmen, dafür sorge er für genügend Enthaltungen aus der SVP-Fraktion.
Doch weshalb hat diese doch eher trockene Steuervorlage bei den Parteien ein derart hohes Gewicht? Weil es dabei auch um gesellschaftliche Vorstellungen geht. Für die Befürworter ist die Vorlage ein Vehikel der Gleichstellung. Negative Erwerbsanreize für Frauen würden eliminiert. «Arbeiten muss sich lohnen», sagt GLP-Präsident Jürg Grossen. Das heutige Steuersystem sei zutiefst unschweizerisch. Ein Mittel also, dass Frauen mehr arbeiten, finanziell unabhängig werden und damit auch besser geschützt sind vor Altersarmut.
SVP und Mitte hingegen wollen, dass Ehepaare weiterhin gemeinsam besteuert werden, dass sie als Wirtschaftsgemeinschaft gelten: «Mehr wir und weniger ich», sagt Mitte-Nationalrat Leo Müller. Und Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy moniert, dass mit der Individualbesteuerung den Ehepaaren ein Lebensmodell aufgezwungen werden soll. Denn Einverdienerehepaare gehörten zu den Verlierern. Seine Partei aber stehe ein für die Freiheit, dass die Ehepaare die Erwerbs- und Familienarbeit so aufteilen können, wie sie wollen.
Der Nationalrat wird die Debatte nächste Woche weiterführen. Die Befürworter der Individualbesteuerung sind leicht im Vorteil. Doch das letzte Kapitel dieses Polit-Krimis wird noch lange nicht geschrieben sein. (aargauerzeitung.ch)
Dadurch wird das Sozialsystem stark entlastet.
Als Belohnung dafür dürfen wir Verheirateten dann mehr Steuern zahlen und erhalten weniger AHV Rente.
Die heiratsstrafe gehört abgeschafft. Und natürlich fehlt dann etwas Geld in der Staatskasse. Das ist Gel, das man in den vergangenen Jahrzehnten den Verheirateten zu unrecht zu viel weggenommen hat!